Merkels Mindestlohn

Wahlkampf Je wahrscheinlicher eine schwarz-gelbe Koalition wird, desto größer werden bei Union und FDP die Zweifel: Passen wir überhaupt zusammen?

Selbst wenn man alle demoskopischen Unschärfen, sozialdemokratischen Endspurtqualitäten und Wahlbeteiligungsszenarien einbezieht: Eine schwarz-gelbe Koalition nach dem 27. September erscheint doch ziemlich wahrscheinlich. Der Eindruck vorgezogener politischer Flitterwochen will sich bei der Betrachtung von CDU, CSU und FDP dennoch nicht so recht einstellen. Die Süddeutsche erkannte in Schwarz-Gelb sogar schon ein „Bündnis in den letzten Zügen“.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Der erste hat unter anderem mit Karrieren zu tun: Weil die Union wohl an Karl-Theodor zu Guttenberg festhalten würde, sehen die Liberalen ihr „natürliches“ Recht auf das Wirtschaftsministerium in Gefahr. Der zweite ergibt sich aus der Unsicherheit, ob nicht am Ende doch noch ein anderes Wahlergebnis die eigene Beweglichkeit erfordert. Da wollen sich beide Seiten nicht durch hochheilige Koalitionsversprechen selbst Steine in den Weg legen – und beklagen dann gegenseitig, das der andere keine Schwüre schwört.

Mehr noch aber sind es programmatische Gründe, die es im schwarz-gelben Gebälk schon knirschen lassen, bevor das Richtfest überhaupt begangen wurde. In der Steuerpolitik etwa gehen die Forderungen von FDP und CSU deutlich weiter, als Angela Merkel zurzeit versprechen will. Die Liberalen haben offenbar schon begriffen, dass sie womöglich an ihrem Selbstbild als Steuersenkungspartei in einer Regierung Abstriche machen müssten. Guido Westerwelle jedenfalls betont gern, er wolle als Außenminister den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland einleiten und dafür sorgen, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wird. Von beidem hält man in der Union nichts.

In den vergangenen Tagen ist mit dem Mindestlohn ein weiteres Streitthema wieder stärker in die Öffentlichkeit gerückt, bei dem von vorkoalitionärer Einigkeit keine Rede sein kann. SPD und Union hatten sich in den vergangenen Jahren auf eine Art Zwei-Säulen-Politik verständigt: Einführung von tariflich vereinbarten Branchen-Mindestlöhnen über das Entsendegesetz und Schaffung der Möglichkeit, Lohnuntergrenzen auch über das Mindestarbeitsbedingungengesetz auch dort einzuführen,wo es keine Tarifverträge gibt. In dieser Woche wurde dazu wie vereinbart eine Kommission eingesetzt, die gemeinsam mit Fachausschüssen der Branchen Vorschläge unterbreiten soll.

Die linke Opposition sprach mit guten Gründen davon, das Gremium lieber gleich „Lohndumping-Beirat“ zu nennen – in der siebenköpfigen Kommission findet sich schließlich eine Mehrheit von Vertretern, die in der Vergangenheit als Gegner von existenzsichernden Mindestlöhnen in Erscheinung getreten sind.

Den Liberalen ging die Einsetzung des Ausschusses dennoch viel zu weit. Der ewige Wirtschaftsministeranwärter und FDP-Fraktionsvize Rainer Brüderle nutzte die Gelegenheit, sowohl gegen den direkten Karriere-Konkurrenten von der CSU als auch die vermeintlich sozialdemokratisierte Union zu giften. Guttenberg habe sich „in einer wichtigen ordnungspolitischen Frage erneut nicht durchsetzen“ können, so Brüderle – ein Seitenhieb auf dessen durch öffentlichen Druck erzwungene Distanzierung von einem Industriekonzept der Ressortbürokratie, in dem Kritik an Mindestlöhnen formuliert worden war. Außerdem riet Brüderle, die gerade eingesetzte Kommission solle der Regierung doch einfach empfehlen, sie bitte „gleich wieder“ aufzulösen.

Dass nun Angela Merkel hat wissen lassen, sie stehe „voll und ganz“ hinter den Mindestlohn-Regelungen der großen Koalition und wolle diese in einem möglichen schwarz-gelben Bündnis nach der Bundestagswahl keineswegs kippen, wird bei der FDP die Vorfreude auf eine gemeinsame Regierungszeit mit der Union nicht gesteigert haben. Anders herum betrachtet ist aus der Ankündigung der Kanzlerin auch kein Honig zu saugen: Ein Wahlversprechen ist ein Wahlversprechen ist ein Wahlversprechen. Das Motiv, der SPD die Gelegenheit nicht zu schenken, selbst mit dem Mindestlohn Wahlkampf zu betreiben, ist leicht erkennbar.

Und selbst bei einer tatsächlichen Fortsetzung der schwarz-roten Mindestlohnpolitik nach dem Herbst bliebe die Kritik, diese gehe nicht weit genug, richtig. Die Alternative, eine flächendeckende gesetzliche Lohnuntergrenze, hat die SPD auf Druck von links erst sehr sehr spät für sich entdeckt – und die Union war von Anfang an dagegen.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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