Die Sozialdemokraten richten als Regierungspartei sozialpolitischen Schaden an, und scheitern später damit, diesen aus der Opposition heraus zu begrenzen. Für jemanden wie Linksfraktionschef Gregor Gysi ist die neuerliche Renten-Debatte in der SPD eine Steilvorlage. Die Auseinandersetzung wird schließlich nicht allein als Spezialdiskussion über die Altersvorsorge geführt, sondern als großer politischer Erbe- und Richtungsstreit: Wie viel Agenda-Politik will sich die Sozialdemokratie nach wie vor leisten? Wie machtvoll ist SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier noch? Wie weit geht die oft zitierte „Erneuerung“ der Sozialdemokratie tatsächlich? Gerade weil das so ist, würden einige in der SPD die Debatte lieber gar nicht so öffentli
s so ist, würden einige in der SPD die Debatte lieber gar nicht so öffentlich führen. Und wenn es sich schon nicht vermeiden lässt, wird behauptet, man sei sich in den wesentlichen Punkten einig.So weit hergeholt ist das nicht: Zweifel daran, dass die gegenwärtige Beschäftigungslage von Älteren zufriedenstellend ist, dass sich die Verschiebung des Eintrittsalters nicht als schlichte Rentenkürzung auswirkt, haben viele in der Partei. Der Vorschlag, den für 2012 geplanten Reformstart erst einmal zu verschieben, ist aber keineswegs jener „kontrollierte Rückzug“ von der Schröder-Politik, als den ihn die Presse nun gern einmal bezeichnet. Sicher: SPD-Linke würden nichts lieber als Abstand zur ungeliebten Rente mit 67 gewinnen, nicht nur aus symbolischen Gründen, sondern weil sie wirklich dagegen sind. Andererseits wird taktiert und mancher hofft, ein Moratorium wäre schon der Anfang vom Ende der Rente mit 67. Vielleicht sogar mit Blick auf künftige parlamentarische Mehrheiten. Denn die schwarz-gelbe Koalition wird das Vorhaben gewiss nicht kippen.Schon hat ein Streit begonnen, der eigentlich erst geführt werden kann, wenn die im Rahmen der per Gesetz verankerten Überprüfungsklausel nötigen Daten vorliegen. Erstmals in diesem Jahr muss die Regierung berichten, ob die Anhebung der Regelaltersgrenze unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage sowie der wirtschaftlichen und sozialen Situation Älterer weiterhin vertretbar scheint. Sigmar Gabriel meint nein. Und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen sagt ja. Mehr noch: „Es stimmt nicht, wie die SPD behauptet, dass wir eine anhaltend schlechte Situation für Ältere auf dem Arbeitsmarkt haben.“ Zwar könne man mit den Verbesserungen noch nicht zufrieden sein, aber: „Dieser deutliche Trend wird anhalten.“Von welchem Trend spricht die CDU-Frau? Vor wenigen Wochen hat die Bundesregierung eine Große Anfrage der Linksfraktion zu genau den Fragen beantwortet, die auch im für den Herbst erwarteten Bericht eine Rolle spielen. Die Zahlen zeigen, dass bei den 60- bis 64-Jährigen, die von der Leyen gern als Beweis anführt, der Anteil der Erwerbstätigen von 2000 (22,9 Prozent) bis 2008 (39,7 Prozent) in der Tat recht deutlich gestiegen ist. Bezieht man allerdings die 65-Jährigen mit ein, liegt der Anteil der Erwerbstätigen unter den 60- bis 65-Jährigen schon nur noch bei 36,1 Prozent. Und fragt man weiter, etwa danach, wie viele arbeitende Frauen für den Anstieg mitverantwortlich sind und woran das liegt; oder danach, welcher Art denn die Beschäftigung ist, die hier als Erfolg ausgewiesen wird – also, ob es sich um reguläre Stellen oder Teilzeitarbeit, Midijobs und ähnliches handelt, sieht das Bild schon ganz anders aus. Sozialversicherungspflichtige Arbeit haben nach Regierungsangaben nur 23,5 Prozent in der angegebenen Altersgruppe. Dagegen stieg die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld II unter den 60- bis 65-Jährigen von 2005 bis 2008 von 164.000 auf 232.000 an. Zu Recht wird der Optimismus der Arbeitsministerin deshalb auch beim DGB kritisiert. Vorstand Annelie Buntenbach verweist auf aktuelle Zahlen, die belegen, dass die Arbeitslosigkeit insgesamt seit Sommer 2009 zwar um fast acht Prozent abgenommen hat – es für die Älteren aber „keinerlei Verbesserung“ gegeben habe.„Die Erwerbschancen Älterer sind nach wie vor schlecht – da helfen alle Vergleiche nicht, dass es vor wenigen Jahren noch katastrophaler war“, sagt Buntenbach. Genau auf diese Argumentation aber hat sich die Bundesregierung längst festgelegt. Ein wenig Verbesserung, die vor allem demografisch begründbar ist (es gab 2008 fast ein Viertel weniger 60- bis 65-Jährige als 2000) oder mit dem Älter werden von Jahrgängen zu tun haben, in denen arbeitende Frauen zur Regel werden (der Anstieg bei den von der Arbeitsministerin so hoch gelobten Gruppe der 60- bis 64-Jährigen ist zum allergrößten Teil auf den Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen zurückzuführen), wird zur Trendwende erklärt. Wer anderes behauptet, etwas SPD-Chef Gabriel, handele mit „Schnee von gestern“, so von der Leyen.Die CDU-Ministerin baut ihre Schönrednerei freilich auch nur auf Schnee von morgen. Und der kann in der Sonne der kommenden Jahre auch schmelzen. Ob die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt anhält, wann die Beschäftigungslage der Älteren auf einem ausreichenden Niveau angekommen ist, wer das definiert, welcher Art die Jobs sind, wie viel Verschiebung auf andere Transferleistungen sich hinter dem "Erfolg" verbirgt, was mit jenen geschieht, die in dem Alter weder arbeiten können noch wollen - all das ist längst nicht beantwortet und wird es auch durch den Verweis auf die demografische Entwicklung nicht. Und man darf keineswegs vergessen, dass die Rente mit 67 nicht dazu durchgesetzt wurde, die Beschäftigungslage Älterer in einer alternden Gesellschaft zu verbessern. Sondern die immer problematischer werdende Finanzierung der Altersvorsorge zu retten. Erst die Teilprivatisierung, dann die Verschiebung des Renteneintrittsalters: zu beidem hätte es Alternativen gegeben, deren Ansatzpunkt bei der Verbreiterung der Einnahmebasis der Rentenversicherung und der Aufgabe von Privilegien zum Beispiel für Beamte liegen.
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