Wirklich Ernst machen? Ingo Schulze, die Intellektuellen und die Krise

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Er würde noch gern erzählen, schreibt Ingo Schulze, „dass es darauf ankommt, sich selbst wieder ernst zu nehmen und Gleichgesinnte zu finden, weil man eine andere Sprache nicht allein sprechen kann“. Aber Schulzes Text bricht vorher ab. Man kann das als journalistischen Kunstgriff ansehen, oder aber als Ausdruck eines allgemeinen Symptoms: Krise, Kapitalismus, Arm und Reich – das „ist alles so offensichtlich“, dass man dazu kaum noch etwas sagen möchte. Weil mit dem Reden darüber, mit jeder Anklage auch der Kontrast zur gesellschaftlichen Untätigkeit, zum eigenen Zaudern immer bedrängender wird. Schulzes Appell in der Süddeutschen hat viel netztypische „Gefällt mir“-Beachtung gefunden. Auch deshalb, weil das Gefühl, das Denken, dass es doch eigentlich „jetzt um die einfachen Fragen“ geht, so verbreitet ist wie die Hilflosigkeit, die sich in einem ausbreitet, wenn nach den Konsequenzen gefragt wird und man bemerkt, dass doch fast alle bloß zuschauen (Harald Welzer). Es geht um oben und unten, darum, wem es nützt und wer daran verdient – und also, und hier fängt es dann an spannend zu werden, darum wie man es ändert.

Schulze schreibt dazu nichts. Sein Text handelt ja auch mehr von der eigenen Sprachlosigkeit, die beendet wird, um sichtbar zu machen, dass „die Intellektuellen schweigen“. Nur: Stimmt das überhaupt? Liegt das Problem wirklich darin, dass niemand redet, schreibt, appelliert, kritisiert? Ist es nicht eher so, dass zwar das Offenkundige heute bis weit in die Mitte der gesellschaftliche Öffentlichkeit hinein behandelt wird, wo Krise und Kapitalismus auf eine Weise zum Thema geworden sind, die man vor vier, fünf Jahren kaum für möglich gehalten hätte – dass aber daraus nichts folgt, was unmittelbare, praktische, sichtbare gesellschaftliche Wirkung entfaltet? „Alles könnte anders sein“, den Spruch soll sich Nils Minkmar über seinen Frankfurter Redaktionstisch gehängt haben. Aber wir kann es das auch werden? Haben wir es nicht weniger mit einem Problem des ausbleibenden Sprechens zu tun, als mit einem der Organisation der Intellektuellen, der Möglichkeit zur kollektiven Aktion, zur praktischen Bündnisfähigkeit?

„Wir sind am Ende der Aufklärungsphase; nun geht es darum, Ernst zu machen mit unseren Einsichten, mit der Wiedereroberung der kaputten Parlamente, Redaktionen, Fakultäten. Kurzum, dass auch Intellektuelle sich dem notwendigen, langweiligen, demokratischen Alltagsgeschäft stellen“, hat Mathias Greffrath unlängst in der Tageszeitung gefordert. Und das wäre keineswegs „defensiv“, wie er vorauseilend und rhetorisch jene fragt, die das womöglich anders sehen. Im Unterschied zum gegenwärtigen Stand, in dem eine kleine Auswahl von Menschen auf einer ebenso kleinen Auswahl von Kanälen „die Intellektuellen“ repräsentiert, wäre das „Ernst machen“ ein großer Schritt. Nur: Worin könnte er bestehen? Ebenfalls in der Tageszeitung hat Ingo Arend vor ein paar Tagen von einer Diskussionsrunde in Berlin berichtet. Ingo Schulze war auch dabei, in seinem Text in der Süddeutschen vom vergangenen Donnerstag klingt viel von dem an, was bei der „Intervention“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt gesagt wurde.

Intervention? Natürlich gehört der „Versuch, diskursives Terrain zu gewinnen“ dazu. Aber müsste da nicht mehr kommen, etwas von dem, das Ingo Arend als „wirklich Ernst“ machen mit der Systemveränderung bezeichnet, also als den „Quantensprung vom bloß engagierten zum ,intervenierenden‘ Intellektuellen“ – der sich, das wäre hinzuzufügen, nicht auf die journalistische Klage über das „Schweigen“ der Kollegen, oder das Fehlen der linken Gegenkonzepte (Franz Walter) beschränken dürfte. „Man erkennt die Präsenz oder Existenz eines Akteurs in einem Feld daran, dass dieser den Zustand des Felds verändert“, zitiert die Redaktion der Zeitschrift Sozialismus in der aktuellen Ausgabe Pierre Bourdieu – und schreibt: „Wer sich damit bescheidet, Forderungen an die politischen Eliten zu stellen, verändert das Feld noch nicht. Wenn es aber nicht verändert wird, bleiben diejenigen sozialen Kräfte, die einen ,Paradigmenwechsel‘ bewirken können, passiv.“ (siehe auch Rainer Rilling über Bourdieu, die Intellektuellen und die Linke.) Womit wir wieder bei Schulze wären: „Gleichgesinnte zu finden, weil man eine andere Sprache nicht allein sprechen kann“, das ist nicht bloß eine Frage der Wiederbesetzung diskursiver Räume, in welchen die jahrelange „Vertreibung alternativer Gedanken“ (Roger Willemsen) erfolgreich war. (siehe auch Mario Candeias über die Frage, ob es neue "Vermittlungsintellektuelle" braucht.) Es reicht eben nicht, wenn Intellektuelle für sich, individuell ein „Schweigen“ brechen, aber nichts gegen jene Zustände unternehmen, in denen auch das kritischste Reden bloß zu den üblichen Betriebsgeräuschen gehört.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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