Schuhgrößen: 100 Tage Doppelspitze bei der Linkspartei

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Es gibt journalistische "Regeln", die vor allem deshalb bekannt sind, weil sie gern missachtet werden. Die oft zitierte 100-Tage-Bewährungsfrist für neu gewählte Amtsinhaber gehört dazu. Mitte Mai wurde eine neue Linkenspitze gekürt - und nicht geschont. Die Liste jener Themen, mit denen die Partei seither in den Medien reüssierte, ist eine voller Negativmeldungen: Vorsitzendenbezüge, Vorsitzendenreisekosten, Karteileichen im Vorsitzendenlandesverband. Auch die Debatte um die Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen und die Bundespräsidentenwahl sind nicht gerade als Erfolgsgeschichten in Erinnerung. Dazu die mit großer Inbrunst geführten Konflikte in mehreren Landesverbänden und kommunalen Fraktionen. Das heißt natürlich nicht, dass die Linke keine anderen Themen hätte. Nur wird sie mit denen eben kaum gehört. Allein auf die Reflexe einer am Konflikt orientierten Presse lässt sich das nicht schieben, die Linke muss sich auch selbst nach Fehlern fragen.http://lafontaines-linke.de/wp-includes/js/tinymce/plugins/wordpress/img/trans.gif

Im Neuen Deutschland und der Frankfurter Allgemeinen kann man heute kleine 100-Tage-Bilanzen lesen. Es sind Vermessungen jener berühmten Schuhe des früheren Vorsitzenden Oskar Lafontaine, die als zu groß schon befunden worden waren, als Lötzsch und Ernst noch gar nicht im Amt waren. Nach ihrer Wahl antwortete die neue Vorsitzende, sie sei nicht angetreten, um saarländisches Schuhwerk aufzutragen, sondern sie wolle „die Vereinigung der Partei vorantreiben“. Wie gut ist ihr das gelungen? Gegen den damaligen Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, von dem ein Teil der Partei meinte, er wolle den Stuhl Lafontaines, wurde damals ins Feld geführt, dessen Schuhe seien „so groß“ und es wäre für den Ostdeutschen nicht ratsam, „sich diese anzuziehen“. Aber war es das denn für Klaus Ernst? „Irgendwann ist die Lücke zu groß, als dass sie, wenn sie aufreißt, noch jemand schließen könnte“, stand vor acht Monaten hier an dieser Stelle. Sicher hätten die Umstände günstiger sein können und vielleicht fiele die Bilanz dann auch ein wenig anders aus. Womöglich wäre die Linke als treibende Kraft der Opposition im Gespräch, würde mit ihren Kampagnen, Alternativvorschlägen, Bündnisaufrufen und so weiter in bekannter Weise die Sozialdemokraten vor sich hertreiben. Vielleicht wäre es ihr als Partei gelungen, die so lange erwartete Programmdebatte als großen gesellschaftlichen Streit über die Frage zu führen, wie wir in Zukunft leben wollen.

Jenseits der Konjunktive sieht es aber nun einmal anders aus. Die Linkspartei, schreibt das Neue Deutschland, spielt „in der öffentlichen Reflexion keine Rolle. Ihr Bild krankt daran, dass es nicht gelingt, die öffentliche Debatte mit eigenen Themen zu beeinflussen. Themen, die der Partei nicht aufgezwungen, sondern von ihr diktiert werden. Was Oskar Lafontaine virtuos beherrscht und was er als Vorsitzender kraft seines politischen Gewichts weidlich nutzte, fehlt jetzt.“ Einerseits. Andererseits war es ja der Saarländer, der eine „auf bloßes Wachstum ausgerichtete ‚Staubsauger-Strategie‘“ verfolgte, wie die Frankfurter Allgemeine es nennt. Eine Strategie, bei der offenkundig einiges auf der Strecke blieb: organisatorische Konsolidierung, programmatische Weiterentwicklung und das, was heuer gern als „Markenpflege“ bezeichnet wird. Die Einschätzung der Allensbach-Demoskopen, dass sich das Profil der Linken zwar nicht grundlegend ändere, aber insgesamt blasser wird, kann man Lötzsch und Ernst allein nicht anlasten. Sie haben aber bisher auch nicht erfolgreich dagegen gehalten. Die Umfragewerte sind einigermaßen stabil, wenngleich man auch hier eine leichte Tendenz nach unten kaum übersehen kann. Man könnte sagen, die Linke ist besser als das mediale Bild das sie abgibt. Aber schlechter als sie ihrem selbst gestellten Anspruch nach sein müsste.

zuerst erschienen auf lafontaines-linke.de

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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