Weil es mein Job ist

Apa Sherpa 19 Mal stand der Nepalese schon auf dem höchsten Berg der Welt. Nun ist er zum Mount Everest zurückgekehrt

Anfang der Woche hat die Expedition mit dem eigentlichen Klettern begonnen. Die letzten Bäume ­lagen schon ein paar Tage hin­ter ihnen. Auch der Ort ­Namche ­Basar und das Kloster Tenboche. Auf dem Weg zum Basislager auf der nepalesischen Seite des Mount Everest hatten sie wie immer die ortsansässigen Lamas besucht. Ohne deren Gebete würde kein Sherpa den Aufstieg in Angriff nehmen. Und gegen den Rat der buddhistischen Lehrer keinen Plan weiterverfolgen, so gut gemeint er auch gewesen sein mag.

Nein, hatten die Priester gesagt, mit denen Apa Sherpa und die anderen die Sache besprachen. Nein war auch die Antwort des Bürgerkomitees. Es sei unheilvoll, Asche an einem heiligen Ort zu verstreuen. Selbst wenn es sich um die eines so berühmten Mannes handelt. Apa und die anderen hatten den Erstbesteiger Edmund Hillary, der 2008 starb und in der Khumbu-Region wegen seiner Hilfsprojekte hoch geschätzt wird, symbolisch noch einmal hinaufbringen wollen auf jene alb- und traumbehaftete Höhe von 8.848 Meter. Als Geste der Ehrbezeugung, als im wahrsten Sinne auf die Spitze getriebenes Ritual.

Der Plan wurde fallen gelassen, die Idee mit der Asche passt nicht in die Himalaya-Welt. Und was ist mit der Bergsteigerei? Ist es etwa heilvoll, dass viele bei dem Versuch ums Leben kommen, der Welt aufs Dach zu steigen? Manche Tote liegen an den Routen und zeigen sich, in grotesken Posen steif gefroren, wenn der Schnee es will. Ist überhaupt vertretbar, was als romantisch-verklärter Kampf von Männern aus dem Westen gegen die „Natur“ und andere Männer begann und heute längst ein florierender Wirtschaftszweig geworden ist, der sich über die Vorstellungen der regionalen Kulturen hinwegsetzt und die Bewohner der Täler am Everest schwere Lasten den Berg hinauftragen lässt?

Ein zerrissenes Bild

Arme Sherpas also? Die Antwort ist nicht ganz so einfach. Die Anthropologin Sherry B. Ortner hat einmal ein Bild gezeichnet, das die Zerrissenheit ernst nimmt, die man spürt, wenn man sich mit Hochträgern und Bergführern beschäftigt. Versagte Anerkennung, schlechte Ausrüstung, die Abhängigkeit von der seltsamen Traummaschine einer anderen Welt. Einerseits. Anderseits aber auch die Chancen. Denn das kommerzielle Bergsteigen am Everest verheißt nicht nur zahlungskräftiger Kundschaft aus dem Ausland ein besonderes Abenteuer. Sie habe den Sherpas auch Wege eröffnet, meint Ortner, „ihre Gesellschaft zumindest teilweise im Sinne ihrer eigenen Vorstellungen zu transformieren“.

Die Basis dafür ist die vergleichsweise gut bezahlte Arbeit, die das „Unternehmen Everest“ den Bewohnern der Khumbu-Region gebracht hat. Apa Sherpa ist einer von ihnen. Und ein wenig ist er es schon nicht mehr.

Apa ist der einzige Mensch, der den Everest 19 Mal bestiegen hat. Der 20. Versuch, den er in diesen Tagen als „Climbing Leader“ der von Dawa Steven Sherpa organisierten Expedition unternimmt, wäre der nächste Rekord – neuer Höhepunkt einer besonderen Karriere. Geboren zwischen 1960 und 1962, musste Apa Sherpa als Zwölfjähriger nach dem Tod des Vaters als Träger anheuern. Er wurde Küchenhilfe, arbeitete sich hoch bis zum Sirdar, wurde zum gefragten Begleiter, verdiente Geld – und lebt heute in den USA. Es gehe ihm nicht um Rekorde, sagt er. „Ich will helfen, die Situation in meiner Heimat zu verbessern.“

Apa ist ein berühmter Bergsteiger geworden. Und zugleich ein Träger geblieben – einer von Botschaften. Der diesjährige Aufstieg ist beladen mit Sinn: Wie schon frühere Expeditionen, die den Abfall des Tourismusgeschäfts vom Everest holten, steht auch diese unter einem grünen Stern. Allein letztes Jahr habe man „fünf Tonnen Müll runtergebracht“.

Schattenseiten, Überdrehungen

Zum ökologischen Anspruch und der ursprünglich geplanten Hillary-Ehrung kommen noch das Marketing zum „Nepali Year of Tourism 2011“, für das auf dem Gipfel eine Flagge gehisst werden soll. Und schließlich die Lobbyarbeit für Apa Sherpas eigene Stiftung, die sich um Bildung in den Khumbu-Dörfern verdient machen will. So verquer es klingt: Erst das kommerzielle Bergsteigen mit all seinen Schattenseiten und Überdrehungen bietet ihm die Möglichkeit dazu.

In dieser Saison will der US-Teenager Jordan Romero als jüngster Bergsteiger den Everest bezwingen – mit 13 Jahren. Die Japanerin Eiko Funahashi wird es ebenfalls versuchen – und wäre mit 70 Jahren die älteste Frau auf dem Gipfel. Wer vermögend genug oder ausreichend verrückt ist, kann den Normalanstieg von Norden im Internet buchen: 61 Tage zum Pauschalpreis von 25.680 Euro. Mehr als 30 Expeditionen haben sich dieses Jahr angekündigt, sie werden wieder um das schmale Zeitfenster im Mai konkurrieren, in dem die Aufstiegsversuche des Frühjahrs starten. Und nichts wird gehen ohne die Dienstleistungen unzähliger Sherpas und anderer Träger.

Noch immer berufen sich viele Bergtouristen, die von der Sehnsucht nach dem Everest gepackt wurden, auf den legendären George Mallory. Bevor der Engländer 1924 am Everest verschollen ist, hat er sein Motiv, den höchsten Berg der Welt zu besteigen, in den einprägsamen Satz gefasst: „Weil er da ist.“

Die Sherpas haben andere Gründe. Sie gehen „nicht zum Spaß hoch, nicht für sich selbst“, sagt Apa, der Vater von vier Kindern. Für ihn „ist es ein Job“ mit langer Anreise. Irgendwann wird er nicht nur für eine nächste lohnende Expedition nach Nepal zurückkehren. Sondern für immer.

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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