Occupy Kaiserstraße: die Hoffnung auf eine neue Anti-Krisen-Bewegung

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Die Proteste in den USA breiten sich aus - was mit ein paar Studenten in New York begann, ist inzwischen über Washington hinaus in zahlreichen Städten angekommen und findet wachsende Unterstützung, auch bei den Gewerkschaften: Occupy Wall Street. Der kleine Bewegungsfrühling in den Vereinigten Staaten hat auch hierzulande wieder Hoffnungen auf vernehmbaren Widerstand gegen das Euro-Rettungs-Regime, neuerliche Bankenhilfe und die Umverteilung von Krisenlasten auf die Bevölkerung geweckt. Linken-Chef Klaus Ernst hat jetzt in der Leipziger Volkszeitung prophezeit, es werde „bald auch in Deutschland Anti-Banken-Proteste nach amerikanischem Vorbild geben. Die Menschen haben es satt, dass für marode Banken Milliarden da sind und für sie nichts“. Ähnlich hat sich Oskar Lafontaine im Handelsblatt geäußert: Es geben mehrere Gründe, „dass Proteste in Deutschland bisher ausbleiben“, etwa die Tatsache, dass einige in den Koalitionsfraktionen Opposition zur eigenen Regierung spielten, dabei aber „leider nur von den wahren Verursachern und Profiteuren“ ablenkten. Den Deutschen werde vorgegaukelt, „sie müssten in Athen demonstrieren, um ihr Geld wiederzusehen. Ein Besuch des Bankenzentrums in Frankfurt läge näher“. Auch Lafontaine hat Occupy Wall Street ausdrücklich als Vorbild genannt. Klaus Ernst kündigte derweil an, die Linkspartei werde „schon bald zu einem ersten Aktionstag im Frankfurter Bankenviertel aufrufen“.






Da sind andere schon ein paar Schritte voraus: Das globalisierungskritische Netzwerk Attac lädt am 15. Oktober im Rahmen internationaler Proteste zu Aktionen und Bürgerversammlungen ein. Es sei „an der Zeit, nach dem Vorbild der Spanier, Griechen und New Yorker auch bei uns auf die Straßen zu gehen und Flagge für echte Demokratie zu zeigen“, heißt es. Man verstehe sich „als Teil der internationalen Demokratiebewegung“. Im Zentrum soll ein Gedanke stehen: Die Wiederherstellung des Primats der Politik über die Finanzwirtschaft. Dies, so Attac, könne allerdings nur gelingen, „wenn auch die Politik wieder unter demokratische Kontrolle gebracht wird“. Als einigendes Band an Forderungen, welches von Athen über New York bis Madrid reiche, nennt das Netzwerk die „echte demokratische Kontrolle der Banken- und Finanzwirtschaft, ein Stopp der Sozialkürzungen und Privatisierungen sowie der Ruf nach einer partizipativen Demokratie“.






Vor allem letztere läuft als bloße Proklamation ins Leere, die Erweiterung und Belebung von Demokratie, die hier gemeint ist, lässt sich nicht von irgendeiner Instanz einfordern, sie muss selbst praktiziert werden, weil erst beim Gehen gelernt werden kann, welche Schritte jetzt schon sinnvoll sind und welche erst später. 2011 ist ohne Zweifel das Jahr einer neuen globalen Bewegung, über deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede man diskutieren kann, die sich aber aufeinander beziehen und zum Teil auch eine gemeinsame poltiische Sprache, eine gemeinsame Symbolik entwickelt haben - man denke nur an das Zelt. Kairo, Tunis, London, Santiago, Tel Aviv, Athen, New York und bald auch in Berlin und Frankfurt? Am Freitag protestierten Tausende Schüler und Studenten in Italien. Am Donnerstag streikten die Griechen. In Bahrein gehen Jugendliche auf die Straße, in Madrid die Gymnasiasten.Und so weiter.

In den kommenden Wochen sind weltweit nach Angaben von Attac „Proteste in über 300 Städten in mehr als 40 Ländern geplant“, los geht es bereits am Sonntag mit einer Blockade der Westminster Bridge in London. Am 15. Oktober veranstaltet Attac in Berlin eine so genannte Krisenanhörung, bei der „Zeugen“ aus Griechenland, Spanien, Island und Irland, sowie Journalisten, Ökonomen, Aktivisten und Politiker zu Wort kommen sollen, um über die „Ursachen und Folgen der Finanz- und Eurokrise“ zu berichten sowie „Alternativen zu Sparzwang und sozialem Kahlschlag“ zu debattieren. Proteste soll es an diesem Tag auch in anderen deutschen Städten geben. Und für die Frankfurter Bankencity hat Attac angekündigt, wozu die Linkspartei dann wohl auch noch aufrufen will: Aktionen vor der Europäischen Zentralbank.

Ob allerdings mehr daraus entstehen kann, eine „Occupy Kaiserstraße“-Bewegung sozusagen, wird von der politischen Dynamik der nächsten Wochen abhängen. Übertriebene Erwartungen an die politische Kraft der Straße wird man dabei nicht haben dürfen. Wer sich an die bisher vergeblichen Versuche erinnert, hierzulande Krisenproteste größeren Ausmaßes anzufachen, dürfte auch nicht gerade zum Optimismus neigen. Weder konnte im November 2010 der Schwung der Anti-Atom-Bewegung auf das soziale Konfliktfeld übertragen werden, noch wurde die Aktion aCAMPada auf dem Alexanderplatz so recht zum Treibstoff für etwas Größeres - auch wenn seinerzeit einige bereit von der „Revolution in Berlin“ träumten. Ein Grund sicherlich: In Deutschland halten sich die Gewerkschaften bisher in Sachen Euro-Krise zurück - sieht man einmal von gelegentlichen Interviews und einer kleinen Anzeigenkampagne ab. Welches Mobilisierungspotenzial die Linkspartei derzeit bewegen kann, ist auch nicht ganz klar. Vor einiger Zeit hatte die Partei zu Aktionen unter dem Motto „Profiteure zur Kasse“ aufgerufen. Einem Beschluss des Vorstands zufolge sollten dabei „die Forderungen nach einer deutschen und europäischen Vermögensabgabe von Reichen und Superreichen zur Lösung der Schuldenkrise und die Forderung nach demokratischer Kontrolle der Banken und des Finanzsektors im Mittelpunkt stehen“. Als „Höhepunkt der Aktionen“ kündigte die Partei „eine zentrale Kundgebung in Berlin“ an.

Ein darüber hinausgehendes Netz, das zum Resonanzboden für eine Occupy-Bewegung in der Bundesrepublik werden könnte, ist zurzeit freilich noch nicht in Sicht. Das könnte, sagt zumindest ein Ex-Berater von Bill Clinton, auch das Problem des US-amerikanischen Vorbildes werden (das sich übrigens selbst gar nicht als Original sieht, sondern wiederum auf Vorläufer in Europa und der arabischen Welt verweist). „Die Frustration im Land ist riesig und sie geht über Parteigrenzen hinweg“, wird Bill Galston vom Thinktank Brookings Institute auf Zeit online zitiert. Inzwischen würden schon Vergleiche zur Arbeiterbewegung der dreißiger Jahre und den Bürgerrechtskämpfen in den Sechzigern gezogen. Und auch die Frage, ob eine Art linke Tea Party daraus werden könnte, wird nun öfter gestellt. Es müsse sich aber noch zeigen, „ob die Proteste die Leute tatsächlich dauerhaft mobilisieren können“, so Galston. Kritik an den Bankern der Wall Street sei das eine, „daraus eine politische Agenda zu machen, ist etwas ganz anderes.“ Zumal, wer die Berichte über die Aktionen in New York, Washington und anderswo verfolgt, einen bunten Strauß an Motiven erkennt: da wird gegen den Afghanistan-Krieg genauso protestiert wie dem Frust gegenüber einem das demokratische Repräsentationsversprechen längst nicht mehr genügenden Zwei-Parteien-System Ausdruck verliehen. Und natürlich immer wieder: die Krise und ihre Folgen.






In Deutschland meinen 80 Prozent der Befragten, das Schlimmste stehe ihnen noch bevor - eine Zahl, die sich seit Sommer 2010 kaum verändert hat und an die hohen Werte vom Frühjahr 2009 anknüpft. Und schon seit Ende 1999 ist eine Mehrheit in Deutschland eher beunruhigt als zuversichtlich. Dass als Reaktion darauf der Ruf nach einer großen Koalition lauter wird und dass Altpolitiker wie Helmut Schmidt zu politischen Felsen der Sicherheit stilisiert werden, zeigt die Herausforderung für jede an spürbaren Veränderungen interessierte Bewegung an. Anderswo ist schon sichtbar, wie sich die Legitimationsverluste der herrschenden Politikmodell neu artikulieren können. Die dabei eingeschlagene Richtung, darauf wird jetzt zu Recht hingewiesen, ist dabei keineswegs vorherbestimmt: "Wohin dabei das politische Pendel ausschlägt, hängt nicht zuletzt von den sozialen Auseinandersetzungen und Kämpfen ab." Occupy Kaiserstraße?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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