Nicht stehen bleiben: Linke fordern "zeitgemäße linke Netzpolitik"

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Man kann nicht gerade behaupten, dass die Linke als netzpolitische Avantgarde wahrgenommen wird. Und das hat Gründe. Zwar hat es immer wieder Versuche gegeben, dem Thema mehr Geltung zu verschaffen oder Aktivisten und Experten zu vernetzen. Doch in der Programmdebatte, wenn man so will: der Selbstfindungsprozess der Partei, blieb die digitale Gesellschaft bislang weitgehend unterbelichtet. Der Entwurf widmet sich den „modernen Kommunikationsmitteln“ lediglich in einem Unterpunkt zur eher klassisch verstandenen Medienpolitik – der Begriff Internet taucht nur an zwei Stellen auf (Seite 20). Was allerdings nicht heißt, dass es in der Linken niemanden gibt, der dem Thema weitaus größere Bedeutung beimisst. Zum Programmkonvent in Hannover will jetzt ein Papier Schwung in die netzpolitische Debatte der Partei bringen. Die Linke dürfe „nicht im 20. Jahrhundert stehen bleiben“, umreißt einer der Initiatoren, der Thüringer Fraktionschef Bodo Ramelow, die Botschaft. „Wir müssen für die Probleme der künftigen digitalen Gesellschaft passende Antworten finden.“

It’s the internet, stupid – so der Titel des Papiers, das am Freitag veröffentlicht werden soll – ist dabei weniger eine dieser Richtungsanweisungen, mit der die Partei auf den Kurs einer Strömung gebracht werden soll. Sondern das ausdrücklich flügelübergeifende Angebot, einen noch kaum bearbeiteten Acker zum programmatischen Blühen zu bringen. Schon Mitte Oktober hatte unter anderem Linken-Vize Halina Wawzyniak beklagt, dass eine „Auseinandersetzung mit einem der wichtigsten Impulse gesellschaftlicher Transformationsprozesse dieses Jahrhunderts: die gesellschaftlichen Veränderungen und Herausforderungen, die mit der Digitalisierung nahezu aller Lebensbereiche verbunden sind“, in der Debatte bisher „fast komplett“ fehle. Mit dem nun vorgelegten Papier, an dem neben der Bundestagsabgeordneten Petra Sitte auch netz- und wissenschaftspolitische Fachleute mitgearbeitet haben, wird das Feld jetzt allerdings deutlich ausführlicher abgesteckt.

Die Autorinnen und Autoren markieren dabei keine fertigen Positionen. Man wolle vielmehr über die Grenzen der Partei hinaus einladen, nach Antworten auf die „Fragen der digitalen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts zu suchen“. Den Widersprüchen einer Welt, in der netzbasierte Kommunikationsmittel weit mehr darstellen als eine Möglichkeit zum Emailversand oder eine Gefahr für die privaten Daten, ist sich das Papier durchaus bewusst: Mit dem Internet ist eben nicht nur eine Chance für flexibles und autonomes Arbeiten verbunden – sondern zugleich die Gefahr totaler Verfügbarkeit und Kontrolle von Beschäftigten. Ihm wohnt die Potenz einer offenen Wissens- und Bildungsgesellschaft inne – aber auch die der digitalen Verstärkung bestehender sozialer Klüfte. Es bietet vielfältige Möglichkeiten demokratischer Beteiligung – aber eben auch der Manipulation. Und so weiter.

Von einer „politisch spannenden Gestaltungsaufgabe“ ist in dem zehnseitigen Papier die Rede. Und es wird da auch nicht gerade eine kleine Übung formuliert. Denn der Katalog der Themen ist lang und reicht von Fragen der gleichberechtigten Teilhabe und Grundversorgung über den Daten- und Verbraucherschutz, die Probleme einer mehr und mehr digitalen Arbeitswelt bis hin zu Aspekten wie Umweltschaft, Medienkompetenz und Kriminalitätsbekämpfung. Vieles davon ist längst auf der politischen Bühne zum Feld von Auseinandersetzungen geworden; verlangt also nach Antworten, mit denen die Linkspartei eine Brücke zwischen tagesaktueller Intervention (etwa: Nein zu Netzsperren) und transformatorischem Anspruch (Welche Rolle hat das Netz im „demokratischen Sozialismus“?) schlagen kann. Es geht nicht mehr um Abseitiges für Technikexperten und Nerds, sondern um einen „konstituierenden Bestandteil unserer Gesellschaft“, heißt es in dem Papier. Ohne eine „zeitgemäße linke Netzpolitik“, schreiben die Autorinnen und Autoren, werde man „bald gesellschaftspolitisch isoliert sein“.

Die Forderung, jene Chancen, die das Internet vor allem mit Blick auf eine „Demokratisierung der Demokratie“ bietet, auch für die Linke selbst zu erkennen und zu nutzen, ist gewissermaßen die nach innen gerichtete logische Konsequenz des Papiers. Partizipative Ansätze, neue Kulturen der Binnenkommunikation, alternative Entscheidungsverfahren - all das stößt aber in Parteien nicht nur auf große Begeisterung. Die Spannung zwischen Kontrollverlust und Web 2.0, zwischen dem Verständnis einer Partei als Sender von Botschaften, die irgendwo da „oben“ in der Hierarchie erfunden werden einerseits, und dem als Plattform der Diskussion und der vertikalen Meinungsbildung andererseits, ist bisher von keiner der im Bundestag vertretenen Parteien erfolgreich aufgelöst worden (siehe auch hier).

Wenn die Autorinnen und Autoren des Papiers dennoch (oder gerade deshalb) dafür plädieren, dann also nicht ohne die Hürden zu kennen (und von manchen technischen Problemen zu wissen). Einen Versuch, "den Programmentwurf der Linken im Netz kollaborativ zu diskutieren" und die Ergebnisse der Debatte in das Antragsverfahren einzuspeisen, wird die Partei demnächst starten. (Stichwort: Liquid Democracy) Für Anfang 2011 ist außerdem eine Arbeitsgruppe geplant, die konkrete Änderungen auf dem Feld der Netzpolitik für den Programmparteitag im Herbst 2011 formulieren soll. Ziel müsse es sein, so Ramelow, den bisherigen Entwurf noch zu verändern – „damit die Linke nicht ein Programm für das falsche Jahrhundert bekommt“.

auch erschienen auf: lafontaines-linke.de

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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