Steht es so schlecht um die Sache Tibets in Deutschland? Der Dalai Lama will Hof halten, aber Bundespräsident Köhler hat keinen Termin frei, Außenminister Steinmeier auch nicht, und Kanzlerin Merkel verabschiedet sich nach Südamerika. Bemerkenswert, nachdem doch bis vor Tagen für Tibet so laut getrommelt wurde, dass der Eindruck entstehen musste, die Olympischen Sommerspiele 2008 sollten zu einem Ereignis degradiert werden, an dem außer dem Gastgeber allenfalls noch Burma und Nordkorea teilnehmen.
Wenn die Frankfurter Rundschau den hessischen Noch-Ministerpräsident Roland Koch zum Bollwerk der politischen Moral in Deutschland erklärt, muss etwas passiert sein. Und was? Auf seiner aktuellen Deutschland-Tour als 14. Dalai Lama bleiben Tenzin Gyatso die ganz hohen protokollarischen Ehren verwehrt. Die Kanzlerin weilt außerhalb, und der Außenminister hat seine Gründe. Weil der CDU-Mann Roland Koch das nach all den jüngeren Protesten gegen Chinas Tibet-Politik empörend findet, lobt ihn nun der FR-Chefredakteur für seinen Mut.
Überhaupt ist in den vergangenen Tagen viel von Courage gegenüber den Machthabern in Peking die Rede. Dass die Tibet-Debatte in Deutschland nach den Fackellauf-Protesten deutlich an Lautstärke und Intensität verloren hat, liegt aber weniger an den kapitalistischen Genossen dort, sondern eher an den Genossen Kapitalisten hier zu Lande. Die sehen die Wirtschaftsbeziehungen mit dem größten Absatzmarkt der Welt in Gefahr. Dass China an einem langen Hebel sitzt, mussten gerade erst Coca Cola und Procter Gamble erfahren, deren Produkte Fanta beziehungsweise Pringles kurzerhand auf die schwarze Liste gesetzt wurden. Betroffen ist auch - wie passend - der deutsche Hersteller der Schokoladenmarke Rotstern.
Immer wieder haben Wirtschaftsvertreter in den letzten Wochen auf eine Mäßigung gedrängt. Der Vorstandschef des Chemieriesen BASF ermahnte die Politik, gegenüber der Pekinger Führung zurückhaltender zu sein. In China werde die europäische Tibet-Debatte mit Sorge verfolgt, sagte Jürgen Hambrecht und forderte, "dass wir auf diese Stimmen hören sollten". Es sei nicht die Aufgabe der Unternehmen, "anderen ihr Verhalten vorzuschreiben oder Ratschläge zu geben", trat schließlich auch der deutsche Außenhandelspräsident Anton Börner auf die Tibet-Bremse. Das Reich der Mitte werde durch langfristige Wirtschaftsbeziehungen weitaus effektiver im Sinne des Westens verändert als etwa durch kurzatmige Boykottdrohungen. Auf den Einwand, dies helfe den Tibetern im Moment wenig, außerdem dürfe man nicht immer nur reden, sagte Hambrecht ganz ohne Ironie: "Wir handeln doch."
Und das mit Erfolg: Deutsche Maschinen und Autos in die eine Richtung, Elektrogeräte und Bekleidung in die andere - die Geschäfte laufen bestens. Exportierten (west-) deutsche Unternehmen 1972 noch Waren für gerade einmal 270 Millionen US-Dollar nach China, sind es heute mit rund 30 Milliarden US-Dollar mehr als 100 Mal mehr. China ist der zweitwichtigste Exportmarkt für hiesige Firmen, umgekehrt steht die Bundesrepublik auf Platz sechs der wichtigsten Handelspartner Chinas. Das Volumen chinesischer Einfuhren in die Bundesrepublik Deutschland erreicht 2007 mit knapp 55 Milliarden US-Dollar etwa den 200-fachen Wert des Jahres 1972. Ungefähr 2.000 deutsche Firmen sind in China aktiv. Man hat sich inzwischen an zweistellige Wachstumszahlen bei den Wirtschaftsbeziehungen gewöhnt.
Dass ein Frank-Walter Steinmeier, auf den sich die Kritik dieser Tage konzentriert, keine Politik gegen diese Fakten machen kann, ist einer der Gründe für die Einsamkeit des Dalai Lama bei seinem Besuch. Wer den Ton vorgibt, nach dem die Musik gemacht wird, hat mit Blick auf China der frühere Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) auf den Punkt gebracht: "Auch in der Diplomatie", sagt Heinrich Weiss, "geht die Wirtschaft der Flagge meistens voran."
Der andere Grund ist im Verhältnis der Koalitionspartner zu suchen. Schon länger rangelt der SPD-Außenminister mit der CDU-Kanzlerin darum, wer die bessere außenpolitische Figur macht. Als Merkel sich im vergangenen Jahr mit dem Tibeter traf, kritisierte Steinmeier diese Art von "Schaufensterpolitik" - würde er nun seinerseits mit dem Dalai Lama zusammentreffen, wäre er schnell dem Vorwurf der Wankelmütigkeit ausgesetzt. Mit Blick auf den Bundestagswahlkampf und eine mögliche SPD-Kandidatur Steinmeiers 2009 gewinnt die außenpolitische Diskussion ohnehin immer mehr Gewicht.
Innerhalb der Union versuchen seit geraumer Zeit einige ambitionierte Abgeordnete, sich über außenpolitische Themen zu profilieren. Mit der Forderung nach einem Nationalen Sicherheitsrat hat sich gerade erst der CDU-Mann Andreas Schockenhoff in Stellung gebracht. Der CSU-Außenpolitiker Karl-Theodor zu Guttenberg setzt sich regelmäßig mit Vorwürfen in Szene - gern auch gegenüber China. Und schon im letzten Herbst kam aus dem Büro des CDU-Abgeordneten Eckart von Klaeden ein Asien-Papier, in dem mit Kritik an Peking nicht gespart wurde.
Der Trend zur Außenpolitik hängt auch mit dem unklaren innenpolitischen Profil der Union zusammen, vor allem bei sozialen Themen. Es ist abzusehen, dass die SPD ihre Rhetorik der sozialen Gerechtigkeit im Superwahljahr 2009 noch einmal verstärken wird - schon, um die Linkspartei klein zu halten. Wo immer die Union bisher versuchte, in diesen Wettlauf einzusteigen, führte das zu innerparteilichen Konflikten. Merkels außenpolitische Bilanz gilt dagegen als "phänomenale Leistung" - ein Pfund, mit dem man im Wahlkampf noch gegen die SPD wuchern möchte.
Auch das also ist ein Grund, warum Steinmeier jetzt die Empörung der Union auf sich zieht, der Dalai Lama würde von der deutschen Politik im Stich gelassen. Übergangen wird dabei freilich, dass auch der Bundespräsident keine Zeit für den Tibeter haben will. Horst Köhler "war CDU-Mitglied", wiegelt der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz ab, sei aber "für die Zeit seiner Amtszeit keiner Partei angehörig".
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