Da hat jemand unbeabsichtigt zur Attacke geblasen und die öffentliche Meinung irrt umher: darf man das? Und gegen wen geht es eigentlich? Böhmermanns Inszenierung war gut – ohne Zweifel, und natürlich kann man darüber lachen, wie er im Stil einer Kindersendung Erdogan beispielhaft erklärt, was der Unterschied zwischen Satire und Schmähkritik ist. Erdogan selbst hat den Kontext für diese satirische Zuspitzung geliefert, als er den Extra3 Beitrag verbieten lassen wollte.
Eines wird bei der Auseinandersetzung sehr deutlich. Satire ist eine scharfe Waffe, die besonders Autokraten und autoritäre Neigungen trifft. Satire erinnert die Bevölkerung und ihre gewählten Vertreter daran, dass jede Macht endlich und zeitlich begrenzt ist. Diejenigen, die mit ihren Allmachtsphantasien den Heilsbringer für die wahren Finnen, Ungarn, Türken oder Deutschen geben wollen, sollen sich getroffen fühlen, genauso wie jene, die sich in jeder Krise nach dem nächsten Führer und dem schwächsten Sündenbock umsehen. Denn es gibt eine echte und sehr ernste Bedrohung in diesen Zeiten: die Reaktivierung autoritärer Neigungen in weiten Teilen der Bevölkerung, welche die Orbans, Putins, Kaczynskis und Trumps mit ihrem Gepöbel gegen Minderheiten erst mächtig werden lässt.
Die Realsatire der letzten Tage ist eine gelungene Attacke auf diese Entwicklung und da ein Autokrat aus der Türkei so dumm war den Fehdehandschuh aufzuheben, sollte man nicht zögern nachzulegen. Gerade jetzt. Die autoritären Weltverbesserer reagieren so empfindlich auf diese Art von Humor, weil er ein egalitäres Moment in sich trägt was ihrem Oben-Unten Schema widerspricht. Das zeigen hierzulande die Reaktionen der AfD Kader die sich gerne als Provokateure ernst nehmen lassen, aber vor Wut platzen, wenn man sich über sie lächerlich macht.
Für ein „Nachlegen“ ist übrigens nicht die Politik verantwortlich. Der Blick der Öffentlichkeit auf Merkel und die Diskussion um ihre Haltung in der Sache Böhmermann lenken nur ab. In gewisser Weise spiegelt die Erwartung, dass sich Merkel mal schnell an die Spitze dieser Auseinandersetzung stellen muss, auch ein Verlangen nach Autorität. Wie wäre es mit selber machen? Wozu gibt es die vierte Macht in der Gewaltenteilung? Auf auf, zeigt den autoritären Machthabern und ihrer Gefolgschaft die scharfe, egalitäre Klinge der Satire. Erdogan ist nur einer unter vielen. Selbstredend, dass dies Böhmermann am ehesten helfen würde.
Kommentare 7
Wenn Sie gestatten, einige Fragen zu Böhmermanns Elaborat bewegen mich. Sind Ihnen entgegen doch Zweifel an der zweifellos guten Inszenierung Böhmermanns gestattet?
Kann man durch kindische Übertreibung irgend jemandem erklären, was verboten, und was erlaubt ist nach deutschem Recht? Beispielsweise durch eine Auskunft, „man darf dem Gegner nicht in die Eier treten“, welche körperliche Einwirkungen auf den anderen beim Fußballspiel nicht gestattet sind?
Was verstehen Sie unter „Autokrat“?
„Diejenigen, die mit ihren Allmachtsphantasien den Heilsbringer für die wahren Finnen, Ungarn, Türken oder Deutschen geben wollen,“ Dazu dürften in Deutschland die AFDler zählen. Ob diese sich durch das Böhmermanngesudel getroffen fühlen?
Liegen Allmachtsphantasien nicht woanders ?
Etwa bei Kulturschaffenden, die Böhmermann so beispringen wollen: "Kunst kann nicht in einem Klima stattfinden, in dem sich Künstlerinnen und Künstler Gedanken darüber machen müssen, ob ihr Schaffen zur Strafanzeige führt, in dem sie beginnen, sich selber zu zensieren, oder zensiert zu werden"
Diese Wortkünstler verlangen also, über jedem Gesetz zu stehen. Wobei denen noch nicht einmal Frage, ob die Auslassungen unseres Fernsehclowns künstlerisch oder bloß gekünstelt sind, der Rede Wert ist! Sind das nicht Allmachtsphantasien?
Frau Merkel wird vorgeworfen, dass sie im Rahmen des deutschen Rechtes der Justiz gestattet hat, den Fall Böhmermann zu untersuchen. Ein Kotau vor Erdogan sei das (Wagenknecht), die Kanzlerin beschränke sich ihrer Handlungsfähigkeit (Trittin), sie habe sich erpressen lassen.
Wie alle wissen, Merkel hat aus sie drängenden Gründen ein umfangreiches Geschäft mit Erdogan in die Wege geleitet. Solange ein wichtiges Geschäft noch nicht abgewickelt ist, muss man natürlich den Partner bei Laune halten. Unter Umständen auch auf dessen Schrullen Rücksicht nehmen. Wenn solch völlig gängiges Gebaren zum Skandal erklärt wird, steht dahinter nicht die Einbildung, Deutschland sei nicht nur die stärkste imperialistische Nation Europas.
Nein Deutschland sei höchst berechtigt so überaus mächtig, dass die Türkei ohne Mucken gefälligst nach seiner Pfeife zu tanzen habe?
Ich bin versucht, Ihre Haltung "bierernst" zu nennen, wenn Sie aus einer nicht mal zwanzigzeiligen fragwürdigen Satire mit illustrierendem Inhalt "die Einbildung, Deutschland sei nicht nur die stärkste imperialistische Nation Europas" herbeihalluzinieren. Abgesehen davon, daß die Türkei eine eigene Pfeife hat, nach der sie tanzt (und durchaus auch kriegerische, imperialistisch großtürkisch anmutende Tänze).
Niemand verlangt (entgegen Ihren Behauptungen) "über jedem Gesetz zu stehen". Das verlangten auch die Zeitungsmacher aus Polen und anderen Ländern nicht, die Frau Merkel als Nazi abbildeten usw. Man pflegt u.a. in angelsächsischen Ländern zu überempfindlichen Naturen im politischen Raum zu sagen "If you can't stand the heat get out of the kitchen!"
Diese Zumutung wird nicht nur von Imperialisten vorgebracht. Und wenn es Ihnen zu imperialistisch ist, gibt es noch den Humor, der Anwürfe ertragen hilft (es sei denn, sie seien zu nahe an der Realität?) und ganz am Ende die stiff upper lipp, über die Frau Merkel z.B. glücklicherweise verfügt.
Man mag Herrn Böhmermanns textgerahmtes "Gedicht" ein wenig grob geraten finden, aber es läßt Erdogans unsouveräne Reaktion sehr deutlich werden. Zumindest werden Sie zugeben müssen, daß Böhmermann seine Scheißekrümel so kunstvoll in die Welt streute, daß ein riesiger Shitstorm daraus wurde. Herr Erdogan bereut sicher schon, daß er nicht (wie seine Kollegen in anderen Ländern und ähnlichen Fällen) kommentarlos darüber hinweggegangen ist. Nächstes mal?
>>Erdogan selbst hat den Kontext für diese satirische Zuspitzung geliefert, als er den Extra3 Beitrag verbieten lassen wollte.<<
Bei all dem Gesumme und Gebrumme im Bienchenhaus ist es gut, noch mal an den Anfang zu erinnern. Wenn ich mir mal vorstelle, Putin würde auf Alles, was hier schon über ihn geschrieben, gerundfunkt, gefernseht wurde, auch so reagieren: Dann müsste der Moskauer BRD-Botschafter sich ja ein Zimmer im Kreml nehmen ;-)
Aber vielleicht wollte der Erdo halt mal die BRD vorführen.
>>Ich bin versucht, Ihre Haltung "bierernst" zu nennen, wenn Sie aus einer nicht mal zwanzigzeiligen fragwürdigen Satire mit illustrierendem Inhalt "die Einbildung, Deutschland sei nicht nur die stärkste imperialistische Nation Europas" herbeihalluzinieren. <<
Das hat mit dem, was ich geschrieben habe, nichts zu tun, Anthrophilus. Mitnichten habe ich die in der kalten Mutter Deutschland umgreifende Überheblichkeit aus der „zwanzigzeiligen fragwürdigen Satire“ des Fernsehkaspers hergeleitet.
Sondern daraus, dass Muttis völlig normales unspektakuläres. konziliantes Verhalten einem Partner gegenüber, von dem sie einiges will, ernsthaft als Skandal gehandelt wird. Als „Kotau“ (Sarah Wagenknecht). Die mir nicht unsympathische, hochintellektuelle Linke bemüht hier einen hammermäßigen Begriff, offensichtlich ohne sich über dessen genaue Bedeutung ein wenig informiert zu haben.
Jürgen Trittin, der vom linken Flügel der Grünen, fürchtet um die „Handlungsfreiheit“ der Kanzlerin.
Ja, ja. Dass Deutschland machen kann was es will, wünscht sich doch jeder. Ein entschiedener Schritt zum ewigen Frieden, nicht wahr, Anthrophilus?
>> Abgesehen davon, daß die Türkei eine eigene Pfeife hat, nach der sie tanzt <<
Genau richtig. Und eben dies wird von den lautstarken, hochmoralischen Kritikern der Kanzlerine einfach negiert. Was heißt, auch für sich links Empfindende ist die Wucht des deutschen Imperialismus so selbstverständlich geworden, dass sie im politischen Tagesgeschäft dessen Grenzen schlicht ignorieren können. Peinlich, peinlich; oder?
>> Niemand verlangt (entgegen Ihren Behauptungen) "über jedem Gesetz zu stehen"<< Wirklich nicht? Was begehren unsere Kulturschaffenden dann, wenn sie sich in besagter Art gegen eine Strafverfolgung Böhmermanns aussprechen. Nicht mit dem Argument, der Kasper habe nicht beleidigt. Sondern weil ihr unverzichtbares Schaffen unmöglich sei, wenn sie sich Gedanken um die strafrechtlichen Grenzen ihrer Geschäfte machen müssten!
Eine mögliche, kleckrige Geldstrafe für Herrn Böhmermann macht also Kunst unmöglich in Deutschland! Geht `s noch?
Zur Beruhigung: Die Titanic wird weiter erscheinen im dann autokratischen Deutschland. Denn die lässt sich im Falle des Falles von einer Medienfachanwältin beraten. Ein kleiner Trost nur, freilich. Denn gegen die große Kunst eines Böhmermann kann dieses Blatt unmöglich anstinken.
"If you can't stand the heat get out of the kitchen!" Schöner Kalenderspruch. Aber welche Hitze ein Koch hinzunehmen gewillt ist, ist dessen Sache. Auf die guten Ratschläge von Zeitgenossen, die ihn ohnehin nicht mögen, wird er keinen Wert legen. Ob dessen Basher sein Auftreten für souverän oder nicht halten, wird ihn kaum interessieren, auf seine Freunde kommt es ihm an.
>> Zumindest werden Sie zugeben müssen, daß Böhmermann seine Scheißekrümel so kunstvoll in die Welt streute, daß ein riesiger Shitstorm daraus wurde.<< Nein, das gebe ich, entschuldigen Sie, nicht zu.
Dass auf die Strafanzeige Erdogans ein hysterischer Sturm der Entrüstung folgte, als wäre es in unserem freiheitlichen Deutschland schon morgen nicht mehr möglich, seinem Vorgesetzten oder Chef entschieden die Meinung zu geigen, beweist die Verrücktheit (im wörtlichen Sinne) der hiesigen politischen Kultur.
P.S.
Dass ich durchaus auch zu bierseliger Haltung in der Lage bin, mögen Sie diesem entnehmen:
„Die Hatz auf die Reichen ist anstößig"
Sollten Sie es tatsächlich immer noch nicht verstanden haben, dass es Böhmermann nicht um die satirische Übertreibung von sexuellen Praktiken seitens des Herrn Erdogan ging, sondern um dessen ständiges unberechtigtes Beleidigtsein. Zur Belehrung hat er ihm ein Beispiel für ein berechtigtes Beleidigtsein-Dürfen geliefert. (Geklaut aus SPON http://www.spiegel.de/forum/kultur/serie-das-wort-das-ist-satire-thread-452943-1.html#postbit_43254730
Paßt aber als Entgegnung für die Böhmermann-Geißler ...
Nichtsdestotrotz endet für Herrn Erdogan wie auch für Sie das Recht auf Satire und Meinungsfreiheit an dieser Stelle - die nämlich dann jederzeit verboten werden könnte, wenn der Adressat eines Scherzes den Witz nicht versteht.