Messlatte Agenda 2020

Wahlen Die Unternehmerlobby hat die Regierung ihrer Wahl bekommen. Damit nun wirklich hart von unten nach oben umverteilt wird, lassen die Arbeitgeber mit ihrem Druck nicht nach

„Regiere dich selbst“, prangt haushoch an einer Werbewand Unter den Linden in Berlin. So weit würde die deutsche Wirtschaft nicht gehen – muss sie auch nicht. Mit dem Wahlergebnis vom Sonntag hat sich die von den Lobbyverbänden bevorzugte Regierungsvariante durchgesetzt. Arbeitgeber und Co. werden jetzt trotzdem nichts dem parteipolitischen Zufall überlassen.

Während sich die Vertreter von CDU, CSU und Liberalen am Montagmorgen noch bedeckt hielten und den Verhandlungen zur Regierungsbildung nicht vorgreifen wollten, haben die Unternehmer längst am Koalitionsverhandlungstisch Platz genommen. “Mutige Reformen“, lautete das Motto – wieder einmal. Die Agenda 2020 lässt schon mal grüßen. Wo noch etwas übrig ist zum kaputtsparen, solle jetzt möglichst schnell Hand angelegt werden.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt listete seine Erwartungen in einem Gastbeitrag der Springer-Zeitung Hamburger Abendblatt auf: Senkung von Steuern und Abgaben sowie „Ausgaben senkende Strukturreformen in allen Zweigen der Sozialversicherung“. Mittelstands-Präsident Mario Ohoven verlangte eine „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarktes, die Industrie- und Handelskammer mahnte an, „auch liebgewonnene Staatsausgaben“, etwa „bei Sozialtransfers“ in Frage zu stellen.

Nicht Farben, sondern Reformen

Dass es hier nicht allein um zurückhaltende Empfehlungen geht, sondern um Forderungen, die im Selbstbewusstsein derer ausgesprochen werden, die wissen was der Unterschied zwischen Regierung und Macht ist, hat DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann klargestellt. Man werde „die neue Regierung nicht an ihren Farben, sondern an ihrer Reformagenda messen“. Springt Schwarz-Gelb bei der kurzfristig verlangten „Korrektur der Unternehmens- und Erbschaftsteuer“ zu kurz, so die Botschaft, werde die Wirtschaft auch einer Mitte-Rechts-Regierung ihre Instrumente zeigen.

Die Transmissionsriemen, die den Forderungskatalog der Wirtschaft in die Regierungsarbeit einspeisen werden, sind die FDP und der Wirtschaftsflügel der Union. Er „hoffe sehr, dass sich die FDP gegen die Bedenkenträger in der Union durchsetzt“, stellte Ohoven am Tag danach klar, wer in der Koalition auf welche Unterstützung zählen kann. Der Chef der Mittelstandsunion Josef Schlarmann kritisierte bereits die siegreiche Kanzlerin – ein Beitrag zur Kurskorrektur innerhalb der CDU. Man will Schluss machen mit der „Sozialdemokratisierung“ der Partei unter Angela Merkel. Zu eng sei der Wahlkampf „an die Sache der SPD“ angelegt gewesen und dass sich die CDU-Vorsitzende für eine Börsenumsatzsteuer einsetze, sei hätte „vor vier Jahren“ auch noch niemand für möglich gehalten. Die Botschaft ist klar: Zurück zur explizit neoliberalen Politik, die 2003 auf dem Leipziger Parteitag beschlossen wurde.

Atomaktien im Plus

Was jetzt als Signal der „wirtschaftspolitischen Vernunft“ von den Unternehmen bejubelt wird, sorgte am Montagmorgen an der Börse zunächst nur für eine verhaltene Party. Daran waren allerdings weniger die Wahlergebnisse in Deutschland schuld als schlechte Zahlen aus Fernost. Im wahrsten Sinne des Wortes aber begann es bereits, auf dem Parkett schwarz-gelb zu blinken: In Erwartung einer Verlängerung der Laufzeit für Atomkraftwerke notierten große Energiekonzerne wie Eon und RWE nach der Öffnung des Handels im Plus.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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