Provinzposse um Satirekundgebung

Satiregate Eine kleine Satirekundgebung im Leipziger Stadtteil Connewitz sorgt derzeit für Aufregung in Stadt und Lokalpresse. Eine Geschichte aus einer provinziellen Großstadt

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Der Stadtteil Connewitz in Leipzig ist weitaus berüchtigter, als es der recht beschauliche Kiez eigentlich hergibt. Von der ehemaligen Hausbesetzerszene ist nicht mehr viel übrig, die mittelgroßen Silvesterkrawalle sind friedlicher als so manche offiziöse Silvesterparty in anderen Städten und die Punker werden auch nicht gerade mehr. Was zunimmt ist die Zahl der Bioläden, Kneipen und anderer gastronomischer Einrichtungen.

Für die Lokalpresse ist Connewitz trotzdem nach wie vor ein Schreckgespenst, das für so manche Story herhalten muss. Dabei muss man wissen, dass es in Leipzig faktisch nur eine Zeitung gibt: Die Leipziger Volkszeitung - kurz LVZ. Zwar gibt es auch einen Lokalteil in der BILD, wie auch eine eigene kleine Onlinezeitung (die Leipziger Internetzeitung, L-IZ), aber der lokalpolitische Diskurs wird nach wie vor maßgeblich durch die LVZ bestimmt.

Lokalpolitisch gab es in Leipzig, wo am 25. Mai ein neuer Stadtrat gewählt werden soll, in jüngster Zeit vor allem zwei heiß diskutierte Themen: Ein Moscheebau im Stadtteil Gohlis sowie die Unterbringung von Asylsuchenden und Geflüchteten in den Stadtteilen Wahren und Schönefeld. Zu beiden Themen haben sich an den jeweiligen Standorten in rasender Eile Bürgerinitiativen gegründet, die mit offenen Briefen, Kundgebungen und Pressemitteilungen meist recht unverholen - und nicht selten unter tätiger Hilfe von bekannten lokalen und regionalen Nazikadern - rassistische Stimmungsmache betrieben haben.

Doch zurück nach Connewitz: Dort hat das örtliche Bürgeramt Anfang des Jahres neu eröffnet. Vorher war das Amt wegen diverser Beschädigungen monatelang geschlossen. Zusätzlich zum Bürgeramt hat in der gleichen Einkaufspassage ein kleiner Polizeistützpunkt eröffnet. Der ist - zurückhaltend gesprochen - bei dem im Kiez nach wie vor recht großen linksalternativen Milieu nicht gerade auf Begeisterung gestoßen. Das kann man komisch finden, verstehen oder auch mit Kopschütteln von sich weisen. Unabhängig davon, wie man selbst die Reaktionen auf die kleine Polizeistation findet, muss man sich die Frage stellen, ob das mit der Errichtung des kleinen Polizeipostens verbundene Ziel, mehr Sicherheit und Ruhe in den Stadtteil zu bringen, nicht möglicherweise mit der getroffenen Maßnahme selbst kollidiert.

Ein paar Spaßvögel haben für vergangenen Freitag unter dem Titel "Gegen Minderheiten-Politik im Rathaus" zu einer Kundgebung gegen den neuen Polizeiposten aufgerufen. Das war nicht die erste Spaßdemo im Kiez. Bereits zu Silvester 2011 wurde unter dem Motto 'Yuppies gegen Bullenterror' demonstriert. Der Aufruf vom vergangenen Freitag ähnelt dann auch nicht nur dem Titel nach einer Kundgebung der Bürgerinitiative "Leipzig steht auf". So hießt es im Connewitzer Aufruf:

Wo diese „Polizei“ ist, steigt die Kriminalität, das weiß jeder und ist wissenschaftlich belegt! Wo diese „Polizei“ ist mangelt es an Parkplätzen für die Connewitzer! Wo die ihre „Posten“ errichten steigt die Umweltbelastung durch Feinstaub, weil sie andauernd mit laufendem Motor vor der Tür stehen und Ziellos umherfahren!

Für den Aufruf verantwortlich zeichnete sich die Initiative "No Police District" - also kurz: NPD. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Angemeldet hatte die Kundgebung die Linke-Stadträtin Juliane Nagel, seit vielen Jahren über die Grenzen Leipzigs für ihr Engagement gegen menschenfeindliche Ideologien bekannt und in Connewitz selbst zweifelsfrei ein bunter Hund. Letztlich sind zwischen 120 bis 200 Personen gekommen, wobei die Veranstalter selbst wohl von wesentlich weniger Menschen ausgegangen waren. Die Kundgebung selbst war eine bunte Mischung aus mal mehr mal weniger guten Scherzen, den üblichen Sprüchen gegen "die Cops" aber auch selbstironischen Bezügen, absurden Schildern, Punkern, Studenten und Familien.

Die Organisatoren hatten offenkundig viel Aufwand in die Vorbereitung gesteckt und zahlreiche Schilder gebastelt. Zwar gab es auch ein eher langweiliges und vermutlich bereits altes Banner mit der Aufschrift "Ganz Connewitz hasst die Polizei", aber dieses ging im Schilderwald fast unter: Von "Euch mögen wir hier nicht", "Dafür sind wir 98 (!) nicht auf die Straße gegangen", "Wir sind das Volk" (und dazu passend: "Ich bin Volker") über "Warum?", bis hin zu "Geht noch dach drüben - in die Südvorstadt" (ein Nachbarstadtteil), "Ich hab die Haare schön" und "Hallo Mutti" war das gesamte Repertoire an umgedichteten und gänzlich neuen Variationen von Sprüchen, die ein wütender Mob eben so braucht, vorhanden.

Zwei Minuten hätten gereicht, um festzustellen, dass es sich hier nicht um eine Hass-Demonstration gegen die Polizei, sondern um ein satirisches Projekt - von dem man freilich halten kann, was man will - gehandelt hat. Dies wurde durch den vor Ort gehaltenen Redebeitrag unterstrichen, der faktisch nichts weiter war, als ein Feuerwerk an Wutphrasen und Redewendungen. So hieß es beispielsweise sinngemäß (Auszug):

Das was hier passiert, spottet jeder Beschreibung. Es ist kein Tropfen auf dem heißen Stein, sondern der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Dem stellen wir uns entgegen, denn das Fass ist voll und zu viele Polizisten verderben den Brei! [..]

Wir sind uns aber unserer Verantwortung bewusst, gießen kein Benzin ins Feuer und werden aus Mücken keine Elefanten machen, die dann im Porzellanladen randalieren. Deshalb: Notunterkünfte für Polizisten. [..] Wir sagen aber auch: hier nicht, die Mieten sind jetzt schon zu hoch, die Kinder haben Angst, anderswo ist auch noch Platz. Alles andere kommt uns nicht in die Tüte, verbietet der klare Menschenverstand und wäre ein unmoralisches Angebot dass wir empört abzulehnen gezwungen sind. [..]

Wir stehen hier und verteidigen den gesunden Menschenverstand, die Moral, das Abendland, die Aufklärung, unsere Heimat, unsere Familien und Kinder sowie Anstand und Ethik. Wir wissen, wir sind nicht alleine. Wir sind der Wald, der zurückruft, wir sind die Stimme des Volkes, die Festung der Vernunft, das Bollwerk des Fortschritts. Wir sind die Mauer und das Volk.

Aber wie immer wenn Menschen versuchen witzig zu sein, passiert das, was jedem Stand-Up-Comedian vermutlich mehrfach in der eigenen Karriere begegnet: Der Witz ist schlecht, zündet nicht, niemand lacht. Manchmal reicht auch nur, dass der Humor oder der Alkoholpegel der Beteiligten sich deutlich unterscheidet. So war das auch bei und vor allem nach dieser Kundgebung. Ein paar betrunkene Punker sind nicht müde geworden, den gefühlt 100-Jahre-alten ACAB-Spruch zu rufen. Vereinzelt wurden wohl auch Tampons geworfen und Hinterteile entblößt. Das ist alles nicht neu, für die Meisten vermutlich auch nicht sonderlich komisch - aber eben auch völlig ungefährlich.

Dass überall dort, wo Veranstaltungen auf offener Straße stattfinden und zum Mitmachen eingeladen wird, keine ausgeklügelte Choreographie oder Bühnenshow stattfindet, ist zu erwarten. Insbesondere Demonstrationen und Kundgebungen sind ein Magnet für skurille Gestalten, Splittergruppen jedweder Art, Leute mit komischen Hüten und häufig auch für an- bis betrunkenes Publikum. Das dürfte für alle, die wenigstens einmal eine Demonstration besucht haben, wahrlich nichts Neues sein.

Nur die Stadtspitze der Leipziger Linkspartei, vertreten durch den Stadtvorsitzenden1 Volker Külow und den Fraktionsvorsitzenden der Linken im Stadtrat zu Leipzig, Sören Pellmann, seines Zeichens Sohn des ehemaligen Stadtvorsitzenden und langjährigen Landtagsabgeordneten Dietmar Pellmann, haben das nicht bemerkt. Nachdem bereits im Vorfeld der Kundgebung und auch am Tag darauf Berichterstattung und Kommentare in der Presse bis auf einen Beitrag des L-IZ Redakteurs Michael Freitag doch deutlich negativ ausfielen, war am Montag weitgehend Ruhe im Karton. Immerhin hat es sogar die BILD geschafft, Juliane Nagel als Anmelderin zu Wort kommen zu lassen. Diese stellte klar, dass aus ihrer Sicht eine Satire-Aktion besser sei "als eine illegale Demo" und sie auch nichts gegen die Polizei in ihrer Gesamtheit hätte. Angekommen ist allerdings auch das nicht bei der Spitze der Linkspartei. Statt froh zu sein, dass bereits am Montag Gras über die Sache mit der engagierten aber eigenwilligen Stadträtin gewachsen ist, legten beide Funktionäre drei Tage nach der Veranstaltung nochmal nach.

Das Ergebnis ist, dass die Kundgebung am Dienstag mit Bild und insgesamt vier Beiträgen ausführlich die Titelseite des LVZ-Lokalteils schmückte. Neben einem Großen Artikel über den vermeintlichen Streit in der Linkspartei kommen unter anderem die vier anderen größeren Parteien und wahllos ausgewählte Bürgerinnen und Bürger zu Wort.

Leipzig diskutiert nun aufgeregt über das 'Satire-Gate'. Bereits die Polizei hatte es am Freitag geschafft, sich in einer Pressemitteilung zur Frage, was Satire dürfe, zu äußern:

Kurt Tucholski stellte einst die in der Überschrift aufgeworfene Frage und antwortete: „Alles." Schade, dass er die Fragen nach dem Wer und Wie nicht so eindeutig beantwortet hat.

Sören Pellmann, der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei in Leipzig, lässt durch die Presse durchstellen, dass Satire "etwas anderes" sei und empört sich:

„In unserem Programm steht eindeutig, dass wir die Polizei als Partner und Verbündeten betrachten [..] das deckt sich in keinster Weise mit der Position von Frau Nagel.“

Dass Juliane Nagel nie etwas anderes behauptet, vielmehr mit einer recht ähnlichen Position zuvor in der BILD zitiert worden ist, erwähnt Pellmann nicht Was denn dieses "andere", also was Satire ist, bleibt er ebenso schuldig. Pellmanns Kollege, der Stadtvorsitzende Volker Külow, hält es tatsächlich für nötig darauf hinzuweisen, dass der Aufruf der Spaßguerillos von der "NPD"-Connewitz "nicht die offizielle Haltung der Linken" ist (sic!). Der Fraktionsvorsitzende der SPD bläst ins gleiche Horn. Er meint zumindest ebenfalls zu wissen, was Satire nicht ist:

"Wenn es um Vandalismus und Sachbeschädigung geht, fällt das nicht mehr unter Satire. Dann geht es gegen jegliche Ordnungsmacht."

Damit wissen wir zwar noch nicht, was Satire ist, aber schon einmal, dass Sachbeschädigungen und Ordnungsmacht nicht Gegenstand solcher sein darf. "Unanständig" sei die Kundgebung auf jeden Fall, so der hauseigene LVZ Kommentator. Zu Wort gemeldet hat sich am Dienstag schließlich auch noch der Erfinder und Gründer der 'Front Deutscher Äpfel', Alf Thum. In einer Mitteilung, die unter dem Schlagwort 'Satiregate' verbreitet wird, heißt es dort:

Es ist [ein] zentrales Element von Satire, mit Überspitzungen, Ironie und haltlosen Behauptungen zu arbeiten. Es mit einer satirischen Demoaktion immer allen Recht zu machen ist nicht möglich. Denn Satire spaltet, ist nicht für jeden gleichermaßen lesbar und ist letztlich immer ein wenig riskant und Geschmackssache. Satire arbeitet sich gern an Autoritäten ab. Ich finde es unnötig, dass nun Politiker und Funktionäre meinen, sich über einen allgemein gültigen Satirebegriff verständigen zu müssen. Ich fordere ultimativ alle Beteiligten mit dem Hinweis: ‘Es ist Karnevalszeit!’ auf, sofort die Empfindlichkeiten einzustellen.

Diese Debatte, ausgetragen in der einzigen gedruckten Lokalzeitung und mehrheitlich ausgefochten durch piefige Lokalredakteure und graue Parteifunktionäre, dürfte die Frage, was Satire sei und darf, kaum beantworten können. Aber wenn man den Eminenzen aus Lokalpolitik und den Leipziger Parteien zuhört, wird zumindest eines klar: Was Realsatire ist. Provinz ist eben auch dort, wo man sie nicht vermutet.

1 Vormals wurde an dieser Stelle auf eine ehemalige Tätigkeit der benannten Person Bezug genommen. Da es jedoch primär um die Reflektion der Satirekundgebung als auch der Debatte über diese geht, wurde der Verweis nach einer Leserzuschrift entfernt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tomas Vanollin

Freier Autor aus Leipzig. Stadt, Land, Politik, Kommentare. Oder: alles außer Fußball und Oper.

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