Feministische Außenpolitik: Deutschland steht noch ganz am Anfang
Auswärtiges Amt Deutschland hat sich einer feministischen Außenpolitik verschrieben. Doch das, was bisher umgesetzt wurde, ist bestenfalls ein erster, zaghafter Schritt
Baerbock umringt: Selfies der Außenministerinnen bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2023 (rechts)
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Deutschland ist jetzt also Mitglied im Klub, und zwar im Klub feministischer Außenpolitik. Im Dezember 2021 erklärte die neu gebildete Ampelkoalition ihre Absicht, fortan eine feministische Außenpolitik verfolgen zu wollen. Was das bedeuten sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch ziemlich unklar. Und auch in den vergangenen zwölf Monaten hat sich nicht restlos geklärt, was damit gemeint ist, selbst nachdem Außenministerin Annalena Baerbock am 1. März 2023 ein Bündel von Leitlinien feministischer Außenpolitik vorgelegt hat. Sicher ist, dass die Ansage, künftig eine feministische Außenpolitik verfolgen zu wollen, Konsequenzen hatte, zumindest in einer Teildimension der Außenpolitik.
Doch um überhaupt die Besonderheit deutscher femi
eildimension der Außenpolitik.Doch um überhaupt die Besonderheit deutscher feministischer Außenpolitik zu verstehen, lohnt es sich, deren Geschichte zu befragen und dies zusammenzudenken mit der veränderten Rolle Deutschlands im internationalen Gefüge der Weltgemeinschaft.Schweden ging voranFeministische Außenpolitik ist ein relativ neuer Ansatz. 2014 deklarierte Schweden als erstes Land weltweit dieses Ziel. Galionsfigur war die Feministin, Sozialdemokratin und damalige Außenministerin Margot Wallström, die zeitweise auch in der Europäischen Kommission saß. Seither fungiert Schweden auch als Vorbild für Deutschland und andere Länder. Die schwedische Regierung entschied, dass die Gleichstellung der Geschlechter als zentrales feministisches Prinzip auch die Grundlage der Außenpolitik bilden sollte. Daraus leitete sich das Prinzip der „3R“ ab: Rechte, Ressourcen und Repräsentation.Zunächst verpflichtete sich Schweden, überall auf der Welt gegen die Verletzung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen anzugehen. Das eröffnete ein weites Feld, denn es ging dabei nicht nur um die „typischen“ Bereiche geschlechtsspezifischer Gewalt, sondern auch um Menschenrechtsverletzungen in militärischen Konflikten. Grundlage dafür sind die Resolutionen 1325 der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking und 1820, die der UN-Sicherheitsrat 2008 im Rahmen der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im ehemaligen Jugoslawien verabschiedet hatte. Davon profitieren zwar in der Hauptsache Frauen und Mädchen, aber eben nicht nur: Auch Männer haben etwas davon, wenn militärische Konflikte beendet werden.Rechte, Ressourcen, RepräsentationZweitens verpflichtete sich Schweden, mehr Ressourcen für gleichstellungsbezogene außenpolitische Maßnahmen bereitzustellen. Das war Fortschritt, denn im Normalfall fanden sich solche Unterstützungsprogramme nur in den Randzonen der Entwicklungsarbeit. Im Falle Schwedens offenbarte sich allerdings, dass eine solche Priorisierung auch widersprüchlich ist. Schweden verfügt beispielsweise über eine volkswirtschaftlich nicht unerhebliche Waffenindustrie, deren Produkte über Umwege oft in Konfliktgebieten landen. Es kann also vorkommen, dass in einem Land, in dem die schwedische Außenpolitik geschlechtsspezifische Entwicklungsprojekte fördert, ebendiese Waffen gegen Frauen und Mädchen eingesetzt werden.Solche Widersprüche versuchte Schweden auszugleichen, was nicht immer gelungen ist. Zu Beginn ihrer Amtszeit prangerte Wallström beispielsweise öffentlich den Umgang mit Frauen und Mädchen in Saudi-Arabien an. Das führte zu einer diplomatischen Krise nicht nur zwischen ihrem eigenen Land und Saudi-Arabien, sondern auch mit den Golfstaaten. In Schweden wiederum wurde Wallströms Vorpreschen kritisiert, weil Saudi-Arabien einer der Hauptabnehmer schwedischer Waffen ist. Darauf wollte man nicht verzichten, obwohl sich der außenpolitische Anspruch damit blamierte.Die feministische Außenpolitik in Schweden fokussierte sich schließlich auf ein fortwährendes Problem, das die internationalen Beziehungen bestimmt, die absichtliche und unabsichtliche Marginalisierung von Frauen in Entscheidungsprozessen. Das dritte R dreht sich also um Repräsentation und macht sich zur Aufgabe, „die Beteiligung und den Einfluss von Frauen an Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen und in allen Bereichen“ zu fördern, wie es offiziell heißt. Das International Peace Institute hat mehr als 180 Friedensprozesse analysiert und, wie die Vereinten Nationen berichten, festgestellt, dass immer, wenn Frauen an den Verhandlungen beteiligt waren, die Wahrscheinlichkeit eines mehr als zwei Jahre haltenden Friedens um 20 Prozent höher ist, als wenn nur Männer ihn gestalten. Aus dem einfachen Grunde, weil sie andere und möglicherweise weitere Perspektiven einbringen.Alter Wein in feministischen Schläuchen?Insofern ist das Label „feministische Außenpolitik“ zwar neu, reagiert aber auf altbekannte, lange bestehende Herausforderungen. Feministische Wissenschaftlerinnen, die sich mit internationaler Politik befassen, fordern schon lange eine stärkere Berücksichtigung von Geschlechteraspekten. Sie insistieren darauf, dass es notwendig ist, die Perspektiven und Erfahrungen von Frauen bei internationalen Entscheidungen einzubeziehen. Dies soll helfen, ein umfassenderes Verständnis für die Bedürfnisse beider Geschlechter zu entwickeln und nicht nur die Interessen der Männer in den Blick zu nehmen, die traditionell die Bühne der internationalen Politik dominieren. Obwohl es sexualisierte Gewalt in kriegerischen Auseinandersetzungen so lange gibt wie den Krieg, hat es lange gedauert, bis sie so bekannt wurde und in den Fokus rückte, ein Ergebnis von jahrzehntelangem feministischen Aktivismus. Wenn die Gleichstellung der Geschlechter als Bedingung von Frieden, Sicherheit und Entwicklung heute also Konsens ist, warum dann überhaupt noch eine feministisch qualifizierte Außenpolitik?Placeholder infobox-1Ich würde argumentieren, dass feministische Außenpolitik mehr ist als der eben beschriebene Standpunkt, die Geschlechtergleichstellung als Grundlage von Außenpolitik zu betrachten. Feministische Außenpolitik bietet die Möglichkeit, anders über das nachzudenken, was Staaten außerhalb ihrer Grenzen tun, mit dem Ziel, die Ordnung der Welt zu verändern. Nur so kann feministische Außenpolitik über die bloße Priorisierung der Gleichstellung der Geschlechter hinausgehen. Stattdessen ginge es darum, die Ordnung der Welt zu verändern und die derzeitig wirkenden hegemonialen Machthierarchien, die Männer und Männlichkeit privilegieren, aufzubrechen. Das betrifft, wie die intersektionale Forschung zeigt, nicht nur geschlechtsspezifische, sondern auch rassistische und soziale Benachteiligungen.Libyen ist auch dabeiNach Schweden haben auch andere Länder sich zu einer feministischen Außenpolitik bekannt. Dazu gehören Kanada, Mexiko, Frankreich, Spanien, Luxemburg, Libyen, Liberia und Chile. Die konkrete Ausgestaltung dessen, was die jeweiligen Länder darunter verstehen, ist sehr unterschiedlich, doch ein gemeinsamer Nenner ist die Gleichstellung der Geschlechter und die Fokussierung auf die Menschenrechte.So musste Deutschland das Rad also nicht neu erfinden, als es eine feministische Außenpolitik proklamierte. Ähnlich wie Schweden konzentriert man sich auch hier auf ds „3R“-Prinzip – die Verwirklichung von Rechten, den Einsatz von Ressourcen und die Verbesserung von Repräsentation. Deutschland allerdings ergänzt dies noch mit einem D für Diversität zu „3R+D“.Doch ähnlich wie Kanada macht die deutsche Außenpolitik nur einen Aspekt wirklich stark, die feministische Entwicklungspolitik. Ansonsten versucht das Außenministerium bei künftigen Entscheidungen Geschlechtergerechtigkeit zwar mitzudenken, mehr jedoch nicht. Die „feministische“ Orientierung bleibt eher Absichtserklärung, als dass sie sich als normativer Wegweiser und in der praktischen Umsetzung bisher schon bewiesen hätte.Eigentlich geht es erstmal nur um EntwicklungszusammenarbeitIn der praktischen Entwicklungszusammenarbeit ginge es also beispielsweise darum, die oft unterbewertete Leistungsfähigkeit und Kreativität von Frauen in den Blick zu nehmen und zu fördern und verlässliche Sicherheitssysteme für sie zu schaffen. Das dient nicht nur der Gleichstellung, sondern ist auch von volkswirtschaftlichem Vorteil.In normativer Hinsicht gibt es in der neuen entwicklungspolitischen Ausrichtung Deutschlands allerdings auch bemerkenswerte Verschiebungen. Sie verpflichtet sich dezidiert dazu, anhaltende strukturelle Ungleichheiten und Diskriminierung zu bekämpfen und benennt ausdrücklich Rassismus als ein zentrales Hindernis für die Gerechtigkeit im gegenwärtigen System der Entwicklungszusammenarbeit. Sie erkennt die koloniale Vergangenheit mit ihren Kontinuitäten an und fordert die ausländischen Partner in der Entwicklungszusammenarbeit zu Kritik und Mitarbeit auf.Manche Kritiker feministischer Außenpolitik warnen, dass die Fokussierung auf die Belange von Frauen Männer entfremdet. Das ist ein Missverständnis, denn es geht ja nicht um eine Feminisierung von Hierarchien, sondern vielmehr um deren Abbau. Andere argumentieren, dass feministische Außenpolitik für einige Bereiche geeignet sei und für andere nicht. So lasse sich die Entwicklungspolitik wohl mit der feministischen Außenpolitik vereinbaren, nicht aber die Verteidigungspolitik. Derartige KritikerInnen mögen mit dem deutschen Ansatz zufrieden sein, werden aber bald feststellen, dass er zwangsläufig zu Inkohärenz führen muss. Schließlich gibt es eine Art von Kritik, die ich als interne Kritik bezeichnen würde: Sie fragt, ob es überhaupt eine wirklich feministische Außenpolitik geben kann, solange Außenpolitik per Definition einen Staat und seine Interessen in den Vordergrund stellt?Das birgt auch die Chance zu einer reparativen Außenpolitik, gleichgültig, ob es sich um die Rückgabe von geraubten Kunstgütern handelt oder Entschädigungsleistungen in Namibia. Die vom Auswärtigen Amt ausgegebene Afrikastrategie allerdings steht noch vor ihren ersten Bewährungsproben.Bisher lässt sich eine solche Konsequenz, wie gesagt, nur in der Entwicklungspolitik konstatieren. Aber dies sollte nicht unterschätzt werden, weil Deutschland innerhalb der EU als Vorreiter und Vorbild wirken könnte. Völlig offen ist bislang, ob ein derartiger neuer Ansatz auch die Strukturen globaler Ungleichheit aufzubrechen imstande ist. Zumal, solange er auf einen einzigen Politikbereich beschränkt bleibt.Placeholder authorbio-1