Niemals nie nicht

Rot-rote Optionen nach dem Hessen-Debakel Die Sozialdemokraten wollen nicht mehr in die "Wortbruch"-Falle laufen - doch schon gibt es die nächsten Tabus

Zumindest hat Franz Münteferings Freude an bildreicher Sprache durch das Debakel der SPD in Hessen nicht gelitten. Auch er habe, sagte der sozialdemokratische Parteichef, "nach allem, was man hörte" mit einem Regierungswechsel in Wiesbaden gerechnet. Die Pleite, die folgte, sei so, "wie wenn Sie beim Fußball ganz zu Beginn des Spiels ein Gegentor kriegen" - man habe dann ja immer noch eine Menge Zeit, das Spiel zu drehen.

Das lässt Raum für Interpretationen. Hofft der SPD-Vorsitzende darauf, dass es bei der Neuwahl doch noch zu einer Ablösung von Roland Kochs CDU kommt? War es ein Wort der Unterstützung für den neuen Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel, der nun die Sozialdemokraten in die Neuwahlen führt? Oder wollte Müntefering den Bogen über die Landesgrenzen hinaus gespannt wissen und sagen: Hessen war ein Test, sein Scheitern bedeutet keinesfalls das Ende eines Weges, der nicht in Wiesbaden endet?

Doch nichts aus Hessen gelernt

Mit der Duldung einer rot-grünen Landesregierung durch die Linkspartei hätte die SPD gegenüber der Union strategischen Boden gutgemacht. Die Merkel-Partei hat geräuschlos die Grünen für sich entdeckt und damit ihre Machtoptionen im neuen Fünfparteienspek­trum erweitert. Statt in diesem Spiel einen Ausgleichstreffer zu erzielen, um in Münteferings Bild zu bleiben, kassierte die SPD in Hessen nun erst einmal ein weiteres Gegentor.

Vor den Wahlen 2009 weist der Wiesbadener Coup der "Viererbande" auf ein strategisches Dilemma der Sozialdemokraten hin: Ohne Bündnisse mit der Linken gibt es für die SPD - von Ausnahmen abgesehen - nur noch geringe Machtaussichten auf Landesebene. Mit solchen Bündnissen jedoch stehen der Partei womöglich neue Zerreißproben bevor wie man sie in Hessen beobachten konnte.

Die Sozialdemokraten haben, so ist es nun jeden Tag zu hören, eine Lehre gezogen: Um nicht noch einmal in die von der Union aufgestellte "Wortbruch"-Falle zu laufen, gilt jetzt ein Gegen-Tabu - niemals mehr nie zu sagen, außer natürlich auf der Bundesebene. Müntefering erklärt das Problem der Kooperation mit der Linken inzwischen gar für "überschätzt in seiner Bedeutung für die Bundestagswahl". Da ist Hoffnung die Mutter der Porzellankiste, denn Union und Medien werden kaum darüber hinwegsehen, dass im nächsten Jahr fünf Landtagswahlen anstehen, bei denen die Frage "Wie hältst du es mit der Linkspartei" eine entscheidende ist.

In Hessen wird das Wahlergebnis im kommenden Januar jeden Gedanken an einen neuen rot-grün-roten Anlauf überflüssig machen. Und wenn es doch noch zu einer Überraschung kommt, müssten vor allem äußerst skeptische Grüne überzeugt werden. Die rot-rote Frage stellt sich spätestens Ende August, wenn in Sachsen, Saarland und in Thüringen gewählt wird. In allen drei Ländern hat die SPD eine Koalitionsaussage vor dem Urnengang abgelehnt - von Äußerungen, die den Charakter ausschließender Erklärungen haben, hat das die Sozialdemokraten ebenso wenig abgehalten wie die Linkspartei. Haben die Sozialdemokraten aus Hessen also doch nichts gelernt?

In Thüringen machten zuletzt Äußerungen des linken Spitzenkandidaten Bodo Ramelow Schlagzeilen, der erst den Sozialdemokraten angeboten hatte, auch im Falle eines linken Wahlsieges einen SPD-Ministerpräsidenten zu akzeptieren - nun aber davon abgerückt ist. "Die Koalitionsverhandlungen wird der Stärkere bestimmen", sagte Ramelow, "wer die meisten Stimmen mitbringt, hat auch den Anspruch auf die Bestimmung der Richtlinien der Politik." In den letzten Umfragen lag die Partei mindestens zehn Prozentpunkte vor den Sozialdemokraten. Deren Landeschef Christoph Matschie wiederum erklärt, eine rot-rote Koalition gebe es nur, wenn "die SPD den Ministerpräsidenten stellt". Ob Matschie die bei einem Besuch der Wahlkampagne Barack Obamas in den USA gesammelten Erfahrungen nützen, um den Umfrage-Rückstand noch aufzuholen, ist fraglich - zumal Kontrahent Ramelow längst als der eigentliche Obama von Thüringen auftritt.

Ähnliches spielt sich im Saarland ab: Nach jüngsten Umfragen käme der "linke Block" aus SPD und Linkspartei auf 48 Prozent - je sicherer die rechnerische Mehrheit erscheint, desto unversöhnlicher stehen sich die Landesverbände gegenüber. Medien berichten von definitiven Festlegungen, den jeweils anderen Spitzenkandidaten nicht zum Ministerpräsidenten zu wählen. Dabei mögen auch persönliche Zerwürfnisse eine Rolle spielen, immerhin waren Oskar Lafontaine und Heiko Maas einmal in der selben Partei. Nachdem auch der frühere SPD-Ministerpräsident Reinhard Klimmt seinen früheren Freund Lafontaine als unzuverlässig bezeichnet hat, käme auch der nicht mehr als Kompromisskandidat in Frage, heißt es. Während die einen schon über politische Seiteneinsteiger als Ministerpräsidenten spekulieren, die sowohl von SPD und Linkspartei akzeptiert werden, nähren andere Gerüchte, nach denen es bereits Absprachen zwischen SPD und CDU für die Zeit nach der Landtagswahl gebe.

Mehrdeutige Signale an die Linkspartei

Während die Sozialdemokraten in Thüringen und im Saarland aus der Opposition heraus an die Macht streben, liegen die Karten in Sachsen und Brandenburg anders verteilt. Hier regiert die SPD bereits in großen Koalitionen mit - in Dresden als kleiner Partner, in Potsdam mit Matthias Platzeck als Ministerpräsident. In Sachsen macht man sich bei den Sozialdemokraten derzeit vor allem darüber Gedanken, mit welchem Ergebnis der aktuelle SPD-Landeschef Thomas Jurk an diesem Wochenende wiedergewählt wird, wie belastbar die aktuellen Umfragewerte sind und was an Berichten dran sein könnte, dass der unter Druck geratene Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee Jurk die sicher geglaubte Spitzenkandidatur noch entreißen könnte. Eine Koalitionsaussage will die SPD auch in Sachsen vor der Wahl nicht mehr abgeben.

In Brandenburg senden die Sozialdemokraten mehrdeutige Signale aus: Einerseits sagt der kurzzeitige SPD-Vorsitzende Platzeck "die Linken in Brandenburg waren schon einmal weiter" und er spüre, "dass der Kurs von Oskar Lafontaine die Partei" im Lande von ihrem Kurs abbringt, "Realitäten anzuerkennen". Andererseits sorgt die Finanzkrise für eine rot-rote Annäherung sogar im Parlament. Bei einer aktuellen Stunde dachte Platzeck zur Verärgerung des Koalitionspartners CDU laut über einen "dritten Weg" zwischen Finanzmarkt-Kapitalismus und Planwirtschaft nach. Bei der Linkspartei erntete der SPD-Mann dafür Beifall - wer wollte, konnte darin einen Wink mit dem Zaunpfahl sehen.

Von Kooperationstabus hielt Platzeck schon vor den Ereignissen in Hessen nicht viel. "Parteien aus dem demokratischen Spektrum müssen generell untereinander koalitionsfähig sein", meinte der SPD-Mann unlängst, kündigte aber an, nicht darüber zu spekulieren, "wohin das Pendel nach der Landtagswahl 2009 geht". In Brandenburg findet die letzte Landtagswahl im kommenden Jahr statt - am selben Tag, an dem auch die Abgeordneten des Bundestags neu bestimmt werden. Rot-Rot ist dabei eigentlich kein ernst zu nehmendes Thema, die Union wird diese Konstellation trotzdem zu einem solchen im Wahlkampf machen. Zu Unrecht, wie die SPD findet. "Wir könnten sofort Frank-Walter Steinmeier im Bundestag zur Kanzlerwahl stellen", so sagte es Platzeck unlängst in einem Interview, aber "wir tun es nicht, jeden Tag nicht - das sagt alles. Einen besseren Beweis gibt es nicht."

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