Noch mindestens 100 Jahre

Gedenken Der Architekturhistoriker Axel Klausmeier pflegt in Berlin die spärlichen Reste der Berliner Mauer zum Zwecke der Erinnerung

Seit vergangener Woche ist der „Eiserne Vorhang“ europäisches Kulturerbe. Ganz offiziell und mit Siegel der EU. Zwölf historische Orte der Teilung tragen nun seither blaue Label, darunter Marienborn, Mödlareuth und natürlich die Mauer. Die Tafeln sollen helfen, „das Zugehörigkeitsgefühl zur Europäischen Union anhand gemeinsamer Elemente der Geschichte und des Kulturerbes zu stärken“. Und weil da nicht gleich jeder den Zusammenhang mit einer ehemaligen Grenze sieht, sagt die Außenstaatssekretärin Cornelia Pieper: Es geht darum, Erinnerung wachzuhalten.

Das aber ist gar nicht so einfach. „Nur noch wenige Orte“, heißt es bei der Siegel-Initiative, würden eine Vorstellung von der historischen Realität der deutsch-deutschen Grenze vermitteln. Das gilt vor allem für die Berliner Mauer. Und ein bisschen ist das auch das Problem von Axel Klausmeier.

Der 1965 geborene Kunst- und Architekturhistoriker ist seit 2009 dafür zuständig, das Unsichtbare sichtbar zu machen: als Direktor der Stiftung Berliner Mauer. „99 Prozent der Sperranlagen sind heute verschwunden“, sagt Klausmeier. Er muss es wissen. Vor einigen Jahren machte er sich im Auftrag des Berliner Senats mit dem Cottbusser Professor Leo Schmidt auf die Suche nach den verbliebenen „Mauerspuren“. Klausmeier und seine Kollegen dokumentierten Hunderte Relikte, 2004 erschien ein Buch, und auch im Internet kann man die verblassten Narben der früheren Grenze auf Karten und Fotos verfolgen.


Dass die Mauer 20 Jahre danach kaum noch zu sehen ist, hat schon zu vielen Debatten geführt. Der frühere CDU-Bürgermeister der Stadt, Eberhard Diepgen, forderte unlängst gar, einen Teil wieder aufzubauen, weil sonst an Leid und Mauertote nicht angemessen erinnert werden könne. Es gibt nicht mehr viele Orte im Stadtbild wie die Bernauer Straße: Hier stehen noch 180 Meter der originalen Grenzmauer, eingerahmt von einem Denkmal aus Stahlwänden. Manches wurde nach 1989 wieder rekonstruiert.

Als Klausmeier sein Amt als Stiftungsdirektor antrat, sprach er von einer besonders hohen „Ereignis- und Spurendichte“ in dem Areal. Zu verdanken hat der Mann aus Essen das einer Entscheidung des einstigen Ost-Berliner Magistrats, der den Grenzabschnitt unter Denkmalschutz stellte – einen Tag vor der Wiedervereinigung. 1991 fasste dann der Senat den Beschluss, an der Bernauer Straße eine „Erinnerungs- und Gedenkstätte“ zu errichten, 1998 entstand ein „nationales Denkmal“, 1999 eröffnete das Dokumentationszentrum. Nicht allen ging das schnell und weit genug. Den „Bemühungen der Berliner Politik, der Erinnerung an die Mauer einen Ort zu geben“, bemerkte einmal der Historiker Manfred Wilke, „haftete etwas Halbherziges an“.

Inzwischen ist die Bernauer Straße als zen­traler Erinnerungsort etabliert. 2005 legte der damalige Kultursenator Thomas Flierl ein Konzept für den Ausbau vor. Dass es von einem PDS-Politiker kam, ließ manche Kritik aufkommen – und doch sprachen selbst die Skeptiker von einem „entscheidenden Schritt“. Mit der Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts der Bundesregierung 2008 avancierte die Bernauer Straße endgültig zum Dreh- und Angelpunkt des Mauergedenkens.

Streit um Bauabschnitt D

2010 kamen erstmals mehr als 500.000 Besucher. Alle Welt komme „nach Berlin, um das Monstrum der Berliner Mauer wie einen erlegten Drachen zu inspizieren“, hat Klausmeier einmal gesagt. Eine Erweiterung ist im Gange. Aber nicht alle freuen sich darüber. Die geplante Öffnung des Postenweges als „zentrales Element“ in der „Erinnerungslandschaft“ verläuft durch Gärten. Eine Initiative fürchtet störende Touristenströme und die Enteignung von Grundstücken. Es heißt, dass der Mauermythos zum Marketingargument degradiert werde. Der Senat beruhigt, hat Gespräche gesucht, seit Juni läuft eine Media­tion. Ganz neu ist die Aufregung auch nicht, Klausmeier hatte schon im vergangenen September dem Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses von „Problemen im Bauabschnitt D“ berichtet. Und, gibt der Direktor zu bedenken, wer in den zurückliegenden Jahren hierhergezogen ist, habe ja auch wissen können, dass es sich um einen historischen Ort handelt.

Die Sache mit den Gärten ist nicht ohne Ironie, schließlich waren die eines der großen Themen in Klausmeiers wissenschaftlicher Karriere: Nach dem Studium in Bochum, München und Berlin folgten eine Magisterarbeit über Wörlitz, die Dissertation über den englischen Landschaftsarchitekten Thomas Ripley und schließlich das Renommee als Experte historischer Gärten. Nach seiner Wahl zum Stiftungs-Direktor meldeten sich Skeptiker zu Wort, die an der Eignung zweifelten, hatte die Auschreibung doch auch nach Erfahrung mit Gedenkstättenarbeit und DDR-Aufarbeitung verlangt. Inzwischen hört man solche Stimmen nicht mehr.

Honeckers Vorhersage

Dafür wurde plötzlich die Standfestigkeit der Mauer zu Klausmeiers Problem – ausgerechnet. Als Denkmal kann nur dauerhaft und für Besucher zugänglich sein, was nicht beim nächsten Windstoß umstürzt. Und so ließ die Gedenkstätte die von Souvenirjägern und dem Wetter geplagte Mauer in Klausmeiers Cottbusser Heim-Universität untersuchen.

Der 240.000 Euro teure Stresstest ergab: „Die Berliner Mauerteile sind solide gebaut worden und halten trotz der Beschädigungen noch mindestens 100 Jahre.“ Damit war natürlich eine Zahl in der Welt, die zu zeithistorischen Assoziationen einlädt. „In gewisser Weise sorgen wir dafür“, wurde Axel Klausmeier dann auch zitiert, dass die Mauer noch so lange „stehen wird, wie Honecker es im Frühjahr 1989 sagte“.

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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