Moralischer Sumpf

Stiftung Die Forderung an den Bund der Vertriebenen, ihre beiden Anwärter für den Stiftungsrat zurückzuziehen, greift zu kurz. Denn sie geht davon aus, dass der BdV tatsächlich an Versöhnung interessiert ist

Wenn heute Erika Steinbach und ihre Entourage den Jahrestag der Verkündung der Charta der Heimatvertriebenen vor 60 Jahren feiern, wird viel von „Versöhnung“ die Rede sein. Schon allein, weil die anreisende Politprominenz derlei Zuckerguss braucht, um ihren Auftritt vor dem umstrittenen Bund der Vertriebenen zu legitimieren. Dem BdV selbst gilt die Charta als das „moralische Fundament“ seiner Arbeit. Ein Papier, das verlangt, „die Völker der Welt sollen ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen empfinden“.

Wie tief der geschichtspolitische Sumpf ist, der sich da als ethischer Sockel tarnt, zeigt sich auch im Dauerstreit um die Vertriebenen-Stiftung. Anfang Juli hatte im Bundestag die schwarz-gelbe Parlamentsmehrheit die Besetzung des Stiftungsrates durchgesetzt. Neben Abgeordneten des Bundestags sind dies auch Vertreter der Regierung, von Religionsgemeinschaften und von eben jenem BdV. Abgesehen von einigen Sozialdemokraten rotierte die Opposition gegen den Wahlvorschlag – zum einen weil hier nur über eine fertige Liste abgestimmt werden konnte, auf deren Zusammensetzung die Abgeordneten gar keinen Einfluss hatten. Vor allem aber wegen zwei der nominierten Vertreter des Vertriebenenbundes.

Die bereits in der Bundestagsdebatte geäußerte Kritik an Hartmut Saenger und Arnold Tölg brauchte ein paar Wochen bis in die Zeitungen, Abgeordnete wie auch der Zentralrat der Juden sind empört. Zu Recht, ­Saenger hat die deutsche Kriegsschuld relativiert, Tölg die Entschädigung von Zwangsarbeitern missbilligt. Doch die Forderung an den BdV, die beiden Anwärter zurückzuziehen, greift zu kurz. Sie geht davon aus, dass Steinbachs Organisa­tion tatsächlich an Versöhnung interessiert ist. Wie schon der Machtkampf um die Zahl der BdV-Sitze und das Besetzungsveto der Bundesregierung gezeigt haben: Dem ist nicht so. „Versöhnung“ ist ein Werbeschild, auf das sich der Vertriebenen-Bund stützt, um seinen politischen Einfluss zu sichern. Nur eine vom BdV komplett unabhängige Aufarbeitung wäre in der Lage, einen Beitrag zur Versöhnung zu leisten.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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