Als im Juli auf einen Schlag 220 Busfahrer der kommunalen Verkehrsbetriebe in Saarbrücken in die Linke eintraten, machte sich nicht nur bei Oskar Lafontaine Zufriedenheit breit. Einen solchen Ansturm sollten endlich auch Kritiker als Beleg für die wachsende Verankerung der Partei im Westen anerkennen.
Nun sorgen die Saarbahn-Fahrer wieder für Schlagzeilen, aber aus der Erfolgsstory ist ein Polit-Krimi geworden. Sechs Betriebsräte wehren sich vor Gericht gegen ihre Kündigung. Es geht um falsche Stundenabrechnungen und den Vorwurf, dass Mitglieder mit unlauteren Methoden für die Linkspartei geworben worden seien.
Eine Retourkutsche unter Parteien?
Für Saarlands CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller, der am Wochenende den Landtagswahlkampf einläutete, kommt der Fall gerade recht. Die Nachrichten fügen sich vortrefflich in das propagierte Bild einer Partei, von der man anderes als unlautere Methoden ohnehin nicht erwarten dürfe. Ein Schlag gegen Rot-Rot ist es allemal: Wenn die Linkspartei auf diese Weise im Revier der Sozialdemokraten wildert, wird die Neigung der SPD, eine Koalition mit der Linkspartei einzugehen, nicht gerade größer werden. 30 der 220 neulinken Busfahrer waren zuvor eingetragene Sozialdemokraten.
Von allen unter Beschuss genommen, hat die Linkspartei derweil ihre Verteidigungsstellung an der Rote-Socken-Linie bezogen. Landeschef Rolf Linsler nennt die Vorwürfe gegen die Betriebsräte eine Retourkutsche der Konkurrenz, um den Aufstieg der Linken zu verhindern. Dass die beiden Geschäftsführer des städtischen Saarbahn-Mutterunternehmens VVS die Mitgliedsbücher von SPD und CDU in der Tasche haben, gerät dabei zum Beweis. Der im Zentrum der Kritik stehende Saarbahn-Betriebsratschef Winfried Jung sieht die Sache ebenso: "Das Signal soll sein: Wer in die Linkspartei wechselt, wird entlassen."
In der VVS-Zentrale erzählt man eine andere Geschichte. Von "Rachefeldzug" will Geschäftsführer Dieter Attig nichts wissen, der Unternehmensleitung sei es "egal, ob jemand in die CDU, die SPD oder die Linke eintritt". Wenn sich Ende Oktober das Saarbrücker Arbeitsgericht mit der Sache beschäftigt, werde es vor allem um Lohnbetrug gehen. Betriebsräte hätten auf Kosten des Unternehmens gefeiert, sagt Saarbahn-Anwalt Matthias Lippert, ein Restaurantbesuch soll als Betriebsratssitzung abgerechnet worden sein. Die Beweise seien eindeutig: "Verschiedene Leute, die dabei waren" würden vor Gericht aussagen.
Für eine Affäre, über die längst nicht mehr nur die Regionalpresse ausführlich berichtet, wäre das "vorsätzlich falsche Aufschreiben von Stunden" wohl kaum Aufhänger genug. Deshalb geht es in der Öffentlichkeit vor allem um den zweiten Vorwurf : Betriebsratschef Jung soll bei der Mitgliederwerbung "definitiv Druck ausgeübt" haben. Mal ist von vorausgefüllten Eintrittsformularen die Rede, mit denen Mitarbeiter gedrängt wurden; mal davon, dass einem Fahrer indirekt Schläge angedroht worden seien. So steht es in der Zeitung - ohne weiteren Beleg.
Betriebsrat Jung kann sich "das alles nicht erklären". Auch Linken-Chef Linsler geht "davon aus, dass nichts dran ist". Und bietet eine weitere Lesart des Saarbahn-Falles an: Vielleicht "wollte man sich unbequemer Kritiker schnellstmöglich entledigen". Winfried Jung, seit 30 Jahren bei der Saarbahn und seit 16 Jahren Betriebsrat, gehört dem VVS-Aufsichtsrat an und zählt dort zu den engagierten Gegnern von Privatisierungen bei den Stadtwerken. Ihren Eintritt in die Linkspartei hatten die Busfahrer seinerzeit nicht zuletzt mit der Angst vor weiteren Strecken-Verkäufen begründet. Und: Im kommenden Juni wird an der Saar nicht nur ein neuer Landtag gewählt, es werden auch kommunale Vertretungen neu besetzt. Betriebsrat Jung will dann für die Linke in den Saarbrücker Stadtrat einziehen. Dort wird nicht nur über Privatisierungen mitentschieden, sondern auch über die Besetzung der VVS-Geschäftsführung.
"Das ist doch vorgeschoben", meint dagegen Thorsten Weske. Der Bezirksleiter der Lokführer-Gewerkschaft GDL hält nichts davon, immer neue politische Verwicklungen in die Affäre hinein zu interpretieren. Für ihn steht fest: Die Betriebsräte um Jung haben sich gesetzwidrig verhalten.
Doch auch Weskes Organisation spielt eine Rolle im Saarbahn-Fall. Die namentlich bekannten Kronzeugen gegen den ver.di-Betriebsrat sind allesamt GDL-Mitglieder der GDL. Wer etwas über das Verhältnis beider Gewerkschaften weiß, kann daraus seine Schlüsse ziehen.
Alles begann Anfang des Jahres mit Aushängen im Betrieb. Unter dem GDL-Logo wurde gegen die "Dackelzuchtgewerkschaft" ver.di polemisiert und deren "Funktionärskaste" unterstellt, "den Mitgliedern den Krieg" erklärt zu haben.
Ein rechtsradikaler Kronzeuge?
Zwischen ver.di und der GDL herrscht ohnehin leichter Frost. Als vor knapp einem Jahr die Lokführer der Deutschen Bahn ihren Streik begannen, kritisierte der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft, Frank Bsirske, dies als "Abschied aus der Solidarität". Es war nicht das erste Mal, dass DGB-Gewerkschaften tarifpolitisch an Boden gegenüber kleineren Spartengewerkschaften verloren hatten. Die organisieren Beschäftigte in exponierter Stellung und haben es so leichter, Geld für ihre Mitglieder herauszuholen.
Auch in Saarbrücken würde die GDL lieber einen eigenen Tarifvertrag für die Lokführer aushandeln. Eine Ortsgruppe entstand - mit dem Urheber des "Dackelzucht"-Flugblattes als Vorsitzendem und mit Gründungsmitgliedern, die dafür erst einmal bei ver.di austreten mussten. Die Kollegen, sagt GDL-Bezirksleiter Weske, hätten sich von ver.di nicht ausreichend vertreten gefühlt. Der Lokomotivführertarifvertrag der Deutschen Bahn hat bei anderen Schienen-Kapitänen offenbar Erwartungen geweckt. Es werde, hieß es schon im Frühjahr in einem Flugblatt der GDL-Gruppe bei der Saarbahn, "bei jedem Eisenbahnverkehrsunternehmen mehr verdient als bei uns".
Bernd Oleynik, der zuständige ver.di-Fachbereichsleiter, hält dagegen, seine Gewerkschaft habe sich um Triebwagenführer genauso bemüht wie um Busfahrer. Es habe ordentliche Einkommenssteigerungen gegeben, sagt Oleynik und lässt die Gelegenheit nicht aus, daran zu erinnern, dass die GDL an anderer Stelle schon versucht habe, Tarifabschlüsse von ver.di zu unterbieten, um selbst als Verhandlungsführer von den Arbeitgebern akzeptiert zu werden.
Jetzt droht der Saarbahn-Fall sogar, die landesweiten Tarifgespräche für den Nahverkehr zu Fall zu bringen. Seit mehr als zwei Jahren wird verhandelt, zuletzt war optimistisch von der "Endphase" die Rede - bis zur Affäre um die Betriebsräte bei der Saarbahn. Ver.di hat die Gespräche vorerst auf Eis gelegt. Die Kündigung der sechs Kollegen, so Oleynik, könne schließlich nicht unbeantwortet bleiben.
Bis die große Tarifkommission an diesem Freitag über das weitere Vorgehen entscheidet, erwartet ver.di aber noch dringend eine Erklärung der VVS-Zentrale. Denn die Saarbahn-Affäre hat bereits eine neue Wendung erfahren. Der Hauptzeuge der Geschäftsleitung für den Vorwurf gegen die Betriebsräte soll 1998 bei den Bundestagswahlen kandidiert haben - für die rechtsradikale DVU.
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