Hauptwiderspruch

Philosophie Slavoj Žižek denkt virulente Fragen neu, etwa wie Identität Klassengegensätze naturalisiert
Ausgabe 07/2021
„Die beste konzise Definition von Faschismus lautet: die Ausweitung von Identitätspolitik auf den Bereich des Klassenkampfs“, so Slavoj Žižek
„Die beste konzise Definition von Faschismus lautet: die Ausweitung von Identitätspolitik auf den Bereich des Klassenkampfs“, so Slavoj Žižek

Foto: Everett Collection/IMAGO

Als vor bald einem Jahr ein winziger Reproduktionskörper names Sars-CoV-2 die Welt in die zumindest vordergründig größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg stürzte, war es kaum verwunderlich, dass einer der weltweit (re)produktivsten Intellektuellen in geradezu pandemischer Geschwindigkeit auch einer der Ersten war, der bereits im Mai ein ganzes Buch zum Thema vorlegte und den gespenstischen Erreger sogleich im Sinne seines eigenen Lieblingsgespenstes deutete. Gemeint sind natürlich Slavoj Žižek und der Kommunismus.

Žižeks Pandemie-Büchlein vertrat unter anderem die These, dass nur eine Form von „Katastrophen-Kommunismus“ die Welt vor dem Abgleiten in die Barbarei bewahren könne. Ein „geistreicher Schnellschuss“, urteilte die taz, das verzögerte Erscheinen der deutschen Übersetzung im Herbst machte das freilich nicht besser. Und während hierzulande auch Teil zwei noch auf sich warten lässt, ist es umso erfreulicher, dass ein neuer Aufsatzband von Žižek auf Deutsch erscheint, der sich der Idee eines „neuen Kommunismus“ eingehend widmet – auch wenn es dabei nur ganz am Rande um Corona geht. Dennoch lässt diese Krise viele Probleme virulent(er) werden, die schon vorher bestanden und durch die neue Krise keineswegs verschwinden: etwa Ungleichheit, Menschenfeindlichkeit, Klimawandel. Insofern liest man mit Gewinn, wenn Žižek hier die wichtigsten (und einige abseitige) Themen der vergangenen Jahre aufrollt: vom Rechts- wie Linkspopulismus über das Konsensvermögen von Sexrobotern bis zum konservativen kanadischen Kämpfer gegen politische Korrektheit und „Kulturmarxismus“, Jordan Peterson.

Gleich der erste Text, zum zombiehaft-ambivalenten Erbe Karl Marx’, mündet in ein Thema, das vielleicht auch das zentrale der Pandemie ist: die Frage nach der Macht des Staates. Sei Marx noch von deren Verfall ausgegangen – worin er bis heute linke wie liberale Nachfolger hat –, bedeutet Žižeks Vorstellung vom Kommunismus eine starke staatliche Autorität (die sich freilich durch demokratische Kontrolle vom totalitären Kommunismus unterscheiden soll). Und war diese Autorität nicht eines der auffälligsten Comebacks des vergangenen Corona-Jahrs? Unabhängig davon, ob diese Autorität ihrer Verantwortung gerecht wurde, ist zumindest die Aufmerksamkeit dafür enorm gewachsen, dass unsere viel gelobten liberalen Freiheiten sämtlich auf einer dichten staatlich garantierten Infrastruktur an Gemeingütern ruhen, nicht zuletzt etwa der Gesundheitsversorgung. Man könnte hier geradezu von einem Kommunismus des Alltagslebens sprechen.

Vorbilder Greta – und Corona

Was dessen Florieren allerdings im Wege steht, ist der leidige Kampf zwischen Identitäts- und Klassenpolitik, der sich durch fast alle Texte des Bandes zieht. Žižek dazu bündig: „Die beste konzise Definition von Faschismus lautet: die Ausweitung von Identitätspolitik auf den Bereich des Klassenkampfs.“ Denn dadurch werden die Klassengegensätze naturalisiert und auf Dauer gestellt.

Ein westliches Proletariat entdeckt gegenüber subproletarischen Migranten seine (relativ privilegierte) weiße Identität; auf der anderen Seite kennt ein politisch korrekter Antirassismus keinen anderen Feind mehr als eben diese weiße Arbeiterklasse. So verfehlen beide den „Hauptwiderspruch“ des Kampfes gegen die eigentlich herrschende Klasse. Ähnlich erfolglos muss ein linker Populismus bleiben, wie Žižek messerscharf an Aufstieg und Fall der griechischen Partei Syriza analysiert.

Bleiben als Vorbilder für echte radikale Politik noch Greta Thunberg und Daenerys Targaryen, die Drachenkönigin aus der Fantasy-Reihe Game of Thrones. Und natürlich das Coronavirus, dem der Schlusstext gilt. Trotz bester Lektüre sind wir also doch auch gespannt auf das neue Pandemie-Buch.

Info

Ein Linker wagt sich aus der Deckung. Für einen neuen Kommunismus Slavoj Žižek Michael Adrian, Frank Born, Karen Genschow (Übers.), Ullstein 2021, 352 S., 22,99 €

Pandemie! COVID-19 erschüttert die Welt Slavoj Žižek Aaron Zielinski (Übers.), Passagen 2020, 112 S., 15,30 €. Der zweite Band ist soeben auf Englisch bei Polity erschienen und wird im Mai auf Deutsch veröffentlicht

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Geschrieben von

Tom Wohlfarth

Politische Theorie und Kultur

Tom Wohlfarth

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