Vogt löst Drohsel ab: Juso-Bundeskongress in Essen

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Die Jusos haben einen neuen Vorsitzenden. Der Bundeskongress des SPD-Nachwuchses hat in Essen den 29-jährigen Sascha Vogt mit 68,1 Prozent an die Spitze des Verbandes gewählt. Gegenkandidaten gab es nicht. Franziska Drohsel, die im Mai nach knapp drei Jahren angekündigt hatte, das Amt zugunsten ihres beruflichen Fortkommens aufzugeben, wurde mit stehenden Ovationen verabschiedet. Vogt wird den Kurs von Drohsel im Großen und Ganzen fortsetzen. „Wenn ich sagen würde, jetzt wird alles ganz anders, wäre das unglaubwürdig“, sagt der Politologe. „Schließlich war ich ja schon ein Jahr im Bundesvorstand aktiv.“








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Andererseits haben sich die Rahmenbedingungen für die Jusos verändert: Die Mutterpartei ist nicht mehr in der Regierung, man ist jetzt „Oppositionsjugend“, wie Vogt es nennt. Einige Korrekturen könnte es zudem angesichts des Drucks aus den eigenen Reihen geben. Vor allem der „Pragmatischen Linken“ war die auf linke Grundsatzdebatten ausgerichtete Politik Drohsels oft ein Dorn im Auge. Nach der Rückzugsankündigung der 30-jährigen Juristin drängte die Pragmatische Linke „auf einen realpolitischeren Verband“ und forderte eine Urwahl des Vorsitzenden. In einem Antrag zum Bundeskongress wird eine Kurskorrektur eingefordert. Und auch die Offenheit gegenüber der Linkspartei stieß bei den Nachwuchs-Steinmeiers auf Kritik.

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„Die Strategie der Bundesjusos, sich primär am äußeren Rand des linkskonservativen politischen Spektrums gemeinsam mit der Linkspartei zu positionieren ist nicht erfolgreich“, bemängeln eine Reihe von Juso-Gliederungen in einem gemeinsamen Vorstoß. Vogt allerdings hat kurz nach seiner Wahl am Freitagabend erklärt, die SPD solle sich beim Umgang mit der Linken den „Schaum vor dem Mund“ sparen. Mit Blick auf 2013 plädiert Vogt für eine rot-rot-grüne Option. „Dass wir es nicht geschafft haben, aus bestehenden parlamentarischen Mehrheiten auch Regierungsmehrheiten zu machen, ist nichts worauf die SPD, die Grünen oder die Linkspartei stolz sein sollten.“

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Nun gibt es freilich Gründe, warum Rot-Rot-Grün als „linkes“ Reformprojekt nach wie vor kaum zu denken ist. Einer davon ist die Politik der SPD in elf Jahren Regierungsverantwortung. Vogt hat es am Freitag in Essen „eine Schande für die Sozialdemokratie“ genannt, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich nicht geschlossen hat, obwohl die SPD am Ruder war. Als Juso-Chef will Vogt, der an einer Doktorarbeit über Weiterbildung von Langzeiterwerbslosen sitzt und bei der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf tätig ist, weiter Druck auf die eigene Partei machen. „Die SPD muss wieder die Partei werden, die für soziale Gerechtigkeit steht“, hat Vogt in einem Interview erklärt – was man so verstehen muss, dass sie es derzeit nicht ist. Die Jusos, sagt ihr neuer Vorsitzender, haben da „noch die eine oder andere Auseinandersetzung mit der Partei vor sich“.

Aber auch im eigenen Verband. Die Kritik der „Pragmatischen Linken“ mag in der Konsequenz in die falsche Richtung gehen. Sie greift aber real durchaus existierende Probleme auf: Die größten Wahlverluste musste die SPD im Herbst 2009 bei jungen Wählern hinnehmen, bei den unter 35-Jährigen holten die Sozialdemokraten nur zwischen 17 und 18 Prozent. „Wir müssen uns die Frage stellen, warum der Juso-Bundesverband zunehmend seine kulturelle Anschlussfähigkeit an die junge Generation verliert“, heißt es denn auch in einem Antrag, den 30 Unterbezirke und mehrere Landesverbände unterstützen. Für die gleich mitformulierte Antwort, dies liege daran, dass sich die Jusos zu weit links positioniert haben, gibt es allerdings keine besonders treffsicheren Argumente. Man könnte genauso gut meinen, die schlechten SPD-Ergebnisse unter jungen Wählern seien die Folge einer Parteientwicklung, die noch viel zu wenig vom linken Juso-Sound übernommen hat. „Die große Mehrheit der jungen Menschen hat heute einfach keine Lust mehr auf Marx-Lesezirkel“, heißt es in dem Antrag. Aber lesen sie deshalb gern Agenda-Reden von Gerhard Schröder?

Man kann Franziska Drohsels Amtszeit als Versuch werten, das linke Profil der Jusos über Grundsatzdebatten zu schärfen – nicht nur als Reaktion auf die rot-grünen Regierungsjahre und das uneingelöste Versprechen der Mutterpartei, einen Politikwechsel herbeizuführen. Sondern auch, weil das Selbstverständnis als „sozialistischer Richtungsverband“ innerhalb der SPD nach einer Aktualisierung verlangte. Herausgekommen sind die 2008 auf einem Bundeskongress verabschiedeten 63 Thesen zur jungsozialistischen Politik.

Der neue Vorsitzende Sascha Vogt wird daran zu messen sein, wie es dem Verband gelingt, diese in konkrete Politik zu übersetzen und dafür erfolgreich in der SPD zu streiten. Um es an einem Beispiel klar zu machen: In den 63 Thesen taucht das Wort „Rente“ nicht einmal auf. Beim SPD-Bundesparteitag im September wird es aber unter anderem um eine sozialdemokratische Position zur Alterspolitik gehen. Rente mit 67, Förderung der Privatvorsorge, Bürgerversicherung etc. – dem Juso-Kongress in Essen lagen dazu bereits eine Reihe von Anträgen vor. Ganz auf die großen Linien wird aber auch ein Juso-Vorsitzender Sascha Vogt nicht verzichten: „Ich nehme schon wahr, dass viele Menschen zu der Einsicht gekommen sind, dass es so wie bisher nicht mehr weitergehen kann“, hat er kurz nach seiner Wahl in einem Interview erklärt. „Dabei geht es nicht um technische Details – etwa wie hoch der Spitzensteuersatz ist – sondern um einen Entwurf von Gesellschaft.“

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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