Meine Republikgeburtstage

Früher kannte ich nur einen Republikgeburtstag, jetzt zwei. In diesem Wandel zeigt sich, dass der Übergang von der Mangel- zur Konsumgesellschaft ...

Früher kannte ich nur einen Republikgeburtstag, jetzt zwei. In diesem Wandel zeigt sich, dass der Übergang von der Mangel- zur Konsumgesellschaft vollzogen wurde. Früher, als ich nur einen Republikgeburtstag hatte, war der am 7. Oktober. An dem war arbeitsfrei und man wurde in Ruhe gelassen. Anders als am 1. Mai. Da konnte man als Student oder Assistent, zumal ledig, schlecht eine Ausrede finden, um sich die Demo zu ersparen. Aber es hat trainiert. Schließlich war es die gleiche Strecke, die die Leipziger im Herbst 1989 gingen - einmal davon abgesehen, dass dann vor dem Fress-Ex keine Tribüne mehr mit den frierenden Genossen stand. Der 1. Mai zeigte, wie sehr in der DDR das Politische das Private kolonisierte, oder einfacher gesagt: Dass man nicht in Ruhe gelassen wurde. In diesem Jahr wurde ich an meinem neuen Republikgeburtstag, dem 3. Oktober, wieder nicht in Ruhe gelassen. Wieder war arbeitsfrei. Gleich zum Frühstück wurde ich angerufen. Eine Frau freute sich, dass ich es persönlich sei und stellte sich mir vor. Sie teilte mir mit, dass Quelle sein 75-jähriges Firmenjubiläum habe und dass es deswegen tolle Sonderangebote in den Bereichen Haushalt, Freizeit, Heim und Garten gäbe. Sie würden mir versandkostenfrei zugestellt und ich bekäme noch ein Geschenk dazu. "Brauchen Sie irgendwas aus den Bereichen Haushalt, Freizeit, Heim und Garten?" fragte mich die muntere Stimme. - Es ist immer dasselbe! Zu ihren Feiertagen rufen mich meine Republiken immer in ganz spezieller Weise auf oder an. Die Erziehungsdiktatur wollte mich erziehen und meine Überzeugung haben - die Konsumdiktatur will mich animieren und mein Geld. Während mir in der DDR deutlich gemacht wurde, dass mein kleiner bescheidener "Beitrag zur Stärkung der sozialistischen Gesellschaft, der Sicherung des Friedens und der Verhinderung einer nuklearen Katastrophe" immer noch zu gering sei, macht mir die Bundesrepublik deutlich, dass ich mit meinem konsumfaulen Verhalten unser aller Volkswirtschaft immer weiter in die Rezession treibe. Ich soll kaufen. Nicht, dass ich nichts brauchte ... Vielleicht sollte man DDR-sozialisierte Konsummuffel, die sich immer noch vor einer konjunkturfördernden Überschuldung des Familienhaushalts ihrer "Ich-AG" drücken, mit altgewohnten Kommunikationsformeln gewinnen. Zum Beispiel könnte man die Losung "Weniger schaffen mehr" in "Mit immer weniger immer mehr kaufen" umwandeln, und eine Konsum-Aktivisten-Bewegung ins Leben rufen - vielleicht verknüpft mit dem neuentwickelten "Frida-Hockauf-Konsum-Kredit" oder der "Adolf-Hennecke-Cash-Line". Dann können auch die Emittenten an der Börse wieder den alten SED-Spruch recyceln: "Unser Kurs ist richtig."

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