Ohne Sahra wird alles …

Sahra Wagenknecht Wer jetzt schon weiß, was der Rückzug der Linksfraktion-Chefin bedeutet, weicht so nur den wahren Prüfungen aus
Ausgabe 11/2019
Sahra Wagenknecht beim Pressetermin anlässlich ihres Rücktritts am 12. März
Sahra Wagenknecht beim Pressetermin anlässlich ihres Rücktritts am 12. März

Foto: Felix Zahn/Imago/Photothek

Zu Sahra Wagenknechts öffentlicher Rolle ist schon viel gesagt, wenn ihre Ankündigung, nicht erneut zu einem Fraktionsamt anzutreten, den Medien eine Eilmeldung wert ist. Damit kann nicht jede Abgeordnete, nicht jeder Abgeordnete aus einer Neun-Prozent-Partei rechnen. Auch nicht jede Fraktionschefin. Bei Wagenknecht ist manches anders. Das war immer Fluch und Segen gleichermaßen. Je nachdem, von woher man blickt.

In ihrer Begründung für den Rückzug aus der Führung von „Aufstehen“ und vom Fraktionsvorsitz nimmt der Hinweis auf Krankheit durch Überlastung einen zentralen Platz ein. Politik in der Mediendemokratie ist eine Tretmühle, die Menschen rausfallen lässt, sie rausschmeißen kann. Der Erfolgsdruck, die Aufmerksamkeitsökonomie, die auf Einzelne zugespitzten Konflikte, das hektische Schwingen medialer Resonanzböden – all das verstärkt sich mit zunehmender Personalisierung.

Wagenknecht hat zuletzt eine politische Ich-AG geführt. „Team Sahra“ war eine auf sie zugeschnittene Plattform. „Aufstehen“ wurde als ihr Projekt betrachtet, als Versuch, die eigene Partei vor sich herzutreiben. „Wagenknecht“ ist zu einem Markensymbol geworden, das Linke darüber streiten ließ, wie viel Licht von ihr noch auf die Linkspartei fällt oder ob da jemand eher in eigener Absicht strahlt. Das hat Kritik provoziert, hat Ängste ausgelöst, von drohender Spaltung war die Rede, anderen wäre eine solche wohl Erleichterung gewesen.

Wer im politischen Berlin hat noch so eine Wirkung im linken Lager? Was sind die Folgen? Rote Riesen sind Sterne von hoher Leuchtkraft. Aber in ihrem Inneren geht die Energie zur Neige, sie „verbrennen“ immer mehr von den Ressourcen, die ihre Stabilität garantieren. Das passiert nicht nur Politikerinnen und Politikern, sondern zum Beispiel auch Chefredakteuren. Aber die sind, um im Sternen-Bild zu bleiben, in Wahrheit eher weiße Zwerge.

Politisch ist es für Wagenknecht zuletzt nicht besonders gut gelaufen, sowohl mit „Aufstehen“ als auch in der Linkspartei, in der die Verhältnisse hier und da über alte Frontlinien hinauswachsen. Dazu kam die Gesundheit. Das zu respektieren, hat den Tenor vieler Reaktionen auf Wagenknechts angekündigten Rückzug ausgemacht. Gut so. Man sollte das in einer von Aufregungsattacken und Reflexionsabwesenheit befallenen Demokratie durchaus betonen.

Man muss deshalb von der Kritik an Stil und Inhalt von Wagenknechts Vorgehen nichts zurücknehmen, sei es in der Migrationsfrage, sei es bei Europa oder in Sachen Mitte-Links-Kooperation oder an der als abfällig empfundenen Tonlage, in der ihre Ablehnung von liberaleren Positionen und grüneren Ideen zum Ausdruck kam. Aber auch die lautesten ihrer Kontrahenten werden einsehen, dass Entfernung und Entfremdung in einem System kommunizierender Röhren wuchsen.

Es gab Zeiten, da zählten wir Beobachter die Sekunden, die zwischen den (erwartbaren) Äußerungen Wagenknechts und den (erwartbaren) Reaktionen aus der Linken lagen. Zu einer dialektischen Widerspruchsbearbeitung, zu praktischen Lösungen, zu Fortschritt der Debatte trug das Ping-Pong selten bei. Manche Reaktionen waren Öl ins Feuer. Peinlich waren die Polemiken, die Wagenknecht als Handpuppe Oskar Lafontaines hinstellten. Und nicht jede demonstrativ markierte Anti-Wagenknecht-Position konnte als gut durchargumentierte progressivere Idee durchgehen.

„Nein“ zu sagen, ist eben nicht dasselbe wie wirklich etwas über das „Ja, aber anders“ zu wissen. Deshalb ist Skepsis angebracht mit Blick auf jene, die nun schon wissen, was alles einfacher wird. Weder lässt es sich Wagenknecht allein anlasten, dass SPD und Grüne in Bündnissen mit der CDU Zuflucht suchen, noch werden offene Fragen linksreformerischer Koalitionen, ihrer Möglichkeiten und Grenzen, schon durch eine bloße Personalie zu beantworten sein. Vor vorschneller Besserwisserei seien nicht zuletzt jene gewarnt, die immer schon selbstsicher ausriefen, dass es „ohne Sahra“ für die Linkspartei nur bergab gehen oder dass „ohne Wagenknecht“ alles besser werden könne. Die wahren Prüfungen für das progressive Lager sind ganz andere.

Wagenknecht verkörpert in bestimmten Kreisen und Milieus eine Hoffnung auf politische Lösungen, die dort linken Parteien sonst kaum mehr zugetraut werden. Das Problem ist nicht schon deshalb weg, weil die Projektionsfigur für diese Erwartungen einen Gang herunterschaltet.

Wagenknecht personifiziert eine Strömung, die in der Geschichte – sagen wir es richtig: in unserer Geschichte – tief verwurzelt ist. Wer eine Linke auf der Höhe der Zeit will, kommt nicht daran vorbei, auch mit Traditionen zu ringen. Sie ist vielen die Inkarnation der Widersprüche zwischen Antikapitalismus und sozialer Demokratie, zwischen evolutionärem Reformanspruch und dem „stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse“, zwischen nationaler politischer Regelungswirklichkeit und globalen ökonomischen Zuständen. Die werden auch künftig nicht leichter zu bearbeiten sein. Bewegungen gegen die Zumutungen der herrschenden Verhältnisse werden nicht schon deshalb erfolgreicher sein, nur weil bestimmte Personen nicht dabei sind.

Wagenknecht hat Antworten gegeben, die man für falsch halten kann, für anachronistisch, für rückwärtsgewandt. Aber das ändert nichts daran, dass die Fragestellung oft richtig war. Die Suche geht weiter.

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