So isser, der Süddeutsche

Landtagswahlen Manchmal erkennt man ein schiefes Bild erst, wenn man ihm ein schiefes Bild gegenüberstellt
Ausgabe 36/2019
Wie wäre es mal mit einer Weißwurst-Safari?
Wie wäre es mal mit einer Weißwurst-Safari?

Foto: Sebastian Widmann/Getty Images

Es müsse doch jetzt mal, sagt meine Nachbarin, Schluss sein mit dieser ewigen Gruppenpsychologie, es gehe hier nicht um Opfer, sondern um Täter, niemand müsse Verständnis für die Süddeutschen aufbringen, die Zeit der Schonung ende hier und jetzt in diesem Treppenhaus. Und dann ruft sie wie eine Nachrichtenansagerin die AfD-Wahlergebnisse der Südländer aus den vergangenen Jahren die Stufen herunter, je zweistelliger die Prozente, desto lauter, danach kommen die viel niedrigeren Ergebnisse aus dem Norden. Aber die Nachbarin wird nicht leiser, es gehe hier schließlich um die Demokratie im Ganzen, die dürfe man sich nicht durch so ein paar Süddeutsche kaputtmachen lassen, der Schoß ist fruchtbar noch, das müsse doch gerade ich einsehen.

Ich nicke zwei der drei Ausrufezeichen mit, um dann zur höflichen Fortsetzung des Gesprächs den Hinweis auszusprechen, dass man ja trotzdem nach den Gründen für die im Süden so viel höheren AfD-Wahlergebnisse suchen dürfen müsse, bei der Nachbarin kommt das gar nicht gut an. Es werde nur noch über die Süddeutschen und ihre angeblichen Probleme geredet, als ob die Leute anderswo keine Lebensleistung hätten. Und dann fragt die Nachbarin, warum es überhaupt einen Süd-Beauftragten gebe, die Regierung sei doch für den ganzen Bund da, und die Norddeutschen würden ja auch nicht beleidigt AfD wählen, obwohl sie keinen eigenen, sondern nur die BRD-Beauftragte für alle Himmelsrichtungen haben.

Würde, handelte es sich nicht um Süddeutsche, frage nun auch ich mich, irgendeine Zeitung ganze Heerscharen von Reportern zum Beschnüffeln der Einheimischenseele zum Beispiel in den Osten entsenden, weil dort die AfD-Wahlergebnisse höher sind als jene im Westen, aber ich bin zu langsam, die Nachbarin hat mein Schweigen schon längst interpretiert. Ob ich die Süddeutschen jetzt etwa in Schutz nehmen wolle, das sei doch keine Meinung, ein Verbrechen sei das, und wenn die AfD seit Jahren bei den Wahlen im Süden doppelt so hoch wie im Norden abschneide, könne sich dort doch niemand mit dem Hinweis auf den Osten herausreden oder auf Medienkritik. Und überhaupt, ihr habe diese ganze Besorgtenpsychologie noch nie behagt, auch in Schleswig-Holstein und Hamburg gebe es schließlich Regionen mit vielen gut laufenden Betrieben oder Leute mit höheren Einkommen, und trotzdem sei die AfD dort nicht so stark, das müsse ich doch mal begreifen.

Und dann dreht sich meine Nachbarin auf dem Treppenabsatz um und geht.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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