Der rosa Karren

SPD Wahlprogramm Das Wahlprogramm der SPD ist alles mögliche, nur kein Manifest einer Linkswende, wie jetzt überall behauptet wird. Steinmeier und Müntefering halten Kurs

Unter dem Gesichtspunkt des politischen Marketings ist den Sozialdemokraten an diesem Wochenende ein großer Wurf gelungen. Die allgegenwärtige Kommentierung ihres Wahlprogramms als „Linksruck“ verschafft der SPD nämlich Luft zu beiden Seiten des politischen Koordinatensystems: das Papier soll die Unterscheidbarkeit vom Koalitionspartner erhöhen und zugleich der Linkspartei die Butter vom Brot stehlen.

Entsprechend aufgescheucht hörten sich die Reaktionen an: Oskar Lafontaine beklagte sich darüber, dass die Sozialdemokraten die Forderungen seiner Partei übernehmen würden. Und Ronald Pofalla mokierte sich über den „Linksruck der SPD“, mit der man ab Herbst nun nicht mehr zusammenarbeiten könne. Steinmeier und Müntefering werden sich freuen. Ihr blassrosa Handkarren verkauft sich als roter Volkswagen.

In Wahrheit ist das Wahlprogramm alles mögliche, nur eben nicht das Manifest einer Kursänderung. Das geht schon damit los, dass dem Papier eine gesellschaftspolitische Vision fehlt, die das Erwartbare hinter sich lässt. In Zeiten einer Jahrhundertkrise, in der die Dringlichkeit eines Neuanfangs augenfällig geworden ist, spricht die SPD zwar von einer Zeitenwende - tritt aber selbst auf der Stelle. Wo Veränderung notwendig wäre, reden die Sozialdemokraten von „Erneuerung“, was mit Aufmöbeln des Alten gut übersetzt wäre. Die SPD will eine Partei sein, die „in unruhigen Zeiten Kurs hält“, die ihren „Kompass“ in der Vergangenheit der Schröder-Ära findet und nun „einen neuen Anlauf“ nehmen will.

Wo das Vorwärtsdenken ausbleibt, darf man auch keine Selbstreflexion der eigenen Vergangenheit erwarten. Allen Ernstes wird in dem Wahlprogramm behauptet, in den Regierungsjahren seit 1998 sei „das Land positiv verändert“ worden. Ein „Linksruck“ würde doch mindestens erfordern, eine ehrliche Bilanz des sozialpolitischen Abbruchunternehmens Rot-Grün zu ziehen. Stattdessen wird der Kern der Schröderschen Agenda-Politik nicht angetastet. Die Rente mit 67 bleibt, Hartz IV ebenso. Hier muss sich auch die SPD-Linke die Frage gefallen lassen, womit sie ihre durchweg positiven Urteile über den Entwurf begründet. Der am Samstag gescheiterte Vorstoß, doch noch eine Vermögensteuer in das Programm zu hieven, kann kaum der Grund sein.

Ein Beispiel: Die Forderung nach einer raschen Erhöhung der Regelsätze etwa, die vor ein paar Monaten noch Stand linkssozialdemokratischer Kritik war - man erinnere sich an das Papier der 60 - hat sich Luft aufgelöst. Die Passage im Wahlprogramm klingt stattdessen nachgerade zynisch: „Es wird auch weiterhin eine regelmäßige Überprüfung der Regelsätze des Arbeitslosengeldes II und gegebenenfalls eine bedarfsgerechte Erhöhung geben.“ Auch weiterhin? Gegebenenfalls? Hat man im Willy-Brandt-Haus gar nicht mitbekommen, dass der seit Jahren gezahlte Armutssatz seit ebenso langer Zeit von den meisten Experten als absolut unzureichend kritisiert wird? Selbst die Union fordert inzwischen, das Schonvermögen zu erhöhen. Soviel zum „Linksruck“ der SPD.

Sinnvolle Forderungen

Richtig ist allerdings auch, dass sich auf den 69 Seiten eine Reihe von Forderungen finden, die man für sinnvoll halten kann: flächendeckender Mindestlohn, Börsenumsatzsteuer, Bürgerversicherung und so weiter. Man muss der SPD nicht unbedingt vorwerfen, dass sich das alles sehr nach Wahlgetöse anhört - und nicht zuletzt die Erfahrung der Vergangenheit gezeigt hat, dass etwa aus dem Nein zu einer Mehrwertsteuererhöhung sehr rasch ein Ja werden kann. Politisches Marketing verspricht nun einmal mehr, als in einem Fünfparteiensystem der vielen Kompromisse dann auch realisierbar wären.

Es ist aber etwas anderes, die Neuauflage der großen Koalition im Zweifelsfall für eine Frage der staatspolitischen Verantwortung zu halten und gleichzeitig die Bündnisoption mit der Linken kategorisch auszuschließen. Mit wem will die SPD denn ihr Programm erreichen? Viele Forderungen des Entwurfs sind das Papier nicht Wert, auf dem sie stehen. Eine Politik lässt sich nun einmal nicht glaubwürdig vertreten, wenn sie die einzige machtpolitische Option leugnet, die mit ihren Zielen in Einklang steht.


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