Die Wut der Arbeiter

Gewerkschaften In der Krise spitzt sich der Widerspruch zwischen globalem Kapital und nationalstaatlich organisierter Arbeit zu. Gewerkschaften suchen nach einer wirksamen Strategie

Die Grenze zwischen dem verständlichen Aufbegehren von Menschen, die ihre Jobs wegen Dumpinglohn-Konkurrenz verlieren, und der dumpfen Dynamik nationalistischer Affekte, ist gar nicht so einfach zu bestimmen. Auf einen Punkt, der den Unterschied macht, hat mit Blick auf die jüngsten Proteste britischer Arbeiter der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), John Monks, hingewiesen: Es seien immer die Unternehmer, die regionale Lohnniveaus und Tarifverträge mit schlechter bezahlten Beschäftigten zu unterlaufen versuchen, so Monks. „Die Wut der Arbeiter“ sollte sich gegen die Arbeitgeber richten, „nicht gegen ausländische Kollegen“.

Die Proteste von Lincolnshire und anderswo sind für Monks ein Menetekel. In der gerade erst beginnenden Wirtschaftskrise könnte sich der Widerspruch zwischen globalem Kapital und nationalstaatlich organisierter Arbeit erneut zuspitzen. Die Spielräume für Unternehmen, Produktionsprozesse grenzüberschreitend zu ihren Gunsten zu reorganisieren und das Lohngefälle als Instrument der Kostensenkung einzusetzen, sind in den vergangenen Jahrzehnten schnell größer geworden. Viel schneller, als die Möglichkeiten der Beschäftigten, organisiert darauf zu reagieren. Große Hoffnungen in die Politik sind auch nicht angebracht. Im Standortwettbewerb haben sich die Bedingungen für die Gewerkschaften eher noch verschlechtert.

Konzerne meist einen Schritt voraus

Sie haben indes auch selbst zu spät oder noch immer nicht erkannt, dass der Verlust der Durchsetzungskraft auf innerstaatlicher Ebene mit ihrer internationalen Schwäche zusammenhängt. Die Konzerne sind meist einen Schritt voraus. Billiger lässt sich Arbeit fast immer irgendwo einkaufen. Für die einen bedeutet das die Gefahr, durch Lohndumping verdrängt zu werden. Für andere aber, was oft vergessen wird, eine für ihre Verhältnisse vergleichsweise gut bezahlte Stelle. Wie jetzt in Lincolnshire. Monks warnt nun sogar vor „einer wahren Flut“ ähnlicher Konflikte. „Diese Sache wirkt entflammbar, und sie könnte jederzeit in fast jedem Land ausbrechen.“

Angesichts dessen dürfte es schwieriger werden, in den inzwischen laufenden Bemühungen zur länderübergreifenden Kooperation voranzukommen. Als sich im vergangenen Jahr die amerikanische Stahlarbeitergewerkschaft USW und die britische Unite zusammenschlossen, lobten viele die Gründung der ersten echten „Weltgewerkschaft“. Heute trommelt die USW unter dem Motto Buy American dafür, dass im Zuge von Obamas Konjunkturprogramm einheimische Produkte zum Zuge kommen – zu Gunsten der US-Arbeiterschaft.

Kein Allheilmittel: Europäische Betriebsräte

Deutsche Gewerkschaften setzen eher auf die Bildung von Netzwerken, meist über Europäische Betriebsräte (EBR). Ein Garant gegen nationale Egoismen ist das nicht. Als der Bochumer Nokia-Standort geschlossen wurde, sprach der finnische EBR-Chef des Handyproduzenten zunächst von einem „deutschen Problem“, hiesige Gewerkschaftsvertreter beklagten damals die mangelnde Solidarität.

Die Euro-Betriebsräte, heißt es denn auch beim DGB, seien „kein Allheilmittel“ – aber ein wichtiger Schritt aufeinander zu. Inzwischen gibt es über 840 solcher Gremien, weit weniger, als nach der einschlägigen EU-Richtlinie von 1994 möglich wären. Die Zurückhaltung mag auch damit zusammenhängen, dass die EBR lediglich Foren des Austauschs sind, aber keine Mitbestimmungsrechte haben. Dies zu ändern, sei noch ein weiter Weg, so der EGB.

Generalsekretär John Monks fordert jetzt einen „neuen Sozialvertrag für die Beschäftigten in Europa“. Auch auf den für Mitte Mai geplanten Demonstrationen wird das Thema eine Rolle spielen. Nicht zum ersten Mal: Schon im Streit um die EU-Verfassung wurde ein Protokoll zum besseren Schutz von Arbeitnehmerinteressen gefordert. Damals, sagt Monks, habe niemand gewusst, „was man da hineinschreiben sollte. Heute wissen wir das sehr genau.“

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