Es gibt Rollen, die werden auf sehr vorhersehbare Weise besetzt. Wenig überraschend war es deshalb, als „die SPD-Europaabgeordnete“ Sylvia-Yvonne Kaufmann (ehedem: Linkspartei) das Wahlprogramm der Linken im Namen der Sozialdemokraten als „unrealistischen Forderungskatalog“ verwarf. Das lag durchaus im Trend.
Was Bild ein „sozialistisches Wolkenkuckucksheim“ nennt und die Frankfurter Allgemeine zum „weitreichenden Wunschkatalog zur Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft“ veredelte, ist weder das eine noch das andere. Vor allem nicht, wenn man sich die von den meisten Kritikern am häufigsten genannten „Kernpunkte“ anschaut: Weder bei der angepeilten Höhe des Mindestlohns, noch der des Hartz-Regelsatzes und schon gar nicht beim Investitionsprogramm der Linkspartei kann man ernsthaft von „antikapitalistischen Maximalforderungen“ sprechen.
Eine gesetzliche Lohnuntergrenze fordert auch die SPD. Da die Höhe im parlamentarischen Falle des Falle natürlich politische Verhandlungssache wäre, gibt es keinen Grund, die 10-Euro-Forderung der Linken als unumstößliches Hindernis aufzubauschen. Wenn Oskar Lafontaine auf die katholische Arbeitnehmerbewegung verweist, die einen Mindestlohn von 9,20 Euro anstrebt, oder auf das Beispiel Luxemburg, wo bereits eine Grenze von 9,49 gilt, dann ist das Wahlkampfgeklapper, mit dem die Forderungen der anderen übertrumpft werden sollen. Aber ist es deshalb auch gleich völlig abwegig?
Ähnlich verhält es sich mit dem sozialdemokratischen Reizthema Hartz IV. Nähme man das im SPD-Regierungsprogramm erklärte Ziel „bedarfsgerechter Regelsätze“ einmal so wortgetreu, wie es mit fast jedem Satz der Linkspartei geschieht – was glaubt man denn, würde bei halbwegs anständiger „Überprüfung der Regelsätze“ herauskommen? Die jedes Radikalismus unverdächtigen Wohlfahrtsverbände, die Experten der Armut, hielten schon vor Jahresfrist eine Erhöhung auf 420 Euro für eine „längst überfällige Maßnahme“; die Grünen fordern es im Wahlprogramm.
Zu den spitzen Schreien, die angesichts der Summe des linken Investitionsprogramms ausgestoßen werden, fällt einem nach den milliardenschweren Paketen der großen Koalition nichts mehr ein. Kann etwas schon deshalb falsch sein, weil es nun andere machen wollen? Vielleicht, weil die Linke ihre „Zukunftsinvestitionen“ weniger als kapitalistische Reparaturmaßnahme versteht, sondern als Beitrag zu einem gesellschaftlichen Umbau, der durch Umverteilung von Reichtum finanziert wird.
Ob ihr Wahlprogramm diesem Anspruch tatsächlich gerecht wird, steht auf einem anderen Blatt. Der SPD geht es aber nicht anders. Auch ihr fehlt, was Sylvia-Yvonne Kaufmann der Linken vorwirft: „ein strategisches Konzept, wohin man eigentlich will“. Man kann die Reihe der Beispiele nämlich verlängern, in denen die Sozialdemokraten näher bei der Linken liegen als es ihnen offenbar Recht ist. „Um wichtige Investitionen vor allem in Bildung, Familien, Forschung, Infrastruktur, Kultur oder Sicherheit zu ermöglichen, ist der Staat auf solide und stabile Einnahmen angewiesen.“ Deshalb fordert die SPD unter anderem eine Börsenumsatzsteuer und eine Anhebung des Spitzensteuersatzes. Der Unterschied zur Linken liegt im Prozentbereich. Die SPD will ihn von 45 auf 47 Prozent heraufsetzen, die Linken auf 53 Prozent – doch revolutionär ist auch das keineswegs. Der Satz galt zu Zeiten von Helmut Kohl.
Eine realistischere Sicht auf die Dinge findet man – im Arbeitgeberlager. Dort lässt man sich von Wahlkampfsprüchen nicht ablenken und was für die Linke gilt, das ist meist auch auf SPD und Grüne gemünzt. Nach den Europawahlen frohlockte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, „der Versuch der linken Parteien, die gegenwärtige Lage für ihre rückwärts gewandte Ideologie zu nutzen, ist gescheitert.“ DIHK-Chef Hans Heinrich Driftmann wies darauf hin, dass nur jene Parteien zugelegt hätten, die vor ordnungspolitischen Sündenfällen à la Opel gewarnt hatten. Und auch dieser Tage erschallen Rufe wie jener von Hans-Werner Sinn, dem Präsident des IFO-Instituts: „Finger weg von den Firmen!“
Das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft, das nicht zufällig so heißt, lehnt keineswegs etwa nur die Pläne der Linken zur Einführung einer Börsenumsatzsteuer ab, sondern warnt auch vor den gleich lautenden Forderungen von SPD und Grünen. Das Handelsblatt schrieb am Montag, Lafontaines Partei habe nun „ihr Kampfprogramm“ und „das verheißt für Unternehmer nichts Gutes“. Die Botschaft ist allgemeiner. Denn verheißt ein von der SPD geforderter Mindestlohn für das Kapital etwa Besseres?
Hundt hatte bereits Steinmeiers „Regierungsprogramm“ auf eine Weise abgewatscht, die an die Wahlempfehlungen aus dem Sommer 2005 erinnerten. Seinerzeit hatten sich Wirtschaftslobbyisten und Experten gegen ein aus ihrer Sicht politisches Worst-Case-Scenario gewandt – eine Koalition aus SPD, Grünen und der Linkspartei. Die gilt zwar zunächst noch als unrealistisch. Es gibt aber keinen Grund anzunehmen, dass die Einschätzung der Unternehmer in diesem Wahljahr anders ausfällt.
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