Terror von rechts? Zehn Tote und ein Thüringer Neonazi-Trio

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es ist ein Fall mit überraschenden Antworten – und noch mehr neuen Fragen. Der Tagesspiegel spricht von "einer bizarren Irrfahrt", es könnte noch viel schlimmer sein: Vor einigen Tagen hatten sich zwei Männer – Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – nach einem Banküberfall in Eisenach ihrem Wohnmobil selbst getötet. In dem Auto fanden Ermittler die Dienstpistolen einer 2007 in Heilbronn 2007 erschossenen Polizistin und ihres damals schwer verwundeten Kollegen. Kurz darauf setzte eine Frau in Zwickau ein Haus in Brand – in der Ruine fand die Polizei jene Pistole der Marke Ceska mit dem Kaliber 7,65 Millimeter, mit der zwischen Herbst 2000 und Frühjahr 2006 acht türkische und ein griechischer Kleinunternehmer regelrecht hingerichtet worden waren – die so genannten Döner-Morde.

Nun hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen an sich gezogen: Es lägen „Anhaltspunkte dafür vor, dass die Mordtaten einer rechtsextremistischen Gruppierung zuzurechnen sind“. Es seien mehrere versandfertige DVDs an Nachrichtenagenturen und Islamische Kulturzentren gefunden worden, auf denen sich ein Propagandafilm einer Gruppe namens "Nationalsozialistischer Untergrund" befunden habe, berichten Nachrichtenagenturen. Die Filme offenbarten auch Täterwissen über die Imbissmorde, sagte der amtierende Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum. Und: „Bei der Durchsuchung der Zwickauer Wohnung wurde außerdem Beweismaterial sichergestellt, das auf eine rechtsextremistische Motivation der Mordtaten hindeutet.“

Politiker und Gewerkschafter haben sich entsetzt gezeigt – und stellen nun Fragen. Denn der Fall hat eine Vorgeschichte, in die auch der Verfassungsschutz verstrickt ist. Das Trio, von dem inzwischen nur noch die 36 Jahre alte Beate Zschäpe lebt, war 1998 nach dem Fund von vier Rohrbomben mit erheblicher Sprengkraft in ihrer Jenaer Wohnung untergetaucht. Alle drei gehörten dem „Thüringer Heimatschutz“ an, einem Neonazis-Trupp, der zu Hochzeiten offenbar 170 Mitglieder hatte. Der Kopf dieser Neonazi-Kameradschaft, die angeblich inzwischen nicht mehr aktiv ist, war V-Mann des Verfassungsschutzes.

Was wusste der Verfassungsschutz?

Was wusste der vom Verbleib des Trios? Die Thüringer Allgemeine schreibt: "Nach Informationen unserer Zeitung hatten sich die drei Untergetauchten unmittelbar nach Eintreten der Verjährung über einen Anwalt bei der Staatsanwaltschaft Gera gemeldet. Polizei und Justiz hatten damals keine weitere Möglichkeit für eine Beobachtung oder Ermittlungen. Es lag kein Straftatverdacht vor. Der Verfassungsschutz dagegen hätte beobachten dürfen und warnen können." Und an anderer Stelle: "Thüringer Polizisten, die einen Einblick in die Ermittlungen haben, sprechen auch von einem unangenehmen Mitmischen der Geheimdienste in diesem Fall."

„Da fragt man sich schon, was machen die Ermittlungsbehörden“, wird die Grüne Bundestagsabgeordnete Monika Lazar zitiert. „Und wozu haben wir die V-Leute des Verfassungsschutzes?“ Das Thüringer Landesamt sah sich zu der Erklärung veranlasst, dass „keine Anhaltspunkte dafür“ vorlägen, „dass sie bei der Flucht von staatlichen Stellen Unterstützung erhielten“. Der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl schloss inzwischen nicht aus, dass nun eine Verfassungsschutz-Affäre folgt: "Ich habe das Gefühl, das wird noch sehr interessant." Das Verfahren wegen der Rohrbomben gegen die drei Untergetauchten war übrigens 2003 eingestellt worden - was zum Beispiel von der Linksfraktion im Erfurter Landtag als falsches Signal bezeichnet worden war. „Diese Einschätzung hat sich jetzt bewahrheitet“, sagt nun die Innenexpertin der Linken, Martina Renner.

Die Tageszeitung fragt sich: Interessant zu erfahren wäre auch,
weshalb eigentlich im Zusammenhang mit toten Migranten stets so
schnell die Rede war von möglichen Kontakten der Opfer zum kriminellen
Milieu. Stehen Minderheiten hierzulande unter Generalverdacht, selbst
wenn sie umgebracht werden? - hier

Anfang 1998 hatte die Polizei in einer Jenaer Garage vier funktionsfähige Rohrbomben mit erheblicher Sprengkraft gefunden. Es war beileibe nicht der einzige Waffenfund bei Rechtsradikalen seither. Seitdem waren zwei Männer und eine Frau aus der Jenaer Neonaziszene auf der Flucht. 2003 wurden die Verfahren wegen Verjährung eingestellt. Der Fraktionschef der Thüringer Linken, Bodo Ramelow, hatte damals schon von einem fatalen Signal gesprochen. „Diese Einschätzung hat sich jetzt bewahrheitet, nachdem bekannt ist, dass die drei Personen mit neonazistischem Hintergrund eine Polizistin in Heilbronn 2007 ermordet haben und für mehrere Banküberfälle verantwortlich sind“, sagt die Landtagsabgeordnete. Die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Steffi Lemke fragte sich angesichts der „Mordserie von Rechtsextremen“: „Wacht die Bundesregierung jetzt endlich auf?“

"Politisch gesehen, ein kleines Erdbeben", kommentiert die Südwestpresse
den Fall in einem "Land, das jahrzehntelang gewohnt war, den Feind
unreflektiert in erster Linie im linken Lager zu verorten" - hier

Dass die Ermittlungen gegen Neonazis - zumindest was die Nutzung des Paragrafen 129a angeht – von einer deutlichen politischen Schieflage gezeichnet ist, war schon länger bekannt. Während das strafrechtliche Instrument oft gegen Linke zum Einsatz kam, blieb es gegen Rechtsradikale kaum benutzt. Oft ist zudem von einer Renaissance des so genannten Linksterrorismus die Rede - zuletzt im Fall der Brandanschläge auf Bahnanlagen in Berlin und Brandenburg. Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm hat unlängst allerdings in diesem Zusammenhang erklärt: „Wenn es Anzeichen gibt, dass sich das ausgeprägter in die terroristische Richtung entwickeln sollte, müsste man natürlich entsprechende Maßnahmen ergreifen. Aber im Moment ist das nicht zu erkennen.“

Was im Lichte der Vorwürfe gegen das Thüringer Neonazi-Trio für den mutmaßlichen Terror von Rechts nun womöglich anders zu bewerten ist. Der SPD-Innenminister in Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger, hält die Morde für Rechtsterrorismus: "Aus Rechtsextremisten sind Terroristen geworden. Wir müssen Konsequenzen daraus ziehen, dass die Täter sich jahrelang im Untergrund in Deutschland bewegen konnten." Wie die Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung berichtet, gehen die Behörden nun auch dem Verdacht nach, dass das Thüringer Neonazi-Trio für den Kölner Nagelbombenanschlag vom Juni 2004 und einen Bombenanschlag an derS-Bahn-Station Düsseldorf-Wehrhahn im Jahr 2000 verantwortlich sein könnte: Bei den beiden Attacken waren Dutzende Menschen, vor allem türkischer Herkunft und jüdische Aussiedler, zum Teil schwer verletzt worden.

Entsetzliche Blutspur

Die Gewerkschaft der Polizei erklärte, wenn sich die Beschuldigungen erweisen sollten, habe „in Deutschland erstmals eine rechtsextremistische Terrorzelle eine entsetzliche Blutspur hinterlassen“, so GdP-Chef Bernhard Witthaut. Was der dabei übergeht: Das Attentat auf das Oktoberfest 1980, bei dem 13 Menschen starben, geht jüngsten Erkenntnissen zufolge auch auf einen Neonazi zurück: Der angebliche „Alleintäter“ Gundolf Köhler war, so schrieb unlängst der Spiegel, „vor allem in seinem Studienort Tübingen in einem Milieu militanter Neonazis verwurzelt, die ihrerseits teils intensive Kontakte zu CSU-Funktionären pflegten“.

Übrigens: Noch im Sommer hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich angesichts der tödlichen Attacke von Anders Behring Breivik in Norwegen erklärt, er habe keine Hinweise auf „rechtsterroristische“ Aktivitäten in der Bundesrepublik. Ob es sich bei dem Thüringer Trio letztendlich um eine „terroristische Vereinigung“ im juristischen Sinne handeln könnte, sei dahingestellt: Der Bundesgerichtshof hat 2007 die Latte recht hoch gelegt. Die Süddeutsche berichtet unter Berufung auf Sicherheitskreise, es gebe keinerlei Hinweise, dass sich Rechtsextreme nach dem Vorbild der Roten Armee Fraktion zu ideologisch motivierten schweren Gewalttaten zusammengeschlossen hätten. "Wir haben keinerlei Anzeichen für eine solche strukturelle Gruppe". Noch seien die Zusammenhänge "absolut mysteriös".

Die Gefahr von rechts ist aber offenbar weit größer, als die Behörden bisher zugeben wollen. "Ich bin erschrocken darüber, dass in Deutschland Menschen wegen ihrer Herkunft getötet werden", sagte der Vorsitzende der Türkischen gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat. "Ich erwarte schnellst mögliche Aufklärung." Man werde "gleich morgen darüber sprechen und entsprechende Protestaktionen starten. Ich rufe die Deutschen auf, sich daran zu beteiligen und zu sagen: Das akzeptieren wir in unserem Land nicht."

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden