Was vom Hype übrigbleibt: Studie über Online-Wahlkampf

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Jürgen Rüttgers trommelt bei StudiVZ, die Sozialdemokraten lassen „kraftvoll“ im Wahlblog kochen, die Grünen bieten „kreative Aktionen“ zum Mitmachen im Internet an und auch die Linkspartei versucht Wahlkämpfer und potenzielle Wähler über das Netz zu aktivieren. Politmarketing dieser Art ist längst nichts neues mehr – und muss inzwischen auch ohne die Euphorie auskommen, die den Online-Wahlkampf vor anderthalb Jahren noch begleitete. Die Online-Obamania ist Geschichte und die „Bedeutung des Internets für politische Meinungsbildung im Wahlkampf ist überraschend gering“.

SPD: Kraftvoll – das Webrestaurant (mehr)
CDU: Pet Shop Boys und Kenny G – Rüttgers bei StudiVZ (mehr)
Grüne: Meine Kampagne – Versteiger dein letztes Hemd bei ebay (mehr)
Linkspartei: Linksaktiv und die „Seite für MitmacherInnen“ (mehr)
FDP: Pinkwart auf Youtube (mehr)

Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Hochschule Hohenheim. Die Allgegenwart von Politiker-Blogs, YouTube-Kanälen der Parteien und Facebook-Profilen von Kandidaten hat der Kommunikationswissenschaftler Thorsten Quandt zum Anlass genommen, einmal zu „analysieren, was vom Internetwahlkampf wirklich übrig bleibt, wenn sich der Hype einmal gelegt hat“. Dazu haben Quandt und seine Kollegen vom Lehrstuhl für interaktive Medien- und Onlinekommunikation den Online-Wahlkampf der Bundestagswahl vom Herbst 2009 mit den Ergebnissen zu vergleichen. Grundlage war eine repräsentative Forsa-Befragung von 1.000 Wahlberechtigten im vergangenen Dezember.

Trotz aller Web 2.0-Aktivitäten: Infos zur Hohenheimer Studie (mehr)
Website von Professor Thorsten Quandt mit Publikationsliste (mehr)

Die Ergebnisse der Studie in sieben Punkten:
- Trotz hoher Internetabdeckung informiert sich nur ein Drittel der Bevölkerung online über den Wahlkampf.
- Als Hauptinformationsquelle nennen die Wähler das Fernsehen (52 Prozent) und die Zeitung (22 Prozent). Das Internet folgt erst an dritter Stelle mit 13 Prozent, jedoch vor dem Radio (11 Prozent)
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Wichtigste Informationsquelle im Netz sind Nachrichten auf Portalseiten, gefolgt vom Internet-Angebot der Massenmedien. Foren, Blogs und Soziale Netzwerke folgen erst an letzter Stelle.
- Anders als in den USA: Dort nutzen zwei Drittel das Netz, um sich im Wahlkampf auf dem Laufenden zu halten. Soziale Netzwerke werden dreimal so intensiv zur Meinungsbildung vor der Wahl genutzt, wie hierzulande.

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Foren, Blogs und Sozialen Netzwerken sind zwar Schlusslicht, wahlkampfstrategisch jedoch noch der beste Weg, politisch desinteressierte Online-User zu erreichen.
- Aber: da sich die meisten User in Foren, Blogs und Sozialen Netzwerken passiv verhalten, kann eine vergleichsweise kleine Gruppe hier sehr leicht die Meinungsführerschaft an sich ziehen.
- Die vergleichsweise hohe Zahl junger Online-User lässt jedoch vermuten, dass die Bedeutungssteigerung des Internets noch bevorsteht.

Die Hohenheimer Studie lässt sich schwerlich auf einen Satz bringen. Quandt hat es trotzdem versucht, sein Fazit: Wahlkampf im Internet sei sicherlich nicht falsch, dürfe aber auch nicht überschätzt werden. Was sagen die Parteien in Nordrhein-Westfalen, wo am 9. Mai gewählt wird? Die Nachrichtenagentur APN hat nachgefragt. Angesichts von mehr als 70 Prozent der Erwachsenen, die online seien, sagt die SPD, könne man es sich gar nicht mehr leisten, dem Internet keine wichtige Rolle einzuräumen. Vor allem auf Jung- und Erstwähler richten sich die Hoffnungen. Die CDU erklärt, man profitiere stark vom Feedback, das die Partei über ihre Online-Angebote erhalte: „Dadurch können wir sehr viel früher und besser abschätzen wie unsere Aktionen auf der Straße ankommen“, so ein Sprecher. Und die Liberalen meinen, Online-Wahlkampf sei eine sinnvolle Ergänzung – würden die klassischen Wahlkampfmittel aber noch lange nicht ersetzen. Anders als das Internet, sagt der nordrhein-westfälische FDP-Hauptgeschäftsführer Ralph Sterck, hätten die allgegenwärtigen Plakate den entscheidenden Vorteil, dass man sich ihnen einfach nicht entziehen könne.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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