Mutmaßungen über Lafontaine

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Diese Nachricht hat ein gewisses Irritationspotenzial: Oskar Lafontaine kandidiert nicht mehr für den Vorsitz der Linksfraktion. Für viele Abgeordnete und selbst einige in der Parteispitze muss der Schritt überraschend gekommen sein. Petra Pau wollte am Freitagmorgen noch nichts von einem Rückzug Lafontaines gewusst haben, Halina Wawzyniak teilte per Twitter mit, sie wisse "nichts". Eben dort, im Netz, rumort es schon seit Donnerstag kräftig und inzwischen ist auch an mehr oder weniger klugen Bewertungen kein Mangel: Wieder einmal mache der Oskar den Lafontaine und fliehe überraschend aus der Verantwortung, sagen jetzt viele. Man kann es natürlich auch genau anders herum sehen: Die Koalition im Saarland wäre die erste in einem West-Bundesland, die Regierungsbeteiligung in Saarbrücken für die Zukunft der Linken sehr wichtig. Als ehemaliger Ministerpräsident käme Lafontaine einer unerfahrenen Fraktion zu Hilfe. Ist das ein Rückzug?

Es wäre auf jeden Fall einer, wenn es nicht dabei bliebe. Schließlich löst die Nachricht auch einen weitergehenden Gedanken aus: Gibt Lafontaine irgendwann auch die Parteispitze ab? Vielleicht nicht bald. Aber in den nächsten Zeit? Irgendwann tut er es ja so oder so. Und man könnte sich allerlei Gründe vorstellen. Der Mann ist 66, hat Frau und Kind weit weg von Berlin und unzweifelhafte Verdienste: Ohne ihn wäre die Linkspartei heute nicht zweitstärkste Oppositionspartei im Bundestag und der Grund schlafloser Nächte aller führenden Sozialdemokraten. Er würde die bundespolitische Rolle auf dem Zenit seiner zweiten Karriere abgeben und zugleich die Neuordnung der Parteispitze noch in der Hand haben.

Ist Lafontaine nicht auch ein wenig müde geworden? Bei seinen Auftritten im Wahlkampf-Herbst war er nicht mehr in der Form vergangener Tage, die ihm jene in Kritik gekleidete Anerkennung der Medien eingebracht hatte, wenn diese vom „Populisten“ und „Menschenfänger“ sprach. Auch innerparteilich mag es auf Dauer anstrengend sein, wenn Flügeldiskussionen immer wieder über die eigene Person ausgefochten werden. Kritik am Verbalradikalismus galt oft als heimliches Sägen an Lafontaines Stuhl, umgekehrt sah mancher Linke in dem Saarländer gern die Gallionsfigur eines neuen Antikapitalismus. Beides ist vor allem eines: Projektion. Würde man es jemandem verdenken, wenn er dem zukünftig wenigens ein bisschen aus dem Weg gehen will? Hat Oskar Lafontaine vielleicht sogar noch mehr im Blick – das Verhältnis zum Oppositionspartner SPD, in dem ihm ja auch oft genug die Rolle des lebendigen Hemmschuhs zugewiesen wurde? Ist sein Rückzug als Schritt nach vor gedacht, als einer in eine rot-rot-grüne Zukunft?

All das ist Spekulation. Lafontaine hat inzwischen erklärt, er habe schon lange vorgehabt, sich nach der Bundestagswahl auf den Parteivorsitz zu konzentrieren. Er geht damit auch einem Konflikt aus dem Weg, der nach der Erfahrung mit der Konstituierung der Linksfraktion im Herbst 2005 zu erwarten gewesen wäre. Damals war die Besetzung der Doppelspitze im Bundestag mit zwei Männern bei den linken Frauen nicht gut angekommen. Der Wunsch nach einer quotierten Fraktionsführung ist immer noch groß. Und er wird, wie es aussieht, heute Nachmittag erfüllt.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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