Beängstigt von der Vorstellung, die absolute Mehrheit zu verlieren, versucht die neue CSU-Spitze die Bayernwahl im September zur Entscheidung über das Schicksal des Abendlandes zu machen. "Es gibt den Kalten Krieg nicht mehr", erklärt Parteichef Erwin Huber, "aber es gibt genügend Leute, die den Gedanken vom Kommunismus weiterträumen". Deshalb werde man - "wenn es sein muss" - einen "Kreuzzug gegen die Partei von Oskar Lafontaine" führen.
Rote-Socken-Kampagnen der Union haben im Osten immer schon eher der SPD gegolten als den Nachfolgern der SED. Und so ist es nun auch im Westen. Von Bayern aus wird deshalb für ein freiheitlich-demokratisches Hessen mitgefochten. CSU-Generalsekretärin Christine Haderthaler nannte die dortige SPD "Steigbügelhalter für Kader-Geschwader", Bayerns Ministerpräsident Günter Beckstein warf der Partei vor, ausgerechnet jenen hinterherzulaufen, die die DDR ruiniert hätten.
Anstelle der SPD, die die Invektive abtropfen ließ, fühlte sich Linkspartei-Vize Klaus Ernst angesprochen. Becksteins "Scheinheiligkeit" sei kaum zu überbieten, als Innenminister habe der mit "dafür gesorgt, dass mit Schalck-Golodkowski eine der Triebfedern des DDR-Systems" bis heute "weitgehend unbehelligt in Bayern leben kann".
Man fragt sich: Wäre es Ernst lieber, der einstige ZK-Mann säße im Gefängnis? Und muss man heutigen Unionspolitikern tatsächlich vorwerfen, dass sie früher "diensteifrige SED-Blockpartei-Mitglieder waren", eine Angela Merkel als FDJ-Sekretärin sogar "Stütze des SED-Regimes"? Die Union lässt sich für ihre geschichtspolitischen Vergessenheit nicht glaubwürdiger kritisieren, wenn man sich derselben schiefen Töne bedient.
Bei der Linkspartei fällt noch anderes ins Gewicht. Schon in der PDS war die Frage, wie man es mit dem Sozialismus a lá SED hält, vor allem eine der zukünftigen Politik. Die Bereitschaft zur Distanzierung von der DDR-Geschichte wuchs oft parallel zur Vorliebe für eine Koalition mit der SPD. Die Option zum Mitregieren wollten sich vor allem jüngere Genossen nicht durch den Vorwurf verbauen lassen, zu wenig Eifer bei der "Aufarbeitung" an den Tag gelegt zu haben. Das mobilisierte wiederum jene, die in jeder berechtigten Kritik am Realsozialismus schon eine Abkehr vom Klassenkampf wähnten. Die Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte geriet so innerhalb der Linkspartei zu einer Folie, auf der häufig ganz andere Fragen verhandelt wurden.
Die DDR, über die zu diskutieren für die Linke sehr nützlich wäre, ist in der allgemeinen Politik heute vor allem ein Stöckchen, das nach Belieben hingehalten werden kann, damit die Konkurrenz darüber springt. "Es gab gute Gründe, nach der friedlichen Revolution von 1989 die SED nicht zu verbieten", hieß es gerade erst wieder aus der Feder von Roland Koch. In seinem Versuch, ein rot-grün-rotes Bündnis doch noch zu verhindern, ist ihm die längst gewandelte Partei nützlicher als eine Museumsleiche. "Die SED gibt es noch. Sie heißt nur anders", sagt der Noch-Ministerpräsident und erreichte damit immerhin, dass es hessische Sozialdemokraten zur Bedingung einer Kooperation mit der Linken machen, dass diese sich "vorbehaltlos" von der DDR distanziert.
Darauf angesprochen, lacht der Vorsitzende der Linksfraktion in Wiesbaden. Man habe sich doch schon mehrfach wie gewünscht erklärt, sagt Willi van Ooyen. "Warum sollten wir uns dann schon wieder distanzieren?" In Hessen zumal, wo es vor ziemlich genau einem Jahr eine Riesen-Aufregung gab, als Pit Metz den Begriff "Schießbefehl" nicht nur auf die Grenzpolitik der SED, sondern auch auf das Vorgehen der Bundeswehr in Afghanistan gemünzt hatte.
Der frühere DKP-Mann war seinerzeit gegen den Willen der Bundesspitze zum Spitzenkandidat für die Landtagswahl gekürt worden, musste dann jedoch zurückziehen. Die damals vorgebrachten Distanzierungen durch Linksparteipolitiker, die vordergründig einer "falschen" Haltung zur DDR-Geschichte galten, waren aber mehr: Abstandsgewinn von der etwas stärker auf Opposition zielenden Position von Metz. Beim Landesparteitag an diesem Wochenende will der sich wieder zur Wahl stellen, diesmal für den geschäftsführenden Vorstand der Linken. Die Grünen haben diese Personalie bereits wieder als Hebel entdeckt und erklären lassen, eine Rückkehr von Metz sei ein möglicher Hinderungsgrund für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei in Hessen. Wegen dessen angeblicher Haltung zur DDR? Oder wegen der Ansichten zur heutigen Politik? Um die Ziele, die in einem rot-grün-roten Bündnis zu verfolgen wären, wird ja auch in Hessens Linkspartei gerungen. Vom Ausgang dieser Diskussion und dem Landesparteitag am Wochenende hängt viel ab, vielleicht sogar, ob es doch noch Neuwahlen geben muss.
Den ihr aufgezwungenen Wettlauf um die "richtige" Haltung zu SED, Staatssicherheit und Realsozialismus könnte die einzige Partei aus dem Osten, die ihre Vergangenheit vor 1989 nicht ausblenden kann, selbst dann nicht gewinnen, wenn es sich um ein offenes Rennen handelte. Was nicht so ist, wie jeder weiß. Solange sich eine Gelegenheit bietet und ein politischer Nutzen erwartet werden kann, wird die Erzählung von der "Nachhut der Arbeiterklasse" und ihrer gefährlichen Sicht auf die Vergangenheit hervorgekramt. Ob damit die SPD von Koalitionen abgehalten werden soll, also über Bande gespielt wird, oder ob die Linkspartei direkt ins Visier gerät: der Mechanismus der Disziplinierung wirkt. Nach einem Wahlkampfbeitrag des Spiegel über das Geschichtsverständnis "alter Kader" hat die Parteizentrale gerade erst Teile des eigenen Webangebotes zensiert.
Anlass war ein Artikel, in dem über ein nicht einmal besonders aktuelles Papier des Ältestenrates der Linkspartei berichtet wurde, das "Anregungen zum Umgang mit der Geschichte" geben will. Illustriert wurde das Stück mit Bemerkungen über den "Marxistischen Arbeitskreis zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung", der sich nach eigenen Angaben "ausdrücklich als eigenständiges partei- und organisationsübergreifendes Gremium versteht". Bisher war dennoch über die Homepage der Linkspartei auch die Geschichtskorrespondenz des Zirkels abrufbar. In der wurde mal Walter Ulbricht gepriesen, mal wurden Oppositionelle in der DDR als "Platzhalter für die Macher der Konterrevolution" hingestellt. Seit dem Erscheinen des Spiegel-Beitrags ist der zweifellos fragwürdige Blick zurück nicht mehr auf der Linkspartei-Seite abrufbar.
Der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei bezeichnet den Autorenkreis als "vergleichsweise bedeutungslos". Das Blättchen, so wird Dietmar Bartsch zitiert, "war nicht so, dass es Positionen der Partei entsprochen hätte". Das wirft die Frage auf, ob es nicht vielleicht einen Unterschied zwischen den Positionen der Partei und denen eines Großteils ihrer Mitglieder vor allem in den neuen Ländern gibt und was daraus folgt. Und kann man Positionen, die einem nicht passen, sei es aus noch so guten Gründen, durch Zensur aus der Welt schaffe? Wie stand die Linksparteispitze bisher zum DDR-Bild des Arbeitskreises? Man mag das Ziel, in Hessen den bundespolitischen Druchbruch im Verhältnis zur SPD zu schaffen, höher bewerten als den Erhalt des fragilen Pluralismus der Fusionspartei. Eine Auseinandersetzung über Geschichte und Zukunft einer Alternative zum Kapitalismus lässt sich aber nicht führen, wenn von vornherein nur ein Ergebnis zugelassen ist. Da mag die parteiinterne Debatte deutlich weiter weil differenzierter sein - nach außen dringen derzeit vor allem Schlagworte, die Medien haben nur Interesse am Skandal.
Allzu einfach kann man es sich mit den "Ewiggestrigen" in der Linkspartei aber nicht machen. Über einen der vom Spiegel zitierten Dokumente der "Geschichtsklitterung" war lange vor dessen Erscheinen sogar die Kommunistische Plattform erzürnt. Die allzu übertriebener DDR-Kritik sehr unverdächtige Linkspartei-Strömung hatte eine Apologie der DDR-Kampfgruppen als undifferenziert und verkürzt kritisiert. Davon berichtete das Magazin nicht. Für den "Kreuzzug gegen die Partei von Oskar Lafontaine" erwies sich diese Information wohl als ungeeignet.
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