Rüttgers Club: NRW-SPD verlängert CDU-Restlaufzeit

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Natürlich kommt einem das alles sehr bekannt vor: Eine rechnerische rot-rot-grüne Mehrheit findet aus verschiedenen Gründen nicht zusammen, die Regierungsbildung zieht sich, ein bei der Wahl abgestrafter Ministerpräsident bleibt geschäftsführend im Amt – und irgendwann folgen Neuwahlen. Roland Koch konnte in Hessen eine Mehrheit gegen CDU und FDP aussitzen. Und jetzt bekommt Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen eine Restlaufzeitverlängerung auf dem Regierungssessel: Die SPD an Rhein und Ruhr hat am Freitag neue Gespräche über die Bildung einer großen Koalition mit der CDU abgelehnt.

„Maßstab war immer ein Politikwechsel“, erklärte Hannelore Kraft am Abend, sich ein kleines schwarz-rotes Hintertürchen offen haltend: Die Kooperation mit den Christdemokraten hält sie „auf Basis der Sondierung“ für gescheitert, gebe es eine andere, so lässt sich das interpretieren, etwa nach einer deutlichen Bewegung bei der CDU nicht zuletzt in Personalfragen (dazu auch hier), könnte die Entscheidung auch wieder anders ausfallen. Es ist die Kraftsche Politik des „derzeit“: „Derzeit“ ist die Linkspartei nicht regierungsfähig, „derzeit“ ist mit der CDU keine soziale Politik möglich. „Derzeit“ soll es auch keine rot-grüne Minderheitsregierung in Düsseldorf geben. Und so bleibt „derzeit“ Rüttgers geschäftsführend im Amt.





Die Landesverfassung sieht für den Fall, dass am 23. Juni kein neuer Ministerpräsident gewählt wird, weitere Wahlgänge vor. Bleiben auch diese ohne Sieger (im vierten Durchgang reicht die einfache Mehrheit), könnte der CDU-Arbeiterführer „theoretisch Monate oder Jahre“ in der Staatskanzlei sitzen bleiben, wie es der Verfassungsrechtler Martin Morlok formuliert. CDU und FDP stellen dann im Prinzip eine Minderheitsregierung, die zwar keinen Haushalt verabschieden kann, im Bundesrat aber voll handlungsfähig wäre. Genau das hat nun auch zu heftiger Kritik seitens der Grünen geführt: Die Entscheidung, so Fraktionschefin Sylvia Löhrmann, sei defensiv und nicht zu Ende gedacht, da sie „die zentrale Rolle der Landesregierung bei den anstehenden wichtigen Bundesratsentscheidungen außer acht“ lässt.

Interessant wird zu beobachten sein, ob und wie es den Sozialdemokraten gelingt, den „Politikwechsel aus dem Parlament heraus in Gang“ zu setzen. Kraft strebt nun gemeinsame Mehrheiten mit Linken und Grünen gegen die schwarz-gelbe Minderheitsregierung in konkreten Fragen wie etwa der Abschaffung der Studiengebühren an. Womit sich der Erinnerungskreis schließt: In Hessen kippte vor ziemlich genau zwei Jahren eine rot-rot-grüne Landtagsmehrheit im zweiten Anlauf die Studiengebühren, der amtierende Ministerpräsident Roland Koch musste die von ihm selbst eingeführte Lerngebühr schon nach einem Jahr wieder kassieren.

Eine rot-grüne Minderheitsregierung will die SPD „derzeit“ nicht anstreben, man habe im Landesvorstand zwar auch diese Option erwogen, sei sich in der Ablehnung aber einig gewesen. Dabei hatten inzwischen auch die Grünen, die es zunächst ausgeschlossen hatten, „unter Tolerierung einer Partei zu regieren“, dafür geworben. Fraktionschefin Renate Künast sagte in der Rheinischen Post, jetzt könne „der Weg nur über eine Minderheitsregierung führen, die sich darauf beschränkt, die ersten notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, beispielsweise die Stärkung der kommunalen Finanzen und die Abschaffung der Studiengebühren“.

Am Wochenende diskutiert die SPD-Basis an Rhein und Ruhr auf Regionalkonferenzen über die Hängepartie bei der Regierungsbildung und das weitere Vorgehen. Am Montag wird dann der sozialdemokratische Parteirat eine Entscheidung treffen.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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