Im Eskalationsmodus

Asyl Drama, Chaos, Krise: Die Inszenierungen der CSU haben Folgen. Kritik ist fast nur noch im Schema „Für oder gegen Merkel“ möglich
Ausgabe 27/2018
Durch ständige Konfliktisierung sollen „Lösungsvarianten“ naheliegend erscheinen, die weit über bisherige Konsense hinausgehen
Durch ständige Konfliktisierung sollen „Lösungsvarianten“ naheliegend erscheinen, die weit über bisherige Konsense hinausgehen

Foto: Imagebroker/Imago

Nach Tagen des „Asylstreits“ in der Union haben CSU und CDU die Ergebnisse ihrer Einigung der SPD vor die Füße gekippt – und die stellte einmal mehr unter Beweis, wie sehr man doch eine Sache missverstehen kann. Die SPD- Vorsitzende Andrea Nahles freute sich, „weil wir jetzt wieder auf der Ebene der Sacharbeit sind“, und der Finanzminister mit den Vizekanzler-Epauletten sekundierte: „Wir sind weg von der Psychologie.“

Medial fand das seine Entsprechung in Dutzenden Kommentaren über die Performance der Koalition und die Frage, ob Horst Seehofer nun ein Minister auf Abruf sei. Was dabei hinten runterfällt, ist die Wirkung der ständigen Eskalation des politischen Betriebs. Seehofer und die CSU waren ja keine Ersttäter, die ununterbrochenen Vorwürfe in Richtung Angela Merkel sind längst zum Dauerton des bayerischen Koalitionspartners geworden: mit Folgen.

Das Gebaren der CSU, die eine politische Superkrise an die Wand malt, ruft Begriffe wie „Ausnahmezustand“ oder „Unregierbarkeit“ in den Köpfen der Zuschauerschaft hervor, die – Stichwort: „Take back Control“ – einer der Treibstoffe der rechten Radikalisierung sind. Die angestrebte „Grenzschließung“ wird dabei zum Symbol von Durchsetzbarkeit, von Stärke.

Indem die bisher als üblich erachteten Verfahren wie Koalitionsvertrag, Kompromissmodus und Richtlinienkompetenz durch ständige Konfliktisierung chaotisiert werden, sollen „Lösungsvarianten“ immer mehr als möglich, naheliegend, „jetzt aber wirklich nötig“ erscheinen, die weit über bisherige Konsense hinausgehen. Geschürt wird – typisches Signum des Rechtspopulismus – eine Atmosphäre der Angst, die den Tabubruch bei der Wahl der Mittel zum Normalmodus macht. Die Verächtlichmachung von freiwilligen Rettern auf dem Mittelmeer, die Herabwürdigung von Rechtsansprüchen und geregelten Verfahren gehören dazu: Wer stoppt das?, lautet die rhetorische Frage.

Wie schon bei dem Vorwurf von 2016, die Kanzlerin sei für eine „Herrschaft des Unrechts“ verantwortlich, geht es in Seehofers Inszenierung um die Maximierung eines Handlungsdrucks „gegen die da oben“. Wobei mit „die“ hier ganz ausdrücklich Merkel gemeint und adressiert ist, also jene Politikerin, die im rechten Denken die Personifizierung aller angeblichen oder realen Probleme darstellt. Mehr Mobilisierung von rechts gegen die „Flüchtlingskanzlerin“ ist nicht möglich, und die AfD weiß das, wie ihr Frohlocken über den Unionszoff zeigt.

Es gibt einen zweiten Punkt, von dem der „Asylstreit“ ablenkt – dass er in Wahrheit gar keiner ist. Der „Masterplan“ enthält Forderungen gegen das Asylrecht und einen humanen, solidarischen Umgang mit Menschen, die im weitesten Sinne zwischen CSU und CDU Konsens sind. Zum Spielball der Eskalation ist lediglich die Frage geworden, ob eine „Grenzschließung“ Teil einer „europäischen Lösung“ ist oder nicht, ob sie also eher Merkels Bewegungsfreiheit auf EU-Ebene stört oder eher Seehofers politisch auf Bayern beschränkten Horizont.

Selbstverständlich ist diese Lösung gar keine „europäische“, weder was die viel beschworenen Werte angeht, noch in der Sache. Europäisch wäre es, den Vorschlag für eine Reform der Dublin-Konstruktion zu verfolgen, den eine Mehrheit des Europaparlaments unterstützt, den die Regierungschefs aber aussitzen, während im Mittelmeer weiter Menschen ertrinken.

Wer weiß schon von diesem Vorschlag? Die Ablenkung durch Dramatisierung eines Teilkonflikts erschwert es erheblich, in der Öffentlichkeit eine Kritik an der Asyl- und Migrationspolitik vernehmbar zu formulieren, die nicht ins Raster „Für oder gegen Merkel“ passt. Das schwächt die Debatte über alternative Lösungen.

Schließlich verschärft der Dauerzoff zwischen CSU und CDU eine schon länger andauernde thematische Verzerrung: Alles dreht sich um Flucht und Migration. Selbst noch in den Diskussionen über Alternativen wirkt die thematische Verengung.

Niemand wird sagen, dass dies Nebensächlichkeiten sind, solange Menschen an den Mauern der Festung Europa sterben. Niemand wird die Schwierigkeiten wegreden wollen, die real mit den Prozessen der Integration verbunden sind. Und, na klar, alles hängt mit allem zusammen, wir haben es mit Fluchtursachen in einem globalen Kapitalismus zu tun. Aber zwischen empirisch feststellbarer Wirklichkeit – Zuzugszahlen, Lage an den Grenzen, Unterbringung, Kosten etc. – und dem Raum, den das Thema Flucht und Migration einnimmt, besteht ein Missverhältnis – vor allem, wenn man sich einmal vorstellt, was sonst noch auf die Themenliste gehörte.

Wegen der milliardenschweren Investitionslücke gammelt die Infrastruktur dahin. Der technologische Wandel wird sich auf die Lohnarbeit auswirken. Wir haben es mit prekären sozialen Lagen in einem reichen Land zu tun. Es gibt weltgesellschaftliche Herausforderungen in Größenordnungen, die die alte Systemkonkurrenz wie ein Problemchen aussehen lassen: Klima, Ressourcen, Konflikte. Und so fort.

Darüber hat bisher niemand in der Koalition eine Regierungskrise angezettelt. Auch von Ultimaten an die Kanzlerin ist nichts bekannt. Etwas mehr „Psychologie“ wäre hier durchaus angebracht. Es wäre jedenfalls besser, als sich „auf der Ebene der Sacharbeit“ zu verstecken, in der Hoffnung, nicht doch noch über das von der Union vor die Füße Gekippte zu stolpern.

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