Es ist ein Jahr her, da stand Karl Albrecht Schachtschneider ein wenig empört vor dem Bundesverfassungsgericht. Der Staatsrechtler hatte gerade mit weiteren Professoren Beschwerde gegen die milliardenschweren Griechenland-Hilfen eingereicht. Dass der Schriftsatz vom Pförtner in Empfang genommen wurde und nicht etwa von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, ging Schachtschneider, der dies „einigermaßen anständig“ gefunden hätte, offenbar gegen den Strich.
Am heutigen Dienstag bekommt der 70-Jährige nun doch noch die volle Aufmerksamkeit der Grundgesetzhüter. In Karlsruhe steht die mündliche Verhandlung „in Sachen Griechenland-Hilfe / Euro-Rettungsschirm“ auf dem Programm - was einerseits nicht selbstverständlich ist
ndlich ist, weil das Gericht meist nach Aktenlage entscheidet. Was nun aber andererseits der Diskussion über die Politik der Bundesregierung in der Euro-Krise neuen Schwung verleihen wird.Durfte sich die Koalition am Aufspannen des Euro-Rettungsschirms beteiligen, obwohl Artikel 125 des Lissabon-Vertrages ausdrücklich festlegt, dass ein EU-Land nicht für Verbindlichkeiten eines anderen Mitgliedsstaates eintreten darf? Sind die deutschen Gesetze über Hilfen für Griechenland zulässig? Und verliert der Bundestag wegen der riesigen Garantiesummen für pleitebedrohte EU-Staaten womöglich seine Haushaltsautonomie? Immerhin geht es um eine Haftung von bis zu 147,6 Milliarden Euro.Gegen Maastricht, Lissabon und Österreichs EU-BeitrittIn Wahrheit geht es noch um viel mehr: um Europa insgesamt. Seit die Politik immer neue „Hilfen“ gegen Retter und Gerettete durchsetzen muss, sind mehrere Dutzend Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe eingegangen - drei davon schenkt der 2. Senat nun sein Gehör. Dass der zuständige Berichterstatter Udo di Fabio eine weitere prominente Beschwerde erst später behandeln will, sorgte Anfang der Woche für Aufregung: Eine Gruppe um den früheren BDI-Präsidenten Hans-Olaf Henkel, die sich den Namen „Europolis“ gegeben hat, hatte per einstweiliger Anordnung sogar versucht, die Teilnahme an der Verhandlung zu erzwingen.Henkel gehört wie Schachtschneider, ein emeritierter Professor der Universität Erlangen-Nürnberg, zu einer kleinen aber viel beachteten Szene von Euro-Kritikern. Der frühere Zentralbanker Wilhelm Nölling sowie die Wirtschaftswissenschaftler Joachim Starbatty und Wilhelm Hankel zählen ebenfalls dazu - sie sind neben dem ehemaligen Thyssen-Vorsitzenden Dieter Spethmann Schachtschneiders aktuelle Mitstreiter. Als die Beschwerden, über die jetzt verhandelt wurde, im Mai 2010 eingereicht wurden, war vom „Angriff der Anti-Euro-Senioren“ die Rede. Seit ihrer Klage von 1998 gegen die Gemeinschaftswährung gelten Schachtschneider, Nölling, Starbatty und Hankel bisweilen gar als die „Viererbande“. Und wann immer Euroskepsis und EU-Kritik sich auf höchste juristische Höhen schwang - der eine oder andere war mit dabei.Schachtschneider vertrat 1992 den früheren FDP-Landeschef Manfred Brunner in Karlsruhe bei dessen Klage gegen den Maastricht-Vertrag. Später war er Anwalt des CSU-Politikers Peter Gauweiler, der vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die EU-Verfassung und den Lissabon-Vertrag zu Felde zog. 2008 klagte Schachtschneider im Auftrag anderer erfolglos gegen den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union.Die rechte Ecke hat er sich selbst ausgesucht„Ich bin Gegner des Euro, voll und ganz“, hat der im heutigen Sitno in Polen Geborene vor ein paar Tagen erklärt. 2002 prophezeite er dem Gemeinschaftsgeld noch etwa fünf Jahren - dann würden seiner Meinung nach die Einzelwährungen zurückkehren. Wenn auch die Vorhersage nicht eingetreten ist, sieht Schachtschneider die Euro-Krise als Bestätigung. Die Europäische Union sei politikunfähig, lautet einer seiner Merksätze. Die EU hält er für einen „zwangsvereinigten“ Bundesstaat. „Aber trotzdem bin ich ein Freund der europäischen Idee.“ Was der verheiratete Vater einer Tochter darunter versteht? Eine „Föderation freier europäischer Staaten“.Schachtschneider sagt, er „spiele den Volksvertreter ohne Auftrag“. „Dass das Volk hinter mir steht“, verwies er Anfang der Woche in der Frankfurter Allgemeinen, sehe er „täglich in meinem elektronischen Briefkasten“. Was aus der Kritik des einstigen Rechtsanwalts aber noch keine im Namen der Mehrheit macht. Schachtschneiders Absage an den herrschenden europapolitischen Diskurs stellt das nationale Motiv vor das verallgemeinerte Interesse derer, die auf eine Union im Dienst sozialer Rechte angewiesen wären. Selbst wenn am Ende des Verfahrens mehr Beteiligungsrechte des Parlaments herauskommen, was zu begrüßen wäre: Schachtschneider und andere prominente Euro-Skeptiker sind letztlich das akademische Gewissen jener Ressentiments, die gern auch einmal die Kanzlerin mit ihrer „faule Griechen“-Schelte bedient.Dass Europa-Kritik, für die es angesichts der EU-Realitäten auch linke Gründe gibt, meist von Leuten wie Schachtschneider in Szene gesetzt wird, wirkt sich auf das Koordinatensystem der Debatte aus: Wer gegen das real existierende Europa ist, wird schnell in die rechte Ecke gestellt. Schachtschneider hat sich diese selbst ausgesucht: Von der SPD über die CDU führte der Weg ihn in den Bund freier Bürger - 1994 von Ex-Mandant Manfred Brunner gegründet. Schachtschneider trat zwar bald schon wieder aus dem als rechtspopulistisch geltenden Verein aus. Doch eine Umkehr war das offenbar nicht: Auch später noch trat der Staatsrechtler, so Anton Maegerle vom Infodienst Blick nach Rechts, bei Organisationen wie der Bürgerbewegung pro Köln, der FPÖ oder dem neurechten Studienzentrum Weikersheim auf.