Natürlich musste Norbert Röttgens Thema auch in Osnabrück eine Rolle spielen. Jugendliche saßen vergangene Woche bei der Bundesstiftung Umwelt zusammen, und weil die Atomfrage seit Monaten die Schlagzeilen mitbeherrscht, kam das Gespräch sogar bei diesem Kongress über Biodervisität darauf. Ausstieg aus der Kernenergie? Wer fordere, Solarparks, Windstrom und Biogasanlagen auszubauen, so der Minister, müsse die Folgen bedenken. Es sei ja nicht so, „dass erneuerbare Energien nur gut sind und es keine gesellschaftlichen Konflikte deswegen gäbe“.
Den Umweltminister halten diese Konflikte zurzeit davon ab, sich ein zweites Standbein als nordrhein-westfälischer Politiker aufzubauen. Von Neuwahlen redet dort erst einmal niemand mehr, und selbst wenn die Umfragen der CDU in Düsseldorf eine Chance verheißen würden, hätte der noch neue Landeschef keine Zeit für Wahlkampf. Doch kommt die Debatte über die Atompolitik Röttgen nicht ungelegen. Denn das, was der Katastrophe von Fukushima folgte, sieht wie die Bestätigung eines Wandels aus, den er selbst gerade erst vollzogen hatte – und dessen Konsequenz ihn im vergangenen Herbst noch als Verlierer erschienen ließ.
2006 heuerte der promovierte Jurist beim Bundesverband der Deutschen Industrie als Hauptgeschäftsführer an. Doch ein Streit um die Frage, ob er sein Bundestagsmandat beibehalten dürfe, zwang ihn zur Absage. Der Mann, der dem Modernisierer-Trupp um Angela Merkel zugerechnet wurde, blieb im Parlament und schrieb 2009 ein Buch. Die Bundestagswahl in Sichtweite, behandelte es die Frage, „warum wir keine Angst vor der Zukunft haben müssen“. Röttgen jedenfalls konnte optimistisch sein, die Umfragen liefen auf einen schwarz-gelben Sieg und für ihn auf ein Ministeramt hinaus.
"Ebenso ignorant wie gefährlich"
„Das Beharren auf dem isolierten nationalen Ausstieg aus der Kernenergie“, heißt es auch in jenem Buch, sei „ebenso ignorant wie gefährlich“. Nach der Wahl beerbte der verheiratete Vater von drei Kindern seinen sozialdemokratischen Vorgänger Sigmar Gabriel als Umweltminister und redete bald darauf als einer der wenigen in der Union skeptisch über die schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung. Röttgen warnte davor, die Atomenergie zum „Alleinstellungsmerkmal“ der Partei zu machen und handelte sich so Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen ein. Dass es dann sein Widersacher Stefan Mappus war, der nach Fukushima und der Landtagswahl in Baden-Württemberg von der Politbühne abtreten musste, machte Röttgen durchaus zu schaffen: Er hatte sichtlich Mühe, nicht jedem auf die Nase zu binden, wie Recht er mit seiner Zurückhaltung damals im Februar 2010 doch gehabt habe. Ob die Atompolitik vielleicht sogar sein „Glücksthema“ sei, schmeichelte ihm die Frankfurter Allgemeine. „Ich musste meinen Kurs jedenfalls nicht ändern“, antwortete Röttgen.
Das klingt ein wenig so, als ob der Umweltminister selbst seit Jahren eine Fraktion der energiepolitischen Vernunft in der Union anführt, die es dank Fukushima geschafft hat, die Kanzlerin zu überzeugen und es jetzt noch mit dem energiepolitisch verstaubten Wirtschaftsflügel aufnimmt. In Wahrheit profilierten sich die „Jungen Wilden“ seinerzeit eher in der Staatsbürgerschaftsfrage gegen Helmut Kohl. Ein Anlauf zu einer Energiesteuer wurde 1996 nach kurzem Knurren der Lobby schnell fallengelassen. Später trat Röttgen, der die Natur aus christlichen Motiven heraus zu schützen sucht, auch kaum als großer Ökologe in Erscheinung. Man kann ihn nicht als Antreiber sehen, als „Mann der Atomwende“. Der Umweltminister ist Ausdruck eines Wandels, zu dem er selbst nicht viel beigetragen hat.
Was durch eine der folgenreichsten Reformen der Bundesrepublik, das rot-grüne Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2000, staatlich aufgepäppelt wurde, ist zu einer Macht herangewachsen, an der es sich so leicht nicht vorbeiregieren lässt. Die Investitionen durch den Ausbau der erneuerbaren Energien liegen schon heute über denen der konventionellen Strom- und Gasversorger, die Branche wird in den nächsten Jahren weitere Industrien wie die Chemie übertreffen. Hatte Merkel den Laufzeiten-Deal im Herbst mit den Atomkonzernen noch direkt verhandelt, will die Regierung nun lieber mit Branchenorganisationen reden – die repräsentieren nicht bloß partikulare Kapitalinteressen, sondern zeigen, wohin sich der ganze Tross bewegt. Der BDEW etwa, die wichtigste Lobby der Stromproduzenten, setzt heute selbst auf die Energiewende.
"In breiten Teilen akzeptiert"
Der manchem zu kluge Röttgen hat die Änderung der stofflichen Grundlagen des kapitalistischen Wirtschaftens wohl früher wahrgenommen als andere. Der Job als Umweltminister könnte dabei geholfen haben: Das Umweltressort vertritt die Idee am längsten, dass eine Begrenzung des ökologischen Raubbaus auch den Kapitalismus renovieren hilft. „In breiten Teilen der Wirtschaft wird die technologische Modernisierung, die mit Ressourcenschonung, erneuerbaren Energien und Energieeffizienz verbunden ist, als das zentrale Wachstumsprojekt der Zukunft angesehen“, wird Röttgen zitiert. Merkel war übrigens auch einmal Umweltministerin.
Diese Woche trifft sich die Regierung mit Wirtschaftsverbänden, um über „die Auswirkungen eines beschleunigten Einstiegs in das Zeitalter der erneuerbaren Energien“ zu sprechen. Dann wird auch ein erster Bericht der Reaktorsicherheitskommission erwartet. Und wenn am 15. Juni Merkels Moratorium endet, werden die Grundzüge des neuen Atomgesetzes feststehen. Es wird ein Ausstieg sein, der eine rot-grüne Opposition empört, die 2001 mit ihrem Atomkompromiss selbst nicht so weit gekommen war. Die Kräfteverhältnisse, die waren damals eben noch nicht so.
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