Montagmittag in Berlin. Bodo Ramelow hat diese Frage so oft gehört in den vergangenen Tagen: Ob und wie in Erfurt eine Koalition unter Beteiligung von SPD und Grünen zustande kommen könnte, weiß der Spitzenmann der Linkspartei in Thüringen wohl selbst noch nicht. Ob es etwas gebe, das er anbieten könne, wird er gefragt. „Was wollen Sie jetzt eigentlich hören?“, sagt Ramelow. „Kennen Sie das Ergebnis nicht?“ Und dann nennt er die SPD „Verlierer“ und „Geisterfahrer“, die erst vom Politikwechsel redet und ihn, Ramelow, trotz eines Neun-Punkte-Rückstandes nicht zum Ministerpräsidenten wählen will.
Der Mann ist immer noch im Angriffsmodus. Anfang der Woche wurde das Fernduell fortgesetzt – hier der vermessene SPD-Anspruch auf die Althaus-Nachfolge, dort der Hinweis der Linken auf die demokratischen Gepflogenheiten. Neben Ramelow sitzt Oskar Lafontaine, müde wirkt der Parteichef. Gerade hat er die Linke im Saarland auf über 21 Prozent katapultiert. Nur drei Prozent weniger als die Sozialdemokraten – und weit mehr, als die Umfragen vorausgesagt hatten. Keine 24 Stunden vor der Wahl hatte ihn Bild als „Spalter der Nation“ hingestellt, als einen „Lärmer im Politgeschäft“, dem es nur um sich selbst gehe. Nun sagt Lafontaine eher leise: „Es freut mich, dass wir durch unser Ergebnis der SPD eine neue Machtperspektive eröffnet haben.“
Lafontaine könnte jetzt wie Ramelow reagieren, sich über die SPD her machen, eine Partei, die sich darüber freuen muss, dass es anderen auch schlecht geht. Aber er lässt es, äußert sogar „menschlich Verständnis“ für die Reaktionen der Sozialdemokraten. Man darf nicht vergessen: Da redet jemand, den die SPD lange Zeit wie eine Unperson behandelt hat. Und der, weil er Lafontaine ist, als politisches Hindernis galt.
Nun ist es anders herum gekommen: Dank Lafontaines Triumph im Saarland kann die Sozialdemokratie wieder von der Möglichkeit reden, einen Ministerpräsidenten zu stellen. Nur deshalb. Vom Erfolg für die Linke ganz zu schweigen, die Lafontaine aus dem Stand in den Rang einer 20-Prozent-Partei geführt hat. In seiner Heimatstadt Saarbrücken landete die Partei vor der SPD auf Platz zwei; in Völklingen wurde sie stärkste Kraft noch vor der CDU. Ohne den Oskar-Faktor wäre man irgendwo im Fünf-Prozent-Jammertal gelandet.
Diese Über-Personalisierung ist nicht frei von Fallstricken. Sie lässt auch wenig Rückschlüsse auf die politischen Motive der Wähler zu. Im Saarland zog eine Mischung aus der Marke „Oskar“ und dem Protest gegen „die da oben“. Wer bei der Linksfusion eine basisdemokratische Neugründung auf dem Weg zum demokratischen Sozialismus im Sinn hatte, beißt die Zähne zusammen und freut sich erst einmal über die Wahlergebnisse. Lafontaine, das hat die Landtagswahl im Saarland deutlich gezeigt, holt die „Politikverdrossenen“ an die Urnen zurück. Die Wahlbeteiligung im kleinsten Flächenland stieg von rund 55 Prozent im Jahr 2004 auf über 67 Prozent. Die Linke profitierte davon in Größenordnungen, die ein altes Vorurteil über angebliche „Protestparteien“ zertrümmern und eine alte Frage aufwerfen: Wo stünde die Linke ohne diesen Mann?
„Nicht da, wo wir sind“, sagt sein Fraktionskollege Gregor Gysi. Nun ist das keine große Neuigkeit, aber das Argument könnte wieder Bedeutung gewinnen: in der Partei. Vor ein paar Wochen machten Meldungen die Runde, nach denen in der Linken darüber nachgedacht werde, Lafontaines Führungsrolle einzuhegen. Die Klage unter den Genossen ist alt: Da wird die cheffige Art des Vorsitzenden kritisiert, auch dessen politische Strategie – diese sei zu sehr auf Opposition verengt. Und dann wird wieder angemahnt, die Linke dürfe nicht bloß eine Anti-SPD sein. Im kommenden Jahr steht der Partei eine Programmdiskussion bevor, auch der Vorsitz wird neu gewählt. War vor den Wahlen geunkt worden, ein nicht so überragendes Ergebnis werde Lafontaines Gewicht in der Partei schrumpfen lassen, so gilt nun wohl eher das Gegenteil.
Daran ändert auch der Hinweis nichts, der Saarländer sei doch als Ministerpräsidentenkandidat angetreten und habe dieses Ziel verfehlt. Die Moderatoren in den Öffentlich-Rechtlichen streuten das Argument am Wahlabend immer wieder, die SPD nahm es in die offizielle Sprachregelung auf. (Oder war es umgekehrt?) Am Montag verkündete Franz Müntefering: „Die Welle Lafontaine ist gebrochen.“ Darauf angesprochen sagte der: „Ich musste lachen.“ Und er tut es wirklich, als Dietmar Bartsch ein paar Plätze neben ihm gefragt wird, ob er nun, da Lafontaine die Müller-Nachfolge verfehlt hat, eine veränderte Rolle für ihn in der Partei sehe.
Wie Ramelow gehört der Bundesgeschäftsführer zu jenen, die im Fusionsprozess von Wahlalternative und PDS die Regierungserfahrungen der Ost-Linken gewahrt sehen wollten. Als Volkspartei mit 20-Prozent-Ergebnissen, darauf wurde immer wieder hingewiesen, werde man mit Hau-drauf-Opposition seiner Verantwortung nicht gerecht. Doch was die einen als Gestaltungsauftrag ansahen, galt anderen als fauler Kompromiss, als Abkehr von Prinzipien, als Kapitulation vor der bürgerlichen Maschinerie. Vor allem die rot-rote Koalition in Berlin wurde zum Streitfall.
Lafontaine, der ostdeutsche Realos schon mal als „neoliberal“ abkanzelte, war den Kritikern der Regierungslinken der wichtigste Kronzeuge. Dass der Saarländer gegen Kabinettsbeteiligungen sei, wollten lange Zeit einige glauben. Wissen konnte man, dass dies für Lafontaine nur eine Frage der Bedingungen sein würde, vor allem eine der übergeordneten Strategie. Seine Kritik an den Realos, die manche als ewiges Bündnis Lafontaines mit den linken Strömungen der Partei missverstanden haben, wurde umso leiser, je näher die Wahlen in Ländern rückten, in denen Bündnisse mit der SPD möglich schienen – und neue machtpolitische Optionen. Nun gehört Lafontaine selbst zu den rot-roten Machern.
André Brie hat vor einigen Wochen in einem viel beachteten Beitrag gefragt, wo der „Reformer, der Realist Lafontaine“ geblieben sei. Die Antwort liegt wohl in Saarbrücken. Was im Saarland mit Aussicht auf Erfolg anders gemacht werden könnte als im viel kritisierten rot-roten Berlin? Das wird sich aber erst zeigen müssen. Auffällig ist, dass die Linke in diesen Tagen eines ihrer Lieblingsstreitthemen beschweigt: Regierungsbeteiligungen. Nur selten hört man noch Warnungen. Der Vertrauensschwund werde enorm sein, heißt es dann. Und mit Marx gesprochen: „Die Linke könnte an einem schönen Morgen finden, dass ihr parlamentarischer Sieg und ihre wirkliche Niederlage zusammen fallen.“
Bis dahin vergeht Zeit. Die nächsten Bundestagswahlen finden voraussichtlich 2013 statt. Eine rot-rot-grüne Mehrheit in Berlin will da nicht einmal Franz Müntefering ausschließen. Lafontaine wäre dann 70 Jahre alt. Irgendwann wird man sagen, er habe eine Tür aufgestoßen. Was hinter dieser liegt, lässt sich noch nicht sagen.
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