Politik-Optimierer: zu Wulffs Urlaub beim AWD-Gründer Maschmeyer

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„Wenn wir weniger danach fragen, woher einer kommt, als danach, wohin er will“, hat Christian Wullf in seiner Rede zum Amtsantritt als Bundespräsident gesagt, „dann wird das Zusammenleben in unserem Land menschlicher und zugleich erfolgreicher sein.“ Ob Der CDU-Mann bei seinem „Freund“ Carsten Maschmeyer gefragt hat, wohin der will?

Die Aufregung über den Luxus-Urlaub auf einem Anwesen des millionenschweren Finanz-Unternehmers hätte Wulff voraussehen können. „Ein Geschmäckle bleibt“, schreibt der Spiegel – und das ist noch eine eher zurückhaltende Bewertung. Denn Maschmeyer ist nicht nur irgendein Wirtschaftsmann aus Niedersachsen. Maschmeyer hat den „Finanzoptimierer“ AWD gegründet, ist bestens verdrahtet in die Politik und eine Geschichte aus dem Jahr 1998 erzählt, warum man auch von Christian Wulff hätte erwarten müssen, dass er nicht nur danach fragt, woher Maschmeyer kommt, sondern auch, wohin er will.

Worum geht es? Der Bundespräsident hat seinen Sommerurlaub in einer Mallorca-Villa Maschmeyers verbracht. Man kennt sich seit Jahren, als Wulff noch Ministerpräsident war, traf man sich regelmäßig in einem Kreis von Politikern, Wirtschaftsmanagern und Prominenz in Hannover. Die Gattinnen sollen befreundet sein. Das Bundespräsidialamt hat sich beeilt mitzuteilen, dass das „Appartement in Port d'Andratx angemietet“ worden sei. Auch habe Wulff den Flug selbst bezahlt, wiewohl ihm die Flugbereitschaft zugestanden hätte. Wegen des Unglücks auf der Loveparade in Duisburg habe das Staatsoberhaupt den Urlaub auch noch vorzeitig abbrechen müssen.

Der Fall Wulff hat zwei Ebenen. Auf der ersten stellen sich nahe liegende Fragen. Der Spiegel will wissen, dass die Ferien der Familie Wulff rund 5.000 Euro gekostet haben. Die Welt meint, eine vergleichbare Villa zu mieten koste normalerweise mindestens 15.000 Euro die Woche. Hat der Bundespräsident sich von einem Finanzunternehmer bevorzugen lassen? Lässt sich das noch mit persönlicher Bekanntheit rechtfertigen? Sind solche privaten Exklusivitäten – wie viele Menschen machen Urlaub in einer Privatvilla anderer? - für Politiker angemessen, vor allem in Zeiten, in denen Studien über die Armut Alleinerziehender die Runde machen? Und so weiter. Abgesehen davon, dass Wulff bereits einmal urlaubsauffällig geworden war: 2009 nahm er ein kostenloses Upgrade von der Holzklasse in die Business Class in Anspruch – und musste später kleinlaut die Differenz begleichen.

Es geht aber keineswegs nur um Fragen des politischen Geschmacks und der Verhältnismäßigkeit, man könnte sagen: der Eliten-Kultur. Sondern um handfeste ökonomische Interessen. Selbst wenn man annimmt, Wulff und Maschmeyer verbinde eine tiefe persönliche Beziehung, wogegen wenig zu sagen wäre, ist ihr Verhältnis „objektiv“ an anderen Maßstäben zu messen. Der Zusammenhang wird deutlich, wenn man ein paar Jahre zurückblickt.

Maschmeyer war mit dem Strukturvertrieb AWD reich geworden, einem Unternehmen, das in Verbindung mit Drückerkolonnen, Anlegerklagen, riskanten Produkten und Datenpannen gebracht wurde und wird. Zwischen der offen anrüchigen Vergangenheit der neunziger Jahre und einer inzwischen seriöseren Fassade liegt ein Wandel in der Branche. „Strukki“ will heute keiner mehr sein, schrieb das Manager Magazin vor ein paar Jahren in einem wohlwollenden Maschmeyer-Porträt. Man ist jetzt Finanzoptimierer, macht auf Transparenz und Qualität. Das Prinzip aber ist geblieben: Es werden Finanzprodukte verkauft – und das geht umso besser, je weniger der Markt reguliert ist und je mehr politische Gründe geschaffen werden, dass Leute ihr Geld anlegen müssen.

Womit wir im Jahr 1998 sind. In der SPD hatten Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine noch nicht ausgemacht, wer der Kanzlerkandidat bei den Wahlen im Herbst sein soll. Wenn der Niedersachse zuvor bei den Landtagswahlen gut abschneiden würde, so viel war allerdings klar, wird der Saarländer ihm den Vortritt lassen (mehr hier). Einen Tag vor der Wahl in Niedersachsen erscheint eine anonyme Anzeige in den Tageszeitungen: „Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein.“ Das war nicht nur Wahlhilfe für die SPD, es war eine politische Kampfansage. Maschmeyer wird später vom Focus zitiert: „Mein Ziel war es, einen extremen Linksrutsch mit einem Kanzler Lafontaine zu verhindern.“

Der AWD-Mann habe sich die Kampagne 650.000 D-Mark kosten lassen, hieß es später. Die Kommentare in den Zeitungen waren kritisch, von einem Mediendesaster war die Rede. Für Maschmeyer zahlte sich die Nähe zur Politik dennoch aus. Er wusste, wohin er will. Wenn doch der Staat für einen großen neuen Markt sorgen könnte, auf dem sich Provisionen verdienen lassen? Der Finanzoptimierer als Politikoptimierer.

Schon seit 1994 hatte sich die niedersächsische Landesregierung unter Schröder über den Bundesrat um einen Gesetzentwurf bemüht, in dem es um die Vertriebler ging, unter anderem sollte die Ausbildung der Vermittler verbessert werden. Der Wirtschaftsausschuss des Bundestag war skeptisch: Warum kommt der Entwurf ausgerechnet aus Hannover, wo doch die Branchenriesen eher in anderen Ländern sitzen – außer dem AWD, der über einen „Verband unabhängiger Finanzdiestleistungsunternehmen“ an den politischen Gesprächen über diese Novelle beteiligt war.

Wichtigeres aber geschieht nach dem Wahlsieg der SPD von 1998. Diana Wehlau hat in ihrem Buch Lobbyismus und Rentenreform nachgezeichnet, wie die Finanzdienstleistungsbranche Einfluss auf die Teil-Privatisierung der Alterssicherung genommen hat. „Da die Sozialdemokraten private Vorsorgeformen traditionell eher kritisch bewerteten, hatte die Finanzdienstleistungsbranche – als ein Sieg der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl wahrscheinlich erschien – ein deutliches Interesse an einem Ausgang des innerparteilichen Machtkampfes der SPD zugunsten der 'Modernisierer'.“ Maschmeyers Anzeigenkampagne gehört dazu. 2000/2001 kommt die Riester-Rente.

Ein paar Jahre später macht die Superillu eine große Renten-Sause, mehr Vermischung von Journalismus und Firmenwerbung lässt sich schwer vorstellen. Es gibt ein Bild, auf dem sich der „Rentenexperte“ Bert Rürup, Schröder Rentenminister und Maschmeyer grinsend die Hände reichen. „Vorsorge aus erster Hand“ steht darüber. Rürup war später zeitweise beim AWD als Chefökonom tätig, betreibt jetzt aber mit Maschmeyer eine eigene Beratungsfirma. Schröders Sprecher Bela Anda ist heute Kommunikationschef bei AWD. Das Unternehmen gehört inzwischen dem Versicherer Swiss Life.

Und Christian Wullf? Als Carsten Maschmeyer 1998 die Schröder-Anzeige lancierte, war die niedersächsische CDU stinksauer. Der AWD-Mann rief, so schreibt es der Focus, nach der Wahl beim unterlegenen Kandidaten an und sagte: „Ich habe nichts gegen Sie. Im Gegenteil. Sie haben noch eine große Karriere vor sich.“

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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