Wer die öffentliche Meinung nicht zu verachten versteht", warnte einst Hegel, "wird es nie zu Großem bringen". Der Rat des Philosophen wird hier zu Lande vor allem von Politikern beherzigt, besonders gern in Sachen Afghanistankrieg.
Im Juni 2007 sprachen sich in einer Infratest-Umfrage 54 Prozent der Deutschen für ein Ende der Mission am Hindukusch aus, Anfang des Jahres ermittelte Emnid eine Mehrheit von 61 Prozent, die dafür plädierte, die Bundeswehr noch 2008 aus Afghanistan abzuziehen. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Doch die deutschen Soldaten sind weiter im Einsatz, geschickt von deutschen Politikern.
Reiner Braun von der Friedensinitiative ILANA sieht in der verbreiteten Ablehnung des Militäreinsatzes ein "Zeichen der Friedenssehnsucht der Bevölkerung". Gerade erst kamen in Hannover rund 400 Aktivisten aus über zehn Ländern zusammen, um über Wege zum Frieden in Afghanistan zu beraten. Im Frühjahr liefen Aktionswochen, auf den Ostermärschen sah man allerorten die Forderung "Bundeswehr raus aus Afghanistan". Die Bewegung müht sich redlich.
Dennoch tut sich ein Graben auf zwischen der demoskopischen Wirklichkeit und der Realität der Straße. Würde nicht hin und wieder eine Afghanistan-Umfrage erhoben, die Mehrheit der Abzugsbefürworter bliebe nahezu unsichtbar. Zwar lehnten viele die Intervention ab, weiß auch Braun, der den Kongress in Hannover mitorganisiert hat, "doch gleichzeitig sind nur wenige Menschen bereit, sich gegen diesen Krieg zu engagieren".
Das mag auch mit der Unbeirrtheit zusammenhängen, mit der die Politik den Bundeswehreinsatz im Parlament ein ums andere Mal gerechtfertigt, verlängert und ausgeweitet hat. So verfestigt sich der Eindruck, es lohne sich nicht mehr, dagegen anzukämpfen. Selbst den Dissidenten innerhalb der Parteien, die das seit 2001 gültige Mandat unterstützen, gelingt es kaum noch, das Bild von der großen Afghanistan-Koalition aus SPD, CDU und CSU zu durchbrechen. Opposition gegen den Kriegskurs erscheint da allenfalls als Kampf von ein paar sympathischen Sancho Pansas gegen die Windmühlenflügel des Systems.
Etwa die Unionspolitiker Willy Wimmer und Peter Gauweiler, die sich wieder und wieder für einen Abzug ausgesprochen haben. Ähnliches hört man im Bundestag sonst nur von der Linkspartei. "Um Gottes willen", sagt Gauweiler und beantwortet die Frage, ob denn seine Klage gegen den Bundeswehr-Einsatz nicht vielleicht doch ein linkes Anliegen sei mit einem strikten "Nein". Er sei "eher rechts als links", fordert als CSU-Politiker aber dennoch, "diesen verrückten Krieg zu beenden". Auch Wimmer wäre es "am liebsten, die Bundeswehr würde aus Afghanistan nach Hause kommen". Zu Ikonen eines konservativ-bürgerlichen Friedenslagers wurden die beiden bisher aber nicht - weil es ein solches Lager offenbar nur in Umfragen gibt. 48 Prozent der Unions-Wähler sind für ein Ende des Bundeswehr-Einsatzes am Hindukusch.
Auch die Zurückhaltung der Gewerkschaftszentralen macht der Friedensbewegung zu schaffen. Zwar sind unter denen, die über alle Täler der Bewegungskonjunktur hinweg Aktionen organisieren und Unterschriften sammeln, zahlreiche Kollegen aus DGB-Organisationen. Aber auf die organisierende und werbewirksame Kraft einer Kampagne des Dachverbandes können die Aktivisten vor Ort nicht zählen. "Der Krieg am Hindukusch ist derzeit kein Thema, auch nicht bei den Gewerkschaften", wurde gerade erst der DGB-Landeschef von Sachsen-Anhalt und Niedersachsen, Hartmut Tölle, zitiert.
Am meisten aber dürfte den organisierten Gegnern des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr zu schaffen machen, dass viele von denen, die den Militäreinsatz grundsätzlich kritisch sehen, zwangsläufig auf die Frage stoßen, ob ein Abzug der ausländischen Soldaten die Lage vor Ort tatsächlich verbessern würde. Eine Antwort hat die Bewegung nicht, sondern zwei, die sich gegenüberstehen.
Anfang des Jahres hatte mit Andreas Buro einer der Mentoren der Friedensszene einen "Vorschlag für eine zivile Strategie" in Afghanistan vorgelegt. Jede Diskussion "unter dem Vorzeichen Wenn morgen alle Truppen abziehen" sei "völlig unrealistisch", heißt es darin. "Eine stabile und sichere Ordnung" könne "nicht allein durch den Abzug" von Truppen erreicht werden. Die Menschen in Afghanistan würden sich erst für Frieden engagieren, wenn eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erkennbar sei. Ein schrittweiser Abzug, so die Forderung von Buro, müsse deshalb mit neuen Konzepten für den Wiederaufbau verbunden werden. So denken nicht wenige unter der Pace-Fahne.
Ganz anderer Ansicht sind die Linkspartei-Politikerin Christine Buchholz und Peter Strutynski, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag. In einem gemeinsamen Papier kritisieren beide, dass die Befürworter langfristiger Exit-Konzepte und eines schrittweisen Abzugs der Bundeswehr einer "langfristig angelegten Stationierung (...) die Tür" aufhielten. Ohne Besatzung, so die Logik, fehle auch der Grund für den "bewaffneten Widerstand". Das Argument der desolaten Sicherheitslage ziehe immer weniger, seit immer mehr Hilfsorganisationen ihren Rückzug vorbereiteten, weil es keinen Fortschritt in Afghanistan gäbe. Wie Buro, stehen auch Buchholz und Strutynski keineswegs allein mit ihrer Meinung.
Einigkeit besteht immerhin darin, dass eine militärische langfristig keine Lösung ist. Es gebe "sehr viele Überlegungen zur Exit-Strategie", sagt Braun. Und niemand in der Friedensbewegung behaupte, bereits den "Stein der Weisen" gefunden zu haben. Man wolle aber Impulse geben: Bis zum Herbst, wenn im Bundestag wieder eine Abstimmung über den Afghanistan-Einsatz ansteht, solle die "Ablehnungsfront" weiter wachsen. Ein länderübergreifendes Netzwerk soll dabei ebenso helfen wie größere Demonstrationen im September.
Die "dringendste Aufgab" sei es, sagt Peter Strutynski, die Lücke zwischen der demoskopischen Friedensbewegung und den Aktivisten zu schließen. Das Potenzial ist groß, wenn man den Meinungsforschern glaubt. Im Februar, in einer der bisher letzten Umfragen zum Afghanistan-Krieg, stimmten 55 Prozent der Deutschen für einen möglichst schnellen Abzug der Bundeswehr.
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