Es gibt Urteile, denen können Parteien kaum entfliehen. Nach der Europa-Schlappe der Sozialdemokraten wurde so viel über die kaputte SPD berichtet, dass die Partei prompt noch weiter absackte. Über die Linke heißt es überall, sie würde von der Krise nicht profitieren – auch hier folgt die Demoskopie der Beschwörung. Nur noch sechs Prozent erreichen Lafontaine und Genossen in der „politischen Stimmung“ der Forschungsgruppe Wahlen. Das klingt nach Absturz, nach PDS-Niveau. Bei der „normalen“ Sonntagsfrage kommt die Linke immerhin noch auf acht Prozent.
Zwei Jahre nach der Fusion von West-WASG und Ost-Sozialisten ist die Linke wieder dort angekommen, wo sie gestartet war: bei Umfragewerten aus dem Juni 2007. Das ist einerseits ke
erseits keine Katastrophe, auch die FDP hat gelernt, dass es wieder abwärts geht, wenn man nicht mehr hochgeschrieben wird. Für eine Partei mit dem Anspruch zu wachsen, sind die Zahlen andererseits ein Problem. Zumal auch die angepeilten Erfolge ausbleiben. Bei der Europawahl verfehlte man die Ziele klar, von Mobilisierungsschwierigkeiten und der wenig hilfreichen Wirkung von Parteiaustritten war die Rede – und immer wieder auch von einem medialen Gegenwind, der den Linken schärfer ins Gesicht blase als anderen.Es ist ein Topos, der schon die Geschichte der alten PDS begleitete und der nun wieder öfter auftaucht. Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch spricht von „Kampagnen“. Über Vorschläge der Partei finde „man kaum etwas in den Medien“, ärgert sich Oskar Lafontaine. Gregor Gysi meint, es gebe „eine mediale Phobie gegen die Linke”. Und auch Albrecht Müller, der frühere Wahlkampfchef der Sozialdemokraten, spricht von einer „offenbar abgestimmten Kampagne“, von einer „Medienbarriere“.Gegenseitiger NutzenDer Eindruck kann sich leicht einstellen, beweisen lassen sich solche Behauptungen umso schwerer. Nach Angaben des Mediendienstleisters Politikkompass fanden sich Positionen der Linken im vergangenen Jahr „in den Meinungsführermedien“ nur zu 1,5 Prozent. Was klar unter dem Anteil der Partei in Umfragen und bei Wahlen liegt – ein Problem, das auch FDP und Grüne haben, nur weniger deutlich. Im ersten Quartal 2009 tauchten die Liberalen beim Thema Steuern sogar „überproportional häufig“ auf. Das „Hohenheimer Mediaskop“ des Kommunikationswissenschaftlers Frank Brettschneider untersucht auch die Bewertung: Im Mai wurden zwar „alle Parteien überwiegend negativ“ in den Medien dargestellt, aber „am extremsten betrifft dies die Linkspartei“.Ja, die Partei, die sich am ehesten für Eingriffe ins Privateigentum ausspricht, wird in einer privatkapitalistisch organisierten Medienlandschaft schlechter behandelt. Aber ist das schon eine „Kampagne“? Die ökonomischen Bedingungen, die Mechanismen parteilicher Einflussnahme über Gremien, die klassenpolitischen Aspekte des Journalistenberufs – es ist wohl alles etwas komplizierter. Springer will im Wahljahr keine Anzeigen der Linken drucken. Aber Gysi macht Werbung für Bild.Zumal die veröffentliche Meinung nicht nur Begleiter der Politik ist, sondern von dieser auch genutzt wird. Hier ein Interna durchgestochen, dort ein programmatisches Interview platziert. Dabei geht es gern auch einmal gegen die Konkurrenz in den eigenen Reihen. Das hat gerade der Fall André Brie gezeigt. Ein Essay des scheidenden Europaabgeordneten im Spiegel war noch kurz vor der EU-Wahl bekannt geworden – die Rezeption beschränkte sich auf ein paar Schlagworte aus dem (im übrigen fehlerhaften) Vorabbericht. Die „Abrechnung eines Vordenkers“ ließ sich auch anders lesen: als nachdenklicher Beitrag. Die Umstände der Veröffentlichung allerdings lösten Reaktionen in der Partei aus, die auch Brie hat ahnen müssen. Die prominente Platzierung machte die eigentlichen Adressaten blind. Von „Wahlsabotage“ war in der Linken sogar die Rede. Auf seine Argumente selbst ging kaum jemand ein.Stattdessen wurde Brie vorgehalten, die Diskussion über den Kurs der Linken nicht innerhalb der Partei zu führen, sondern über die „bürgerlichen Medien“. Ein Vorwurf, der nirgendwo anders vorgetragen wurde als dort: im Spiegel. „Brie ist jemand, der nichts zustande bringt, außer über die Medien Kritik an der Linken zu äußern“, behauptet dort die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen. Dass sie Brie dann auch noch implizit seine IM-Vergangenheit in der DDR vorwarf, hat sogar in der Parteiführung für Verärgerung gesorgt. Kein Wunder: Das Stasi-Thema gilt eigentlich als Munition aus dem „Kampagnen“-Arsenal der Medien gegen die Linkspartei.