Sie fürchten den Kontrollverlust

Parteien Wer ist online am schönsten, schnellsten, besten? Den ersten Praxistest haben die Parteien im Superwahljahr bereits hinter sich

Man sollte nicht unbedingt Begeisterung erwarten, wenn man Mark Seibert in diesen Tagen auf Barack Obamas Online-Kampagne anspricht. Der 33-Jährige aus Offenbach leitet im Berliner Karl-Liebknecht-Haus den Netz-Wahlkampf der Links­partei und ist den Hype um die US-Präsidentschaftswahlen langsam überdrüssig. Sicher, die Signalwirkung ist auch für hiesige Parteien beträchtlich. Der ständige Verweis auf die Online-Strategie des demokratischen Kandidaten hat bei Seibert jedoch den Eindruck hinterlassen, die „alten Medien“, vor allem die Zeitungen, würden sich hier einem Thema besonders intensiv zuwenden, um zu beweisen, dass ihr Rückstand hinter den „neuen Formaten“ gar nicht so groß ist. Zurück bliebe das Zerrbild einer politischen Szene, die ohne das Internet mit nackten Händen dasteht. Tut sie das denn nicht? Man könne, sagt Seibert, den klassischen Wahlkampf mit Großplakaten, Infostände vor den Supermärkten und per Fernsehspot durch das Internet nicht ersetzen – nur ergänzen.

Im Prinzip sehen das heute alle großen Parteien so. Und längst ist daraus auch so etwas wie ein Wahlkampf im Wahlkampf geworden: Wer ist online am schönsten, schnellsten, besten? CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla zählt stolz auf, dass die Merkel-Partei 2005 den ersten politischen Podcast ins Rennen geschickt habe, auch bei Internet-Videos hierzulande Vorreiter war und diese Rolle nun kontinuierlich ausbauen wolle. Die Sozialdemokraten legten kurz darauf nach: Der Relaunch des SPD-Internetportals sollte nicht etwa nur als Auffrischung des Layouts verstanden werden, nein, den Tapetenwechsel verkaufte die SPD als „ersten Schritt, um ihre Rolle als moderne Internetpartei zu festigen“. Selbstverständlich hält man sich auch im Willy-Brandt-Haus für einen Vorreiter in Sachen Online-Politik.

Die Logik des MarketingsDen ersten Praxistest im Superwahljahr haben die Online-Bemühungen der Parteien bereits hinter sich. In Hessen brachte die CDU unter anderem die Anwendung Speak-a-message an den Start, mit der man „unterhaltsame Sprach-E-Mails“ zur Unterstützung der Partei versenden konnte. Der bayerische Anbieter des Programms hatte nach eigenen Angaben auch das Obama-Lager in den Vereinigten Staaten technisch unterstützt und verkaufte das neue Wahlkampf-Werkzeug als „wichtiges Mittel für das Entstehen einer neuen Grassroots-Bewegung“.

Nun ist die Union womöglich nicht die erste Partei, die einem bei Basisdemokratie und Selbstorganisierung einfällt. Man muss aber auch jenseits der CDU berücksichtigen, dass das Reden über Online-Wahlkampf selbst zu einem Teil der Logik von Marketing folgt. Internet-Politik muss gemacht werden, es werden Programme und Dienstleister benötigt, es entsteht ein Markt, und dort wird konkurriert. Aber was der Wahlkampf im Cyberspace tatsächlich bringt, lässt sich noch immer kaum fest­stellen. Thorsten Schäfer-Gümbel hat in Hessen nicht zuletzt mit seinen Online-Aktivitäten auf sich aufmerksam gemacht. Beinahe legendär wurden seine Videobotschaften und die Tatsache, dass sich der sozialdemokratische Kandidat des Microblogging-Dienstes Twitter bediente. Gut inszeniert. Aber war es auch erfolgreich in dem Sinne, den die Par­teienkonkurrenz verlangt? Schäfer-Güm­bel hat bei Twitter heute rund 2000 „Followers“, Internetleser, die seine maximal 140 Zeichen langen Kurznachrichten im Wahlkampf verfolgen konnten. Der Rückstand der SPD zur CDU bei den Stimmen betrug insgesamt rund 350.000. Ein unzulässiger Vergleich?

Die Berliner Agentur Newthinking Communications untersucht seit einiger Zeit, wie Parteien und Spitzenpolitiker das Internet für sich nutzen. Methodisch stehen die Ergebnisse auf wackeligen Beinen, denn aus der Häufigkeit der Verlinkung von Blogs auf Webseiten von Parteien lässt sich erst einmal nicht allzu viel ablesen. Schwerpunkt der Studie liegt auf Online-Netzwerken wie Facebook. Die Netzcommunity hat in Deutschland inzwischen rund zwei Millionen Mitglieder, erreicht also „nur einen Bruchteil der Wahlpopulation“, schreiben die Autoren, der Blogger Markus Beckedahl und der Politologe Falk Lüke.

Die GenerationengrenzeHier liegt auch schon einer der augenfälligsten Unterschiede zwischen den USA und der Bundesrepublik. Das Pew Internet American Life Project hat gerade erst neue Zahlen über die Nutzung sozialer Netzwerke veröffentlicht: In den USA hat bereits jeder dritte Erwachsene über 18 ein Profil bei Facebook, My Space und Co. – auch in den wahlpolitisch wichtigen Jahrgängen. In Deutschland hingegen sind vor allem die Jüngeren gut vernetzt, bei den Mittdreißigern ist es aber schon nur noch jeder fünfte, bei den Mittvierzigern jeder zehnte und bei den Menschen ab 50 sogar nur noch ein Prozent. Auch die politische Kultur ist eine andere. Und so hat ein Frank-Walter Steinmeier bei Facebook nicht einmal 1.100 „Unterstützer“, Barack Obama dagegen kam auf über 3,7 Millionen.

Abgesehen von solchen strukturellen Unterschieden fragen sich Beckedahl und Lüke auch, ob bei all der „Obamania“ in Sachen Online-Politik die deutschen Parteien überhaupt „seine Wahlkampftechnik eines kontrollierten Kontrollverlustes ausreichend verstanden haben“. Es sei heute noch gar nicht absehbar, so Beckedahl und Lüke, wie weit sich Wahlkampf jenseits der Parteizentralen entwickeln werde, eine Art Politik von unten, „getragen von Mitgliedern und Sympathisanten und ohne die Zustimmung der taktierenden Apparate, die jeden Schritt sorgsam abwägen“.

Mark Seibert von der Linkspartei gesteht durchaus ein, dass es für Kampagnenmacher gar nicht so leicht sei, die Kontrolle aus der Hand zu geben. Man denke nur an die parteiinternen Streitereien kurz vor der Hessenwahl – aber die fanden bisher den Weg eher über die klassischen Medien und noch wenig über das Internet. Bei der Linkspartei, die auch nicht zum ersten Mal Wahlkampf im Internet macht, herrsche deshalb so etwas wie eine Mischung aus „Mut zum Risiko“ und „Vorfreude auf die user-generierten Inhalte“. Mit den neuen Technologien wachsen die Möglichkeiten, „auf Augenhöhe mit den Leuten zu reden, nicht mehr top down“ und das hält Seibert für eine große Chance. Auch unabhängig davon, was die Online-Formate tatsächlich schon bei den kommenden Wahlen einbringen. In diesem Frühjahr will die Linke mit einer eigenen Community online gehen.

Womöglich wird sich die Wirkung der jetzt in der Obama-Euphorie gestarteten Projekte ohnehin erst in naher Zukunft zeigen. Denn der Weg zum Erfolg im Netz kann lang sein. Die Kandidaten in den USA haben teils schon zwei Jahre vor den Wahlen begonnen, sich eine Anhängerschaft aufzubauen, die dann auch den Wahlausgang mitentscheiden konnte. Hierzulande fehlt mitunter noch der lange Atem, den solche Kampagnen verlangen – und die Sicherheit, es auch tatsächlich mit dem Kandidaten zu tun zu haben. Der falsche Schäfer-Gümbel schaffte es sogar in die Printmedien. Und ob hinter dem Namen Franz Müntefering bei Twitter wirklich der SPD-Vorsitzende steckt, lässt sich zweifelsfrei nicht sagen. Sicher aber ist, dass man so im Internet kein Sieger wird. Die letzte Twitter-Nachricht des SPD-Vorsitzenden stammt vom Oktober 2008: „Nach längerer Abwesenheit heute wieder einmal hier.“

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