Ohne Belehrung: Schwarz-Gelb zieht Hartz-Sanktionsschraube an

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Nur ein paar Minuten hat das Kabinett am Mittwoch gebraucht, den Gesetzentwurf über die Hartz-Neuregelungen durchzuwinken. Die Debatte konzentriert sich seither auf eine Art Zweikampf zwischen Union und SPD: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen – „ich habe jetzt vorgelegt“ – hat Gesprächsbereitschaft signalisiert; die Sozialdemokraten haben erklärt, der Novelle nur unter der Voraussetzung zuzustimmen, dass beim Bildungspaket für Kinder „geklotzt“ und eine größtmögliche Zahl ihrer Politiker zu einem Spitzentreffen eingeladen wird. Eine mögliche Blockade im Bundesrat wird zur Drohung, die doppelte Schieflage der Debatte in der Öffentlichkeit dabei aber kaum überdeckt: Es ist zwar viel von den Forderungen der SPD die Rede, eher wenig hingegen von den beiden anderen, in Umfragen immerhin rund 30 Prozent schweren Oppositionsparteien die Rede. Und: Alles dreht sich um die Bildung von Kindern, aber so gut wie gar nichts um die Höhe der neuen Regelsätze.

Zwar hat die SPD-Politikerin Elke Ferner jetzt noch einmal die Kritik ihrer Partei an der Berechnungsgrundlage des Ministeriums erneuert, zugleich aber angedeutet, dass sich die Sozialdemokraten gar nicht erst in einen Kampf um einen angemessenen Aufschlag begeben wollen: „Es geht“, so Ferner, „viel weniger um die Höhe.“ Und das ist nicht das einzige, was bei der gegenwärtigen Diskussion aus dem Blickfeld geraten ist. Schon Ende September hat unter anderem die Tageszeitung darauf aufmerksam gemacht, dass im Zuge der Hartz-Neuregelung auch an der Sanktionsschraube gedreht wird. In den Erläuterungen zum nun Kabinett beschlossenen und vom Arbeitsministerium veröffentlichten Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch“ wird auf „praxisgerechte Neustrukturierung bei Sanktionen“ hingewiesen und behauptet, „eine Verschärfung der Sanktionen“ würde nicht mit der Novelle einhergehen.

SGB II, Abschnitt: Anreize und Sanktionen - hier
Gesetzentwurf zur Hartz-Neuregelung mit Erläuterungen - hier
Statistische Grundlagen des BMAS zur Neuberechnung - hier
Vergleich der Stichproben aus der EVS 2005 und 2009 - hier

Bei Grünen und Linkspartei sieht man das völlig anders. „Eines Rechtsstaates unwürdig“ hat der Grüne Markus Kurth die Vorgabe bezeichnet, nach der Erwerbslose künftig einer Sanktion nicht mehr schriftlich über die Folgen so genannter „Pflichtverletzungen“ informiert werden müssen – es soll ausreichen, dass „der Leistungsberechtigte die Rechtsfolgen seines Verhaltens kannte“. Woher und wie man das nachprüfen will, bleibt der Interpretation überlassen. Jedenfalls müsse „der Nachweis über eineschriftliche Rechtsfolgenbelehrung (...) in diesem Fall nicht geführt werden“, so die Autoren der Novelle. Für die Linken-Politikerin Katja Kipping ist hier „die Entmündigung, Entrechtung und soziale Ausgrenzung der Leistungsbeziehenden auf die Spitze“ getrieben. „Die ständige Angst vor Sanktionen soll die Betroffen noch stärker als bisher disziplinieren.“

Das Thema gehört vor allem deshalb ins Zentrum der Debatte über die Neuregelung: Am System der Kontrolle und des Bestrafens mit Leistungskürzungen wird nicht nur der Geist von Hartz besonders deutlich, an den Sanktionen blamiert sich auch die mediale Empörungsmaschine, die Schlagzeilen über „Betrüger“, „Abzocker“ und „Missbrauch“ produziert und im Zerrbild vom „anstrengungslosen Wohlstand“ zum Höhepunkt findet. (Erst dieser Tage wieder hat der sich im Sündenstolz suhlende „Ex-Linke“ Ulf Poschardt in der Welt eine Kostprobe dieses Denkens geliefert.)

Es gibt aber noch einen weiteren Grund: Das politische Aufbegehren gegen die Sanktionen ist weit gediehen und gut verankert. Es könnte sich lohnen, die Kräfte nun noch einmal zu aktivieren. Vor über einem Jahr hat sich das Bündnis für ein Sanktionsmoratorium gegründet, das nicht nur Politiker aus den rot-grün-roten Parteien zusammenbrachte, sondern auch Leute aus Sozialverbänden, Universitäten, Gewerkschaften, der Zivilgesellschaft. Wenn man so will ist die Idee vom Sanktionsmoratorium ein praxistauglicher gemeinsamer Nenner des Crossover-Spektrums, eine Möglichkeit zur auch parlamentarischen Kooperation – wenn die Beteiligten es denn wollen. Dem SPD-Parteitag vor ein paar Wochen lagen mehrere Anträge vor, die sich gegen das Sanktionsregime aussprachen, der Leitantrag gehörte allerdings nicht dazu. Die Grünen haben gerade einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht; die Linke Kipping sieht die Sanktionsfreiheit als Nukleus sozialpolitischer Zusammenarbeit – diese sei für sie „nicht verhandelbar“. Jetzt würde es allerdings erst einmal darum gehen, die Ausweitung der Sanktionsmöglichkeiten zu stoppen.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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