Einen der vielleicht letzten Versuche, die Ratifizierung des Lissabon-Vertrages doch noch zu stoppen, erledigte der Bundestag vor einer Woche mit der üblichen Routine. Ein Antrag der Linksfraktion, das Verfahren auszusetzen, landete in den zuständigen Parlamentsausschüssen. "Gibt es dazu anderweitige Vorschläge?", fragte Vizepräsidentin Susanne Kastner noch aus reiner Höflichkeit. "Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen."
Eine Chance, das nach Ansicht von Kritikern antisoziale, undemokratische und militaristische Vertragswerk zu stoppen, hatte man ohnehin nicht. Zu groß ist die Mehrheit der Befürworter in der Politik, auch wenn viele gar nicht wissen, was in dem Vertrag steht. "Ziemlich lückenhaft" sei die EU-Kenntnis, lautet nach einer Umfrage unter Abgeordneten das Urteil des Vereins Mehr Demokratie. Nun muss noch der Bundesrat seinen Segen geben. Etwas anderes als die benötigte Zwei-Drittel-Mehrheit ist nicht zu erwarten.
Wenn am 23. Mai die Vertreter der Länder über den Text entscheiden, sitzt auch das rot-rote Berlin in der Runde. Die vier Stimmen aus der Hauptstadt haben zwar wenig Bedeutung für das Votum - wohl aber für SPD und Linkspartei. Während Bürgermeister Klaus Wowereit immer wieder betont, die "Stadt Willy Brandts" dürfe sich der europäischen Idee nicht verweigern, lehnt die Berliner Linkspartei eine Zustimmung ab. Das ist keineswegs nur eine Frage der Kritik des EU-Vertrags, sondern mehr noch eine der Behauptung gegenüber dem Koalitionspartner.
Das letzte rot-rote Regierungsprojekt steht in der Linken seit langem unter besonderer Beobachtung. Die Berliner Genossen werden als Speerspitze der Regierungslinken wahrgenommen, die Koalition erscheint vielen als Sündenpfuhl der Realpolitik, als Beleg für den Anpassungsdruck im Bündnis mit der SPD. Beispiele dafür muss man nicht lange suchen: Als der Bundesrat 2005 die später gescheiterte EU-Verfassung ratifizierte, stimmte Berlin trotz der Einwände der PDS mit Ja ab.
Das soll sich nun nicht wiederholen. Nach der Wahlschlappe von 2006 ist der Respekt vor der Basis offenbar gewachsen. Im Landesverband fände sich nie und nimmer eine Mehrheit für die Zustimmung, heißt es. Zwar gibt es auch in den eigenen Reihen Stimmen, die die Chancen des Lissabon-Vertrages betonen und die frühe Festlegung der Partei auf ein Nein kritisieren. Die Linksfraktion im Bundestag, derzeit das politische Zentrum der neuen Linken, hat aber keinen Zweifel daran gelassen, wie hoch der symbolische Wert veranschlagt wird, der sich aus der Opposition gegen den Vertrag ziehen lässt. Im Bundestag sind sonst nur noch ein paar Einzelgänger gegen die neu aufgelegte Quasi-Verfassung.
Im Februar 2008 hatte Berlin im Bundesrat gegen eine Entschließung zum Lissabon-Vertrag gestimmt. Kurz vor der endgültigen Bundesratsabstimmung im Mai wird sich der Landesausschuss der Hauptstadt-Linken mit Anträgen befassen, in denen von Fraktion und Senatoren verlangt wird, auch diesmal "darauf hinzuwirken, dass das Land Berlin (...) dem Vertrag von Lissabon nicht seine Zustimmung gibt".
Bis dahin wird hinter den Kulissen um das Votum gerungen. Man werde "auf der Enthaltung des Landes Berlin bestehen", betonte unlängst noch einmal Linkspartei-Landeschef Klaus Lederer. Die SPD hält dagegen und spielt ein wenig auf Zeit - Klaus Wowereit, so wird kolportiert, wolle sich erst am Tag der Bundesratssitzung endgültig festlegen. Ein Zeichen der Stärke ist das keineswegs. Die Sozialdemokraten sind mindestens ebenso in der Bredouille wie die Linkspartei.
Letztere hat immerhin den Koalitionsvertrag auf ihrer Seite, der bei Meinungsverschiedenheiten eine Enthaltung vorsieht. Besteht die SPD auf einem Ja, müsste sie für den Bruch der Vereinbarung die Verantwortung übernehmen. Kommt es dann tatsächlich zum Ernstfall und zerbricht die rot-rote Koalition, könnte Wowereit zwar einfach mit den Grünen weiterregieren, die genauso viele Sitze im Abgeordnetenhaus haben wie die Linke. Der heimliche Kanzlerkandidatenanwärter für 2013 verlöre dann aber sein rot-rotes Referenzprojekt. Das wiederum macht der SPD-Linken Sorgen: Ständig bekäme man das Berliner Lissabon-Problem aufs Brot geschmiert, klagen Sozialdemokraten gegenüber ihren Kollegen von der Linkspartei - und hoffen weiter auf ein kleines Wunder.
Ein Berliner Ja können sich die Hauptstadt-Genossen aber nicht leisten. Einen Tag nach der Abstimmung in der Länderkammer beginnt der erste Bundesparteitag der Linken. Man stelle sich vor, dort müsste sich jemand von der Berliner Linkspartei dafür rechtfertigen, abermals gegenüber der SPD in einer wichtigen Frage eingeknickt zu sein. Bei den in Cottbus anstehenden Vorstandswahlen müsste der Realo-Flügel mit kollektiver Abstrafung rechnen.
Ein Interesse, die letzte rot-rote Landesregierung wegen des Lissabon-Streits an den Nagel zu hängen, können die Regierungslinken aber ebenso wenig haben - ihnen ist die bei der Basis ungeliebte Koalition ebenfalls ein wichtiges Referenzprojekt. Um den Knoten zu durchschlagen und allen Beteiligten die Chance zu geben, das Gesicht zu wahren, könnte es deshalb auf Kreativität ankommen.
Was wäre, wenn der Vertreter der Linkspartei im Bundesrat - Wirtschaftssenator Harald Wolf oder eine Vertreterin - den Schönbohm macht? Der brandenburgische CDU-Innenminister hatte 2002 im Bundesrat das "Ja" von SPD-Ministerpräsident Manfred Stolpe zum Zuwanderungsgesetz ausgehebelt. In der Potsdamer Koalition hatte man sich zuvor nicht auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen können. Als dann im Bundesrat durch Aufruf jedes einzelnen Landes abgestimmt wurde, sagte Schönbohm "Nein". Die Sitzung geriet damals zum Tumult. Das Bundesverfassungsgericht stellte später klar, dass von einer Zustimmung Brandenburgs zu dem Gesetz keine Rede sein könne. Dem üblichen Votum eines Bundeslandes durch einen Stimmführer, so die Richter, dürfe "jederzeit durch ein anderes Bundesratsmitglied desselben Landes widersprochen werden" - die Stimmen des Landes seien dann als ungültig anzusehen.
Klaus Wowereit wird sich daran noch gut erinnern. Der SPD-Mann leitete damals als Bundesratspräsident die Abstimmung.
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