Die Zustände bei der Berliner S-Bahn sind inzwischen legendär: Da kommt der Nahverkehr in der Hauptstadt wegen eklatanter Missstände bei der Wartung fast zum Erliegen. Kaum entspannt sich die Lage, stehen die Wagen schon wieder still. Jetzt ist einmal mehr die Aufregung groß, wieder wird nach Schuldigen gesucht, die Frage nach der Verantwortung gestellt. Und in der Politik greift mancher ganz tief in die Kiste mit den eindrucksvollen Argumenten: Ob die Bahn es denn überhaupt schaffe, „mit dem Saustall aufzuräumen“, fragt sich Berlins Senatssprecher. Und sein Kollege im Bundesverkehrsministerium will jetzt klären, wann in Berlin wieder Zustände herrschen, „die der westlichen Zivilisation angemessen“. Armes Abendland.
Der Preis für die absurdeste Äußerung geht jedoch nach Brandenburg. Der dortige SPD-Verkehrsminister Reinhold Dellmann fordert als Konsequenz aus dem Desaster die Neuausschreibung von Teilstrecken der S-Bahn, und zwar „so schnell wie möglich“. Das wäre nicht nur ein einmaliger Vorgang, schließlich läuft der Verkehrsvertrag zwischen der Stadt und der S-Bahn noch bis 2017. Das wäre auch eine einmalige Dummheit. Private Anbieter gewährleisten Mobilität nicht aus Freundlichkeit, sondern aus Gewinninteresse. Wer etwas bei der S-Bahn ändern will, sollte dafür sorgen, dass der öffentliche Nahverkehr als das behandelt wird, was er sein sollte: eine res publica, eine öffentliche Angelegenheit. Und keine des Marktes. Dellmann liegt mit seiner Hoffnung, ein zünftiger Wettbewerb mehrerer Unternehmen würde die Qualität des Nahverkehrs in der Hauptstadt verbessern, falsch. Was passiert, wenn kapitalistische Apparatschiks die Regie führt, kann man beobachten: an der Berliner S-Bahn.
Die ist zwar nominell noch in öffentlichem Eigentum, steht aber längst unter anderer Knute. Weil der Mutterkonzern Deutsche Bahn "wettbewerbsfähiger" werden und sich für den Börsengang schlank machen wollte, grassierte auch bei der S-Bahn die Sparpolitik. Von 2005 bis 2008 wurde ein Viertel der Stellen gestrichen – gerade in der Wartung. Gleichzeitig pressten Mehdorn und Co. ihre Tochter immer mehr aus. 2008 wollte der Vorstand einen Gewinn von 56 Millionen Euro sehen, in diesem Jahr sollte sich die Summe auf fast 88 Millionen Euro erhöhen, im kommenden Jahr waren sogar 125 Millionen Euro geplant.
Das ist, weil die Bahn ein Staatskonzern ist, vor allem ein politisches Problem. Dellmann will aber eine "ökonomische" Lösung. Mit einer Teilausschreibung von Strecken in Berlin, zu der er rät, würde die S-Bahn auf ihrem derzeitigen Kurs weiterfahren. Beziehungsweise stehen bleiben. Zum Glück ist der Mann nicht einmal in der SPD mehrheitsfähig. Die kann in Sachen Privatisierungskritik nicht verschont werden. Aber Berlins Regierender Klaus Wowereit hat richtig erkannt, dass die S-Bahn-Malaise vor allem den „blöden Börsengang“-Plänen des DB-Managements zu verdanken ist. Eine Alternative wäre der rasche Abschied der S-Bahn von dem Riesenkonzern – wie es inzwischen auch in der Berlin Sozialdemokratie erwogen wird. Möglich ist etwa, dass das städtische Unternehmen Berliner Verkehrsbetriebe zum Zuge kommt. „Dann hätte die Kommune immerhin einen direkten Einfluss darauf, wo investiert und wo gespart wird“, sagt der Verkehrspolitiker Christian Gaebler. Wettbewerb würde es dann höchstens um die politischen Entscheidungen geben, nach denen die S-Bahn geführt würde.
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