Tagesschau.de-Archiv: depub.org und die Zivilcourage

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ARD und ZDF sind seit Juni 2009 verpflichtet, einen Teil ihres Onlineangebots nach bestimmter Zeit wieder aus dem Internet zu löschen. So steht es im Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien. Das Depublizieren der Beiträge führt dazu, dass Hunderttausende Texte und Videos schnell wieder aus dem Netz verschwinden. Druck hatten die privaten Medienunternehmen gemacht - den öffentlich-rechtlichen Medien sollte es auf diese Weise erschwert werden, in einen Markt zu drängen, der nach Auffassung zum Beispiel der Zeitungsverleger-Lobby „den privaten Anbietern vorbehalten sein sollte“.

Schon Ende Juli berichtete netzpolitik.org, dass sich auf piratebay.org eine Datei mit einem Archiv von Tagesschau.de angefunden hat, das von 1999 bis Mitte 2010 reicht. Seit einigen Tagen steht das „geleakte" Archiv auch wieder in einer durchsuchbaren Online-Version zur Verfügung. Die anonymen Macher von depub.org erklären: „Wir sind uns bewusst, dass die Urheber- und Nutzungsrechte für die Artikel und für die Mediatheken beim jeweiligen Autor bzw. bei tagesschau.de liegen. Für uns ist die freie Verfügbarkeit gebührenfinanzierter Inhalte allerdings wichtiger. So einfach ist das manchmal.“

Wer steht dahinter? Wie news.de erfahren haben will, würden sich „Studenten und Berufstätige“ um „die umständlichen Archivierungsaufgaben“ kümmern, dabei aber lieber anonym bleiben. Auf finanzielle Hilfe sei die depub-Initiative nicht angewiesen, weil kaum Kosten entstehen. Dennoch will man sich nicht mit dem Tagesschau.de-Archiv begnügen, depub.org kündigte an, demnächst zu versuchen, „auch an die bereits gelöschten Inhalte anderer öffentlich-rechtlicher Medien zu kommen“ und zudem Mediatheken zu sichern. Dabei setzt man auf entsprechende Insider-Hilfe: „Wir sind zuversichtlich, dass auch in den anderen Redaktionen Leute sitzen die nicht wollen, dass die Artikel aus dem Netz verschwinden.“

Die Aktion hat verschiedene Reaktionen ausgelöst. Der NDR als Betreiber von Tagesschau.de kündigte gegenüber carta.info an, „mit allen juristischen Mitteln“ gegen depub.org vorgehen zu wollen – jedenfalls, und diese Einschränkung ist vielleicht gar nicht so unwichtig, „soweit dies möglich ist“. Auf Zeit-online ist man sich der rechtlichen Problemlage bewusst, nennt die depub-Aktion jedoch „Zivilcourage“. Zwar sei der Rundfunkstaatsvertrag, in dem die Pflicht zum Depublizieren festgeschrieben ist, „von gewählten Abgeordneten in einem demokratischen Prozess“ beschlossen worden. Dennoch sei der Mut der Macher zu begrüßen, weil sie, und dann wird Wikipedia zitiert, „ohne Rücksicht auf sich selbst, soziale Werte oder die Werte der Allgemeinheit“ vertreten.

Turi2.de spricht es direkter aus: Hier handele es sich um „Widerstand gegen Löschaktionen“. Aktivisten der Piratenpartei würde via Twitter bereits über eine Unterstützung diskutieren: "Die Verlagswelt hat dem freien Zugang zur Zeitgeschichte den Fehdehandschuh hingeworfen." Er ist offenbar aufgenommen worden.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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