Wilbrandts Warnung

Bahn Die SPD rückt immer mehr von einer Zustimmung zum Teilverkauf des letzten Staatskonzerns Deutsche Bahn AG ab. Gut so. Aber wie soll eine Bürgerbahn der Zukunft aussehen?

Geht die SPD mit einem Nein zur Bahn-Privatisierung in den Wahlkampf? Alles andere wäre eigentlich überraschend. Der Kurswechsel, der Eingang ins Wahlprogramm finden dürfte, hat aber weniger mit politischer Vernunft zu tun als mit taktischen Überlegungen. Ein Börsengang der Bahn mitten in der Wirtschaftskrise – das können nicht einmal die beinharten Verkaufsfreunde unter den Sozialdemokraten wollen. Zudem ist Wahlkampf, und an der Basis wächst der Widerstand gegen die Privatisierung. Ein neuer SPD-Streit über die Bahnpolitik würde die mühsam errichtete Kulisse der Geschlossenheit wieder zerstören.

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Die Signale aus der engeren Parteiführung, die sich öffentlich noch nicht festgelegt hat, lassen Zugeständnisse erwarten. Franz Müntefering hat versichert, die SPD würde auf ihrem Wahlparteitag im Juni klar Position zur Bahnprivatisierung beziehen – welche, das blieb zunächst offen. Es wäre aber absurd, meint der Berliner Landeschef Michael Müller, wenn in Zeiten der Verstaatlichung privater Banken gleichzeitig die Bahn privatisiert würde. Aus der Parteiführung ist zu hören, man werde sich „in dieser Frage nicht verkrampfen“.

Aber was heißt das? Spekuliert wird, dass die SPD-Spitze im Wahlprogramm einen Teilverkauf lediglich für die kommende Legislatur ausschließt. Damit würde sie den Kritikern entgegenkommen, ohne sich festzulegen. Ob und wann die Wirtschaftslage wieder eine Realisierung des erhofften Privatisierungserlöses zulässt, kann niemand sagen. Mögliche Einnahmen spielen in politischen Szenarien aber durchaus eine Rolle – zumal der Bund demnächst auf Wunsch auch der SPD-Spitze auf die Schuldenbremse treten soll. Bis zu acht Milliarden Euro Einahmen hatte sich der Verkehrsminister einst bei einem Verkauf der 24,9 Prozent an der DB Mobility Logistics erhofft. Zum Vergleich: Dies wäre nur eine Milliarde weniger als dem Bund in Zukunft für die jährliche Neuverschuldung erlaubt sein soll.

Mitgliederbegehren gestartet

Während die eine Seite daher bestrebt sein dürfte, „Ewigkeitsbeschlüsse“ in Sachen Bahnverkauf zu verhindern, will die andere genau diese durchsetzen. „Eine endgültige Abkehr von der Kapitalisierung“ fordert etwa der Münchner SPD-Bundestagskandidat Roland Fischer. Er hat zusammen mit bayerischen Parteifreunden und dem prominenten Privatisierungsgegner Peter Conradi ein Mitgliederbegehren gestartet, um die Entscheidung für einen Teilverkauf vollständig rückgängig zu machen. Die Bahn solle „als Gesamtsystem ein zu 100 Prozent bundeseigenes Unternehmen bleiben“. Die baden-württembergische SPD hat sich Mitte Februar ebenfalls klar dafür ausgesprochen und drängt auf eine entsprechende Formulierung im Wahlprogramm. Ähnliche Signale kommen aus anderen Bundesländern und von der Parteilinken. „Die Stimmung in der SPD ist schon seit langer Zeit sehr kritisch“, sagt der Sprecher des linken Flügels, Björn Böhning. Nötig sei jetzt „eine umfassende Reform der Bahn“.

Hierzu gibt es viele Vorschläge – von der Forderung nach einem attraktiveren Preissystem über integrierte Taktpläne bis zum Stopp der Streckenstilllegungen. Notwendige Investitionen und die Schuldentilgung könnten über den Verkauf von bahnfremden Töchtern gewährleistet werden, sagen die Privatisierungsgegner. Motto: Eine andere Bahn ist möglich.

Demokratie in Betrieben

Immer mehr rückt eine Frage in den Vordergrund, oder besser: müsste in den Vordergrund rücken – die der Organisation des Unternehmens. In Zeiten, in denen Verstaatlichung als Werkzeug zur Reparatur des Kapitalismus gilt und die Linken dem die Idee der Vergesellschaftung entgegenhalten, gehören konkrete Vorschläge auch in der internen SPD-Diskussion auf den Tisch. Öffentliches Eigentum allein, das hat die Vergangenheit gezeigt, bietet noch keine Gewähr für eine bessere Bahnpolitik.

Kritiker einer Privatisierung haben immer wieder auf das Grundgesetz verwiesen, das dem Bund aufgibt, einen Schienenverkehr zu gewährleisten, der „dem Wohl der Allgemeinheit“ Rechnung trägt. Aber wie wird dieses Wohl bestimmt, und wer setzt es durch? Das ist zunächst einmal eine Machtfrage. Von allein sei die Politik „keineswegs bereit, alternative wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungspfade als Konsequenz aus der Krise einzuschlagen“, warnte unlängst Horst Schmitthenner. Der Weg müsste, so der langjährige IG-Metall-Vorstand, in Richtung einer „umfassenden Demokratisierung der Betriebe und Unternehmen bis hin zur Wirtschaftsdemokratie“ führen.

Letztere hat der unabhängige sozialistische Kopf Fritz Vilmar einmal als den „Inbegriff aller ökonomischen Strukturen und Verfahren“ beschrieben, „durch die an die Stelle autokratischer Entscheidungen demokratische treten“. Zu solchen werden diese aber erst durch die „Partizipation der ökonomisch Betroffenen“. Was heißt das für die Bahn?

In dem Beschluss der baden-württembergischen Sozialdemokraten wird gefordert, die Führungsgremien des Bahn-Konzerns so zu besetzen, „dass das Wohl der Allgemeinheit (…) Maßstab für die Unternehmensführung“ ist. Dies soll unter anderem gewährleistet werden, indem der Bund „alle Aufsichtsratsmandate“ besetzt, „die ihm als alleiniger Kapitaleigner zustehen“. Nur: Ist die Regierung, und sei es eine „bessere“, schon adäquater Ausdruck des Allgemeinwohls? Entspricht die Unternehmensform der Aktiengesellschaft überhaupt dem angestrebten politischen Ziel?

Mehr Einfluss der Mitarbeiter

Eine Ausweitung der Mitbestimmung, wie sie mit Blick auf die Verstaatlichungsdebatte derzeit unter anderem von dem Ökonomen Rudolf Hickel gefordert wird, könnte immerhin den Einfluss der Bahn-Mitarbeiter stärken. Beziehungsweise die Voraussetzung dafür schaffen. Denn schon jetzt sitzen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Deren Politik aber ist keineswegs immer mit den Interessen der Beschäftigten identisch. Auch fragt sich, wie groß eigentlich die Bereitschaft der „ökonomisch Betroffenen“ ist, sich an der Entscheidungsfindung zu beteiligen, die ja auch erst organisiert werden müsste und Zeit kostet. Wäre es sinnvoll, wenn der Staat auch Fahrgastverbände, Umweltgruppen, Kommunen etc. einbezieht? Wie könnte das geschehen? Sollen grundlegende Kursbestimmungen gar per Volksentscheid getroffen werden? Welche Rolle müsste der Regierungsapparat spielen, welche das Eisenbahn-Bundesamt? Und so weiter.

Die Trauben hängen hoch. Und das liegt auch an der Debatte über den Teilverkauf der Bahn. Die Aussicht, die Privatisierung zu verhindern, ist so gut wie lange nicht. Manch einer möchte diese Chance nicht durch eine Diskussion über eine deutlich ausgeweitete Mitbestimmung gefährden, der in der SPD womöglich nur eine kleine Minderheit offen gegenübersteht. Trotzdem müssen sich die SPD-Linken die Frage nach der Konkretisierung ihrer Forderungen jetzt stellen. Die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel musste unlängst passen, als sie gefragt wurde, wie sie sich einen Bankensektor unter gesellschaftlicher Kontrolle genau vorstelle. In den Zeitungen standen danach die üblichen Bemerkungen über eine angebliche Rückkehr zur DDR-Planwirtschaft.

Fritz Vilmar hat vor ein paar Jahren die skeptische Einschätzung vertreten, weit und breit seien „keine Bataillone“ für eine wirtschaftsdemokratische Strategie erkennbar. Zugleich erinnerte er an den parteilosen Sozialisten Robert Wilbrandt, der mit der Geschichte über einen springenden, tobenden, aber angeleinten Fabrikhund vor der Konzeptionslosigkeit der Linken gewarnt hatte, falls es einmal darauf ankommen sollte: „Da riss die Kette. Der Hund tat noch einen Sprung. Dann stand er erschreckt still. Er bellte nicht mehr. Er war, schien es, von der Stunde der Macht programmlos überrascht.“ Wilbrandt wusste als Mitglied der ersten Sozialisierungskommission von 1919, wovon er sprach.

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