Das Gesetz, das hinten im Bus mitfährt

Legislative Ein schräges politisches Vorgehen verbirgt manch neuen Paragraphen vor den Augen der Öffentlichkeit
Ausgabe 12/2019
Je heimlicher der Erlass kommt, desto knalliger muss der Protest sein
Je heimlicher der Erlass kommt, desto knalliger muss der Protest sein

Foto: Imago/IPON

Vor ein paar Jahren gab es Aufregung um das Tarifeinheitsgesetz. Das ist umstritten, weil es die Rechte bei gewerkschaftlicher Betätigung in Betrieben betrifft, in denen es mehr als eine Gewerkschaft gibt. Kleinere Organisationen sehen ihre Koalitionsfreiheit gefährdet, die Sache kam nach Karlsruhe, die Regierung musste nachbessern. Das tat die Große Koalition – in größter Eile kurz vor Fristablauf und unter falscher Flagge: Die Änderungen wurden an das Qualifizierungschancengesetz drangehängt.

Omnibusverfahren nennt man das. Wo Qualifizierung draufstand, steckte alles Mögliche drin: Betriebsratsfragen wurden neu geregelt, die Hofabgabe für Landwirte in Rente abgeschafft, eine Änderung in Sachen Altersdiskriminierung beschlossen. Klingt irgendwie effizient, ist auch erlaubt, ein Aufwasch und so. Bringt aber Probleme.

Nicht nur, was die öffentliche Debatte angeht, die sich an Überschriften orientiert, weniger am Kleingedruckten. Worüber streiten, wenn es öffentlich so scheint, es gebe gar keinen Anlass? Na klar, manchmal sitzt im Bus auch eine gute Idee: dass Schwerbehinderte und eine Begleitperson unentgeltlich im Nahverkehr fahren dürfen, wurde seinerzeit an ein Gesetz angeheftet, in dem es um betriebliche Altersversorgung ging.

Im „Omnibus“ fahren aber nicht nur themenfremde „Passagiere“ mit, sondern gern auch Lobbyisten. Unlängst wurde das Terminservice- und Versorgungsgesetz verabschiedet, die Nachrichten waren voll mit kontroversen Reaktionen. In Wahrheit ist die Novelle aber randvoll mit noch ganz anderen Neuregelungen – da geht es um die elektronische Gesundheitsakte, medizinische Hilfsmittel, Bezahlung von Physiotherapeuten und um etwas, das der Zahnarztlobby wichtig war. Eine Zeitung nannte das Gesetz „ein gutes Terrain für Interessengruppen“.

Und Interessen haben viele. Wir erinnern uns: Das Gesetz zum Staatstrojaner wurde in einem Gesetz zum Führerschein-Entzug versteckt. Nebeneffekt war, dass zu diesem wichtigen Zeitpunkt im Vorfeld kaum über das umstrittene Thema diskutiert wurde. So wie beim Tarifeinheitsgesetz. Öffentlich ist über die „Nachbesserung“ kaum gesprochen worden. Gewerkschaften beklagen jetzt, dass die Novelle die Situation „in mancherlei Hinsicht“ sogar noch verschlechtere. Wer daran Interesse hatte, dem wird der „Omnibus“ ganz recht gekommen sein.

PS: Es wurde erneut Verfassungsbeschwerde gegen das Tarifeinheitsgesetz eingelegt. Mal sehen, ob abermals Nachbesserungen nötig werden. Und in welchem Gesetz diese dann beschlossen werden.

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