Es gab Zeiten, da war der Automobilsektor immer für eine Erfolgsmeldung gut. Heute ist das anders. Der Zulieferer Schaeffler will 4.500 Stellen streichen; Daimler spart Personalkosten in Milliardenhöhe. Und wenn Opel überhaupt eine Zukunft hat, dann nur mit deutlich weniger Mitarbeitern.
Die Branche steckt in der tiefsten Krise seit Jahrzehnten. Weltweit haben sich Überkapazitäten von 25 bis 30 Prozent aufgetürmt – die jetzt radikal abgebaut werden. Was in einigen Jahren von Deutschland als weltgrößtem Autoexporteur übrig sein wird, weiß niemand. Sicher ist, es steht eine Schrumpfkur von gewaltigen Ausmaßen an. Noch arbeiten etwa 750.000 Menschen bei Autoherstellern und Zulieferern. Die IG Metall rechnet aber mit einem massiven Jobabbau ab Sommer. Experten gehen davon aus, dass 70.000 bis 100.000 Stellen wegfallen.
Nun ist vom „Zusammenbruch der westlichen Kernindustrie des 20. Jahrhunderts“ die Rede. Die Financial Times Deutschland sieht den „Anfang vom Ende einer industriellen Legende“. Und der Analyst Ingo Speich wird mit den Worten zitiert: „Nichts bleibt so, wie es ist.“
Die Frage ist, was anders wird. Man lehnt sich kaum zu weit aus dem Fenster, wenn man behauptet, dass es nicht ausreichen wird, ein paar Werke zu schließen. Hersteller und Zulieferer werden sich zum Teil völlig neu orientieren müssen. Auch international werden die Karten jetzt gemischt.
Die deutsche Industrie erlebt nicht zum ersten Mal einen Strukturwandel. Heute ist nicht mehr Deutschland der bedeutendste Stahlhersteller der Welt, sondern China. Stahl wird in Deutschland zwar immer noch produziert. Auch Autos werden noch eine Weile zu den Produkten Made in Germany gehören. Aber eine Garantie für die gesamte Branche würde derzeit kein Experte abgeben. Eine wichtige Frage wird sein, wie der Strukturwandel hierzulande abläuft. Ob er staatlich flankiert werden kann, wie weit die Belegschaften mitbestimmen dürfen oder ob eine Bereinigung nur dem Markt überlassen wird. Am Beispiel Opel werden die Fronten deutlich. Rettungsmaßnahmen für den Autobauer gelten wirtschaftsliberalen Fachleuten als Gift, das eine als natürlich verbrämte „Gesundung“ des Sektors behindert. Die Rhetorik hat oft einen darwinistischen Zug. Götz Klink von der Beratungsfirma A.T. Kearney etwa hält ein „Überleben der stärksten Unternehmen“ für wünschenswert, fürchtet aber, dass Kapazitäten „künstlich am Leben gehalten“ werden.
Steinkohle auf Rädern
Immer wieder bekommt man auch das Beispiel des deutschen Bergbaus vorgehalten. „Steinkohle auf Rädern“, betitelte das Manager Magazin einen Text über die Branchenkrise. Und der Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft, Willi Diez, warnt: Der Sektor befinde sich auf dem selben Weg, wie ihn der Steinkohlebergbau gegangen ist – dort habe die Politik zu spät erkannt, dass des sich um ein Fass ohne Boden handelt. Ein ähnliches Motiv findet sich auch in der Kritik an der Abwrackprämie, die oft mit einer Drogengabe für einen Süchtigen verglichen wurde: Jeder Schuss mache das Problem schlimmer. Daneben wird von interessierter Seite beklagt, der Bonus verzerre auch den Wettbewerb. Während er die Kleinwagenproduzenten zu Sonderschichten treibt, haben Gebrauchtwagenmärkte und das hierzulande starke Premiumsegment das Nachsehen.
Entscheidend aber ist: Die Prämie ist eine Brücke nach nirgendwo. Konzerne werden zwar für ein paar Monate vor dem Schlimmsten bewahrt – aber das ist keine Antwort auf den Strukturwandel. Eine solche hätte womöglich darin bestanden, wenn das Geld für „innovative Mobilitätslösungen“ genutzt worden wäre, wie es Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin fordert. Fünf Milliarden Euro in einen Technologie-Förderfonds, das wäre eine echte Zukunftsinvestition gewesen.
Das sieht auch die IG Metall so. Die Gewerkschaft hatte das Modell ins Spiel gebracht und die SPD hatte es in der Koalition durchgesetzt. Als die Politik dann eine Verlängerung der Prämie ankündigte, war die Begeisterung der IG Metall verhalten. „Mit den bisherigen Maßnahmen wurde Zeit gewonnen, mehr nicht“, erklärte der Vorsitzende Berthold Huber am Rande eines Branchenkongresses. Die Gewerkschaften stecken in einem Dilemma: Einerseits können sie sich Ad-hoc-Maßnahmen zum Joberhalt nicht verschließen. Andererseits werden diese mit Geld bezahlt, das für den Einstieg in den industriellen Umbau nötig wäre. Als eine Art sektorales Bündnis für die Arbeit von morgen hat die IG Metall gerade einen „Branchenrat Automobile Zukunft“ vorgeschlagen, in dem Gewerkschaften und Unternehmen „vorausschauend Entwicklungswege” vereinbaren sollen.
Solche Forderungen sind keine Neuerfindung der Krise – auch wenn diese nun den nötigen Druck erzeugt, alte Diskussionen wieder aufzugreifen.
Ganz andere Produkte
„Wenn die Beschäftigung in der Automobil- und Zulieferindustrie aus umwelt- und verkehrspolitischen Gründen nicht weiter ausgedehnt, sondern nur stabilisiert werden kann oder im Trend zurückgeht“, forderte schon 1990 ein Papier des IG-Metall-Vorstandes, müsse „über neue Beschäftigungsperspektiven nachgedacht werden.” Zwölf Jahre später erschien die IG-Metall-Studie „Nachhaltige Mobilität“, in der es angesichts des Umbruchs im Verkehrssektor heißt, „um die Arbeitsplätze zu sichern, müssen wir die Chancen der neuen Entwicklungen ergreifen“.
Betriebsräte berichten von Plänen für ökologisch sinnvolle Produkte, die bereits in den Schubladen mancher Forschungsabteilung liegen. Stefan Krull, ein früherer VW-Betriebsrat, denkt an optimierte Kleinbusse, die den Nahverkehr verbessern. Später könnten „Meerwasserentsalzungsanlagen oder Gezeitenkraftwerke gebaut werden“. Ein Umstieg bis zur Serienproduktion müsste nicht einmal lange dauern. Das hohe Qualifizierungsniveau der Beschäftigten gilt als günstige Ausgangsposition für einen Kurswechsel. Und langsam scheint auch das Bewusstsein dafür zu wachsen.
„Klar, es ist schon etwas besonderes ein Auto herzustellen“, liest man in einer Betriebszeitung bei Daimler in Sindelfingen. Aber „wenn man das ganz Know-how unserer Belegschaft zusammennehmen würde, könnten doch ganz andere Produkte hergestellt werden. Wer sagt denn, dass wir so was wie eine S-Klasse bauen müssen, wenn inzwischen ganz andere Dinge benötigt werden?“ Bernd Osterloh, Betriebsratschef von Volkswagen, mahnte schon vor Monaten, der Konzern solle sich „unabhängiger von der Autoproduktion” machen.
Der Strukturwandel wird die Branche unterschiedlich treffen. „Kleine Fahrzeuge werden nicht mehr in Deutschland gebaut“, lautet eine der Vorhersagen. Die finden vor allem in den neuen Märkten Asiens Absatz. Die Produktion von Kleinwagen ist stärker als die von teuren Autos vom Low-Cost-Gedanken bestimmt, der die Verlagerung von Standorten beschleunigt. Andere Experten gehen davon aus, dass nur das so genannte Premiumsegment in Deutschland eine Überlebenschance hat – wobei Premium in Zukunft nicht groß bedeuten soll, sondern ökologisch. Dabei sieht Greg Archer von der Low Carbon Vehicle Partnership, einem Zusammenschluss von britischen Firmen und Organisationen, weiterhin viel Spielraum. Effizienzsteigerungen von 50 Prozent könnten erreicht werden. Die Branche selbst müsse dafür sorgen, dass Leistung, Größe und Gewicht reduziert und neue Antriebstechniken entwickelt werden. „Der Transportsektor“, so Archer, „hat bislang versagt.“
Man wird sehen, ob den Autoproduzenten hierzulande noch Gelegenheit bleibt, diesen Fehler zu korrigieren.
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