Es hat unser Bild von der Welt radikal verändert, als im Jahr 1972 die US-Raumfahrtbehörde NASA eine Farbfotografie des Planeten Erde veröffentlichte. Aufgenommen aus dem Weltraum, von der Besatzung der Apollo 17, sollte das Bild der „Blue Marble“, der „Blauen Murmel“, weltberühmt werden. Diesen unseren Planeten in all seiner sublimen Schönheit und Verletzlichkeit so im Nichts schweben zu sehen, hat damals nicht zuletzt der entstehenden Umweltbewegung regen Zulauf beschert.
Unsere Sicht auf die Welt zu verändern, ist auch das Ziel des Magazins für Kartografik und Sozialwissenschaft, Katapult, laut Selbstbeschreibung das „weltweit beste Karten-Magazin Greifswalds“. Dort gegründet 2015 mit dem Ansinnen, die Sozialwissenschaften in Sachen bildgebende Verfahren auf die Höhe der Zeit zu bringen, hat Katapult inzwischen eine Auflage von mehr als 50.000 Exemplaren und über 20.000 Abonnenten. Viermal im Jahr veranschaulicht es in bunten Landkarten und witzigen Grafiken, wie etwa die Welt vom Südpol aus betrachtet aussieht, wie wenigen Medienkonzernen wie viele deutsche Zeitungen inzwischen gehören oder auch wie viele Bäume für die aktuelle Ausgabe des Magazins abgeholzt wurden. Katapult übrigens druckt allerdings seit 2019 klimaneutral, die für die Papiergewinnung abgeholzten Bäume werden wieder aufgeforstet, was übrigens viel weniger kostet, als man denken könnte.
Klimaneutral auf Recyclingpapier gedruckt wird nun auch nach den 100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern, das Buch 102 grüne Karten zur Rettung der Welt. Und gleich das Titelbild zeigt uns, was das Weltklima verbessern könnte. Auf dem Titel abgebildet ist ein mittelgroßes schwarzes Quadrat auf weißem Grund, umgeben von grünem Wasser, geopolitisch neutral eingepasst zwischen Russland, China und Indien. Es ist die Fläche Wald, die gepflanzt werden müsste, um die Welt CO₂-neutral zu machen, etwa 900 Millionen Hektar.
Aber ganz so einfach ist es freilich nicht. Im Buch erfahren wir zu dieser Karte, dass wohl „nur zwei Drittel der weltweiten CO₂-Überlastung durch Aufforstung abgefedert werden können“. Oberstes Ziel der Klimapolitik muss also die Reduktion der Emissionen bleiben. Und das nächste die Umstellung auf erneuerbare Energien: Nur ein Hundertstel der besagten Waldfläche etwa würde reichen, um die gesamte Welt ausschließlich mit Solarstrom zu versorgen.
Ein origineller Optimismus
Nichts ist einfach, und doch zeigt diese Karte, was möglich ist – zumindest theoretisch, in pointierter Abstraktion. Konkreter wird es auf der folgenden Seite, die all die Weltregionen zeigt, in denen Aufforstung tatsächlich sinnvoll wäre. Denn das ist sie natürlich nicht nur in jenem schwarzen Planquadrat in Asien, sondern in ganz vielen anderen Regionen auch. Seit die Menschheit vor 12.000 Jahren sesshaft wurde, ist die Zahl des weltweiten Baumbestands um sagenhafte 46 Prozent geschrumpft. Katapult zeigt uns, wie das in der unvermeidlichen Vergleichsgröße Fußballfeld aussieht.
Überhaupt ist das zweite wichtige Kommunikationsmittel dieser grafisch ansprechenden Karten – neben der optischen Zuspitzung – der Humor, der originelle Optimismus und auch die satirische Zuspitzung. Etwa wenn unter der Überschrift „Dinge, die warm werden“ unserem Planeten ein frisch gezapftes Bier an die Seite gestellt wird – mit der traurig-wahren Anmerkung, dass uns das Warmwerden nur in einem der Fälle stört. Natürlich ebenfalls nicht fehlen dürfen niedliche, bedrohte wie bedrohliche Tiere. Wer sich etwa ein Pferd hält, verursacht damit pro Jahr fast die doppelte CO₂-Belastung eines durchschnittlich genutzten Pkw (dessen „Pferdestärken“ hin oder her). Das entspricht auf der Karte in etwa einem Roadtrip von Wladiwistok nach Kapstadt. Und auch wenn eine Katze nach dieser Rechnung im Jahr nur einmal von Amsterdam nach Barcelona fahren würde, sind unsere kuschligen Hausgenossen hierzulande doch zugleich eine der häufigsten Todesursachen für Vögel: 100 Millionen von ihnen fallen Hauskatzen zum Opfer, mehr schaffen nur Glasscheiben. Durch Windräder dagegen stirbt gerade einmal ein Tausendstel davon, nämlich 100.000 – und auch das ließe sich vermeiden, wenn man die Stromerzeuger farbig anstriche.
Mit Abstand die allermeisten Tiere sterben in Deutschland freilich allein, um vom Menschen gegessen zu werden: nämlich beinah eine Milliarde im Jahr. Würde man allerdings die ganzen Hühner, Schweine und Rinder auf unseren Tellern durch Mehlwürmer ersetzen, stiege dadurch die Individuenzahl zwar erheblich – die Klimabelastung aber sänke um mehr als 90 Prozent. In anderen Weltregionen ist der Verzehr von Insekten übrigens weitverbreitet.
London wird Barcelona
So könnte man nun ewig fortfahren. Auch die übrigen dieser großartigen Karten und Grafiken (und Suchbildern!) zeigen neben Näherliegendem – etwa den bei weiterem Anstieg des Meeresspiegels künftig im Wasser verschwindenden deutschen Städten (Emden wäre womöglich schon 2100 die erste) oder der größten Müllinsel der Welt im Verhältnis zu Deutschland (4,5-mal so groß) – auch Abwegigeres (aber dadurch nicht weniger Aufschlussreiches): etwa die vielen „Staaten, die weniger CO₂ ausstoßen, als der weltweite Pornokonsum im Internet verursacht“, oder auch „Städte umbenannt in Städte, deren Temperatur sie im Jahr 2050 haben werden“: Berlin wird San Marino, Helsinki Wien und London wird Barcelona.
All diese Karten aber versuchen den Anspruch einzulösen, über die ästhetische – und nicht nur intellektuelle – Erfahrung einen effektiveren Übergang zum Handeln zu bewirken – oder zumindest den Zugang zu einem Thema zu erleichtern. Wie weit sie damit tatsächlich zur Rettung der Welt beizutragen vermögen, sei zwar einmal dahingestellt. Hoffnung aber machen sie allemal. Aktuell zeigte Katapult zuletzt etwa eine Karte zum Coronavirus, die veranschaulicht, dass die Fälle der Corona-Erkrankten „beständig abnehmen“, die „Genesungsfälle höher sind als die Zahl der Neuerkrankungen“.
Info
102 grüne Karten zur Rettung der Welt Katapult (Hg.), Suhrkamp, 203 S., 22 €
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