Der Staat ist dein Freund

Plädoyer Starke Nationen helfen im Kampf gegen den Autoritarismus, sagt Michael Bröning
Ausgabe 21/2018
Willy Brandt befand, „die Sache der Nation sei (...) bei der demokratischen Linken besser aufgehoben als bei anderen“
Willy Brandt befand, „die Sache der Nation sei (...) bei der demokratischen Linken besser aufgehoben als bei anderen“

Foto: Sven Simon/Imago

In Zeiten von weltweit wachsendem autoritären Nationalismus ist das Konzept des Nationalstaats aus rechter wie linker Sicht in der Krise – nur aus entgegengesetzten Gründen. Einen Ausweg aus diesem starren Links-rechts-Schema versucht Michael Bröning mit einem dezidiert linken Lob der Nation. Bröning, der bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung das Referat Internationale Politikanalyse leitet, beruft sich damit auch auf den Begründer der letzten wirklich goldenen Zeit seiner Partei. Willy Brandt wurde 1972 mit einem „Stolz sein auf unser Land“ als Kanzler wiedergewählt. Brandt befand, „die Sache der Nation sei (...) bei der demokratischen Linken besser aufgehoben als bei anderen“.

Heute halten weite Teile dieser Linken die Nation für ein reichlich kontaminiertes Konstrukt. Bröning erinnert daran, dass diese (National-)Staatsverachtung ein wesentlicher Bestandteil auch der neoliberalen Ideologie ist, die in den 1990er Jahren nach den konservativen auch die sozialdemokratischen Parteien des Westens eroberte.

Eine von Brönings zentralen Thesen lautet, dass allein der Nationalstaat die historische Leistung der Sozialdemokratie, nämlich den nationalen Wohlfahrtsstaat, aber auch internationale Solidarität, garantieren könne. Schließlich werde die größte Zahl kriegerischer Auseinandersetzungen heutzutage nicht mehr zwischen Staaten ausgetragen, sondern gerade in Gebieten mit zerfallender Staatlichkeit. Als vorbildliches Modell für Migrationspolitik präsentiert Bröning hier Kanada mit seinem „Dreiklang aus Auswahl, Begrenzung und Großzügigkeit“. Hier muss man freilich konstatieren, dass die humanitäre „Großzügigkeit“ Kanadas sich mit der „Rekordzahl von 46.000 Flüchtlingen“ im Vergleich zum Rest der Welt in eher komfortablen Dimensionen bewegt.

Ein historisches Beispiel für die Befriedung einer Region durch supranationale Zusammenschlüsse ist dagegen Europa. Doch auch dieses Projekt stecke derzeit in multiplen Krisen, die letztlich vor allem auch eine Krise der Demokratie in Europa offenbarten. Bröning bemerkt, dass die von Beginn an wirtschaftsliberal-technokratische DNA der Europäischen Union die Krise des fehlkonstruierten Euro ebenso verursacht, wie sie sich umgekehrt an ihr weiter konsolidiert habe. Das Demokratiedefizit der EU lasse sich aber nicht einfach durch eine stärkere Parlamentarisierung beheben. Demokratische Legitimität könne momentan nur von den Nationalstaaten kommen. Bröning plädiert für ein „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“, in dem souveräne Mitgliedstaaten einer europäischen Konföderation selbst entscheiden, wie viel Integration in welchen Bereichen für sie sinnvoll oder überhaupt möglich ist.

Vernünftige Globalisierung

Dass die Souveränität von Nationalstaaten nicht das Gegenteil, sondern erst die Voraussetzung von supranationalen Zusammenschlüssen ist, gilt für Bröning auch auf globaler Ebene, etwa der Vereinten Nationen. Er konstatiert, dass gerade Länder, die von den vergangenen Jahrzehnten der Hyperglobalisierung am stärksten profitierten, auf starke Nationalstaatlichkeit setzten, etwa China, Japan, Südkorea und Taiwan. Demgegenüber standen die marktradikalen Experimentierfelder in Lateinamerika und Subsahara-Afrika. Auch hier liegt für Bröning die Lösung in einer flexiblen, „vernünftigen Globalisierung”“

Michael Bröning hat ein lesenswertes, pointiert geschriebenes Plädoyer vorgelegt, für progressive Ziele erst einmal bestehende Strukturen zu nutzen und zu stärken. Dass er dabei manchmal etwas zu sehr im Status quo verhaftet bleibt, kann man seinem „dialektischen Zwischenruf“ so weit verzeihen, wie er politische Visionen damit nicht überflüssig, sondern vielmehr ihre Realisierung erst möglich machen will.

Info

Lob der Nation : Weshalb wir den Nationalstaat nicht den Rechtspopulisten überlassen dürfen Michael Bröning Dietz 2018, 112 S., 12,90 €

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Geschrieben von

Tom Wohlfarth

Politische Theorie und Kultur

Tom Wohlfarth

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