Nachhilfe für das Hilfsorgan

Demokratie Lammerts Kritik an ARD und ZDF ist in aller Munde. Dabei hat der Bundestagspräsident noch weit Wichtigeres angesprochen: die Parlamentsmüdigkeit des Parlamentsbetriebs

Über die Öffentlichen-Rechtlichen soll sich auslassen, wer ihr Vormittagsprogramm kennt. Ob die staatsbürgerkundliche Qualität von Sendungen wie „Schaumküsse“, „Alisa“ und „Bianca“ niedriger anzusetzen ist als die der Liveübertragung einer Bundestagssitzung, kann hier nicht beantwortet werden. Manchen Leitartiklern geht es anders – im Brustton wissender Überzeugung wird getadelt, dass ARD und ZDF, statt die konstituierende Sitzung des Parlaments am Dienstag auszustrahlen, „die übliche seichte Unterhaltungskost abspulten“ (Frankfurter Allgemeine). Die Welt ist anderer Meinung und keilt zurück, es bedürfe eines „Medien-Oberseminaristen“ wie Lammert „und seiner versteckten Drohungen“ nicht.

Die Debatte ist etwa so interessant wie die Frage, ob sich Abgeordnete des Bundestags "würdevoller" benehmen müssten, als man es am Dienstag im Plenum beobachten konnte – das sah bisweilen ja wirklich nach Schullandheimfahrt aus, manche posierten gar zum Erinnerungsfoto. Warum eigentlich nicht? Das Problem der parlamentarischen Demokratie ist weniger, dass sich Volksvertreter so benehmen wie das Volk, welches sie vertreten sollen. Sondern, dass sie diese Vertretungsaufgabe nicht wahrnehmen.

Auch dazu hat Lammert einiges in seiner Rede gesagt. Das Parlament, hat dessen Präsident unter dem breiten Beifall der Abgeordneten erklärt, „ist nicht Hilfsorgan, sondern Herz der politischen Willensbildung“.

Passend zu dieser Kritik ist gerade bekannt geworden, wie die Auslagerung der Gesetzesarbeit voranschreitet. 60 Mal haben sich Bundesministerien seit 2000 bei der Abfassung von Novellen von externen Firmen beraten lassen, 38 Mal allein in der letzten Legislaturperiode. Der Fall Linklaters, der dem CSU-Wirtschaftsminister kurz vor der Wahl viel Kritik einbrachte, hat dabei verdrängt, dass die umstrittene Berater-Praxis erst unter Rot-Grün so richtig in Schwung kam – vorher hatte es nur einen einzigen Fall im Jahr 1991 gegeben. Auch waren es SPD-Minister wie Sigmar Gabriel und Wolfgang Tiefensee, welche die Rangliste derer anführen, die sich bei der Gesetzesarbeit von der Privatwirtschaft aushelfen ließen.

Lammerts Aufforderung an den Bundestag, seine verfassungsmäßige Rolle wieder besser auszufüllen, hat also allen Grund – bleibt als Appell jedoch schwach. Die Übermacht von Partei- und Fraktionsapparaten gegenüber dem einzelnen Abgeordneten, die mangelnde Kontrolle der Regierung durch das Parlament, die vertauschten Rollen bei der Gesetzgebung, die Privatisierung legislativer Aufgaben – all dass ist nicht durch Mahnungen aus der Welt zu schaffen.

Wer es für falsch hält, dass der Bundestag bloß als Gesetznehmer auftritt, dem die Regierung Initiativen unterbreitet, welche eine durch Fraktionszwang und Parteidisziplin domestizierte Parlamentsmehrheit durchwinkt, der muss Regeln vorschlagen, die das verhindern. Der muss zugleich aber auch sagen, wie diese Vorschriften gegen die Parteiapparate durchgesetzt werden können, die womöglich gar kein Interesse daran haben, einen Zustand zu beenden, in dem ihre Macht das freie Mandat überwölbt und die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber der Regierung außer Kraft setzt. Und der muss konkrete Ideen haben, was gegen die Verlagerung legislativer Aufgaben an interessegleitete Anwälte und intransparente Kommissionen zu tun ist.

Die bloße Bitte „um Unterstützung bei der Verbesserung unserer parlamentarischen Arbeit“, die Lammert ausgesprochen hat, wird nicht helfen.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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