Unterschiedliche Signale

Regionalverkehr Die Warnstreiks sind mehr als eine tarifpolitische Auseinandersetzung. Es geht um Wettbewerb durch Lohndumping – und um die Konkurrenz zwischen den Bahngewerkschaften

„Chaostag auf Deutschlands Schienen“ titelte am Dienstag eine Zeitung, eine andere nannte den Bahnstreik im Regionalverkehr „unverständlich“. Während man das eine zum üblichen Dauerton zählen kann, mit dem Medien hierzulande über gewerkschaftliche Aktionen berichten, ist das andere wenigstens zum Teil nachvollziehbar: Worum es bei den Arbeitsniederlegungen geht, die am Dienstag vor allem in Bayern, Nordrhein- Westfalen und Hessen den Verkehr auf zahlreiche Strecken zum Stillstand brachten, ist ziemlich kompliziert.

Seit Wochen verhandeln Transnet und GDBA auf der einen sowie die Lokführergewerkschaft GDL auf der anderen mit sechs großen Privatfirmen auf der einen und der Deutschen Bahn AG auf der anderen Seite über einheitliche Tarifstandards im Regionalverkehr. Der in den neunziger Jahren losgetretene Wettbewerb wird hier vor allem auf Kosten der Gehälter der Beschäftigten ausgetragen – die Konkurrenz der DB AG zahlt ganz unterschiedliche Löhne bisweilen deutlich unterhalb des Bezahlungsniveaus, das bereits für etwa 90 Prozent der Beschäftigten im Schienenpersonen-Nahverkehr gilt. Aber auch der Staatskonzern hat mit der Auslagerung von Beschäftigten in Tochterfirmen längst den Weg des Lohndumpings beschritten.

Die Gemengelage ist kompliziert, was unter anderem an der Zahl der auf Arbeitgeberseite beteiligten Unternehmen liegt, die als zwei Verhandlungsblöcke auftreten. Die sechs großen privaten Anbieter – Abellio, Arriva, Benex, Hessische Landesbahn, Keolis und Veolia Verkehr – wollen ihre regionalen Lohnunterschiede beibehalten und eine einheitliche Bezahlung wie bei der DB Regio verhindern. Die Privatbahnen vermuten, dass es zumindest Transnet und der GDBA darum gehe, im Bündnis mit der Deutschen Bahn den Wettbewerb generell zu torpedieren. Der Anteil der Privatanbieter im Personenverkehr hat seit 2005 von 13,2 auf 20,3 Prozent zugelegt.

Es geht jedoch noch um mehr: um die Konkurrenz der Arbeitnehmerorganisationen in der Branche. Die GDL hatte sich mit ihrem Streik von 2007 und 2008 die Hoheit über alle tarifpolitische Fragen erkämpft, bei denen es um die Lokführer geht – zumindest bei der DB AG. Transnet und GDBA waren seinerzeit nur mäßig begeistert; inzwischen haben sich beide zur Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft zusammengeschlossen, die im Dezember ihre Arbeit aufnehmen wird. Als Tarifgemeinschaft sind die zwei Gewerkschaften bereits tätig, die GDL verhandelt für die Lokführer dagegen allein.

Ein Offener Brief der GDL-Spitze illustriert den gewerkschaftlichen Graben: „Mit Verwunderung“ habe man das Vorgehen beim Warnstreik zur Kenntnis genommen, schreibt der Bundesvorsitzende Claus Weselsky an die Chefs von Transnet und GDBA, da der Eindruck entstanden sei, dass auch Lokführer für Arbeitskampfmaßnahmen gewonnen werden sollten. Das wäre für die GDL ein Bruch mit seit März 2008 geltenden Grundlagentarifvertrag, in dem sich Transnet und GDBA verpflichtet hätten, für Lokomotivführer keine tarifpolitischen Forderungen zu erheben.

Die Wunde des damals geführten gewerkschaftsinternen Streits ist keineswegs verheilt: Gemeinsam mit der Bahn AG sei seinerzeit versucht worden, die „Emanzipation der GDL zu torpedieren“. Weselsky zufolge verhalte sich die GDL heute im Gegensatz dazu „solidarisch“ gegenüber den Forderungen von Transnet und GDBA – pocht aber auf die Alleinvertretung für die Lokführer. Auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den Wettbewerb über die Lohnkosten hatten sich GDL, Transnet und GDBA nach internen Verhandlungen nicht einigen können.

Während die GDL noch immer „eine solide Basis für eine Einigung“ und „zum jetzigen Zeitpunkt keine Notwendigkeit für Arbeitskampfmaßnahmen“ sieht, brachten Transnet und GDBA ihren Warnstreik auf den Weg. Man hoffe, hieß es am Montagmittag nach Ende der Arbeitsniederlegungen, dass die Unternehmen die „Signale“ verstanden haben.

Das wird sich womöglich bereits am Freitag zeigen, wenn die Deutsche Bahn zunächst mit Transnet und der GDBA zu einer neuen Verhandlungsrunde zusammenkommt. Am 1. November treffen sich die GDL und die sechs Privatbahnen, das nächste Gespräch zwischen Deutscher Bahn und den Lokführern ist für den 24. November angesetzt.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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