Vor Gericht: Der Fall Ramelow, die Linke und der Verfassungsschutz

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Seit Jahren diskutiert die Öffentlichkeit darüber, ob die Linke vom Verfassungsschutz beobachtet werden darf oder nicht. Es ist dies eine eigentlich politische Frage, beantwortet werden wird sie wohl zuerst juristisch: Der Thüringer Fraktionschef Bodo Ramelow hat sich in mehreren Instanzen, zuletzt vor dem Oberverwaltungsgericht, bestätigen lassen, „dass das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig Informationen“ über ihn gesammelt hat, während er Abgeordneter war. Nun könnte das Bundesverwaltungsgericht sogar eine Grundsatzentscheidung treffen: Nämlich darüber, „inwieweit die Erhebung personenbezogener Daten über ein Mitglied des Deutschen Bundestages oder eines Landtages aus allgemein zugänglichen Quellen ohne Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln (...) durch das Bundesamt für Verfassungsschutz zulässig ist, falls der betreffende Abgeordnete Mitglied und Spitzenfunktionär einer Partei ist, hinsichtlich derer tatsächliche Anhaltspunkte (...) für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen (...) vorliegen.“

"Die Revision ist unbegründet." (aus dem Antrag des Rechtsanwalts
von Ramelow an das Bundesverwaltungsgericht)

"Die Beobachtung ist rechtswidrig"
(Mitteilung des Oberverwaltungsgerichts Münster)

Vielleicht jedoch entscheiden die Leipziger Richter auch nur über den Einzelfall Ramelow. Der ist bis 2007 ausführlich in einem Buch dokumentiert (hier zum Download). Ramelow war schon in den achtziger Jahren ins Visier der Schlapphüte geraten, als er sich in Hessen gegen DKP-Berufsverbote ausgesprochen hat. Seine Akte folgte ihm nach Thüringen, wo er nach der Wende zunächst als Gewerkschafter, später als PDS-Politiker Karriere machte. Kommt es nicht zu einer Grundsatzentscheidung, wird Ramelow nach Karlsruhe ziehen. „Außerdem bleibt mir als letzter Schritt noch der Gang vor den Europäischen Gerichtshof“, sagt der 54-Jährige - und rechnet sich gute Chancen aus. „Da gibt es ein vergleichbares Urteil gegen den schwedischen Geheimdienst. Da bekam der Kläger sogar eine Entschädigungszahlung.“ Wegen staatlicher Observierung sind noch eine Reihe von weiteren Klagen anhängig, einzelne Linkenpolitiker, die Bundestagsfraktion und Abgeordnete wollen vor Gericht klären lassen, ob der Verfassungsschutz Daten über sie sammeln darf. Die bisherige Überwachung stützt sich auf „tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen“ in der Linken insgesamt wie auch in einzelnen ihrer Zusammenschlüsse. Besonders beeindruckende Erkenntnisse hat der politische Geheimdienst dazu allerdings nicht gewonnen - oder er hält sie zurück. In den Verfassungsschutzberichten jedenfalls findet sich mehr oder weniger Belangloses, mitunter auch Skurriles.

"Zahlreiche Indikatoren für linksextremistische Bestrebungen"
(der Verfassungsschutzbericht 2009 über die Linkspartei)

In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, wo die Linkspartei auch weiter beobachtet werden soll, musste sich das Landesamt so einiges zusammenreimen. Schließlich wissen die „Dienste“, dass „die Forderung nach einer Überwindung des Kapitalismus zugunsten eines demokratischen Sozialismus‘ allein (…) noch nicht zwingend extremistisch“ sein muss. Da ist freihändige Interpretation angesagt: Zur Formulierung aus dem Wahlprogramm der NRW-Linken, nach der „der Einsatz natürlicher Ressourcen sowie die Produktion und Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums rational, sozial gerecht, nachhaltig und demokratisch geregelt“ ablaufen soll, fiel den Verfassungsschützern ein: Mit den Elementen „rational, sozial gerecht, nachhaltig und demokratisch“ seien „alle Elemente enthalten, die auch die Forderung nach einer realsozialistischen Planwirtschaft denkbar erscheinen lassen“. Was man, aufgepasst, „insbesondere“ am Begriff „rational“ merken soll, der nämlich „entstammt marxistisch-leninistischem Sprachgebrauch“. Und es geht weiter: Am Satz „Nur so kann die freie Entfaltung jeder und jedes Einzelnen zur Bedingung der freien Entfaltung aller werden“ wird enthüllt, wie verwirrend das kommunistische Spiel mit den Worten sein kann. Dass die Linke „Entfaltung“ statt wie im Manifest „Entwicklung“ schreibt, zeige „unter Berücksichtigung des ständigen Bezugs der Partei auf Marx und Engels, dass“ diese Begriffe „sinngleich gebraucht werden“. Nun ja. Über Petra Pau, deren Akte über 600 Seiten dick sein soll, findet sich der beachtliche Hinweis, sie sei im April 2006 zur Vizepräsidentin des Bundestags gewählt worden. "Das mag ja manchem Verfassungsschützer suspekt sein, aber ein Beleg für meine Verfassungsfeindlichkeit ist das nicht", kommentiert Pau dies mit Ironie.

„Ich wünsche mir, dass das Grundsatzprogramm so ausfällt,
dass es danach keinen Anlass mehr zur Beobachtung gibt.“
(Thomas de Maiziere, Innenminister, äußert Wünsche an die Linke)

In Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg steht die Linke als Partei unter Beobachtung; in Rheinland-Pfalz, Sachsen, Schleswig-Holstein, Thüringen und Hamburg blicken die Landesämter mehr oder weniger intensiv auf "extremistische Strömungen". Für den Leipziger Prozess in Sachen Ramelow hat die Linkspartei Argumente zusammengetragen, mit denen belegt werden soll, dass die angebliche Verfassungsfeindlichkeit ein politisch gewollte Einbildung ist. Weder seien die vom Verfassungsschutz hervorgehobenen Zusammenschlüsse wie die Kommunistische Plattform und das Marxistische Forum innerhalb der Partei besonders relevant, noch könne man von davon auf die Partei als Ganzes schließen, heißt es in dem Antrag von Rechtsanwalt Peter Hauck-Scholz, mit dem beantragt wird, die Revision des Verfassungsschutzes zurückzuweisen. „Von dem, was die Mitglieder der Organisationen von sich geben würden, könne man halten, was man wolle, sagt Ramelow. In Parteien werde eben immer auch Abseitiges diskutiert, schließlich gelte das Gebot der freien Meinungsäußerung“, so heißt es in der Welt.

"Das Bundesamt vergeht sich also an der Verfassung, die es
eigentlich zu schützen hat." (aus einem Aufruf gegen die
Überwachung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz)

"Das ist einfach Kalter Krieg." (Bodo Ramelow im Interview)

Inzwischen, Ramelows Prozess hat das befördert, gibt es einen Aufruf von mehr oder weniger Prominenten, die ein Ende der Überwachung der Linken fordern. Auch aus dem rot-grünen Lager kommt Unterstützung: „Ich finde die Gleichsetzung der Linken mit der NPD oder anderen extremistischen Parteien insgesamt verfehlt“, zitiert die Berliner Zeitung heute den Grünen-Chef Cem Özdemir. Und der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD, Ernst-Dieter Rossmann, sagt: „Nach dem, wie sich die Linkspartei verhält, ist ihre Überwachung nach meinem Urteil keine Aufgabe mehr durch den Verfassungsschutz.“ Das Blatt schreibt allerdings auch: "Vertreter der SPD-Parteispitze wollten sich am Dienstag nicht äußern."

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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