Wieder nach oben?

Porträt MC Rene war ein talentierter Nachwuchsrapper. Dann landete er im Call-Center. Für sein Comeback als Comedian kaufte er sich eine Bahncard 100 und gab seine Wohnung auf
MC Rene auf der Rolltreppe am Berliner Hauptbahnhof
MC Rene auf der Rolltreppe am Berliner Hauptbahnhof

Foto: Kevin Mertens/der Freitag

Das Interieur ist schmucklos, Holzimitat, Birkenfurnier. Etwas dürftig, wenn man mindestens 4.000 Euro im Jahr zahlt, um hier eintreten zu dürfen. Es ist auch kein roter Teppich ausgerollt in der DB-Lounge am Berliner Hauptbahnhof, obwohl gleich MC Rene hereinkommen wird, der gerade ziemlich viel Werbung macht für die Deutsche Bahn – kostenlos. „Bahnchef Grube hat sich noch nicht gemeldet“, sagt er dann auch kurz darauf. „Könnte er aber mal machen.“

MC Rene ist Besitzer einer Bahncard 100, mit der man unbegrenzt Bahn fahren kann. Sie kostet ihn zwar 369 Euro im Monat, ersetzt aber seine Miete. Die Karte wurde seine Rückfahrkarte ins Rampenlicht. Im April 2010 hat Rene Job und Wohnung gekündigt, um auf die Bühne zurückzukehren, die er aus früheren Tagen gut kannte.

René El-Khazraje war einer der ersten, die deutschsprachigen Rap etabliert haben. "Ich werd immer ein HipHop-Kind bleiben", sagt er, der noch die gleichen Klamotten trägt wie damals: weite Jeans, Kapuzenpulli. Heute laufen viele so rum, auch wenn sie mit HipHop nichts zu tun haben. So ist das, wenn sich eine Kultur kommerzialisiert. Auch darüber ist MC Rene gestolpert.

Vorläufige Endstation: Callcenter

Seine Blütezeit liegt eine Weile zurück. Er selbst glaubte, die Bühnenvergangenheit hinter sich gelassen zu haben. Bis zu jenem Tag, den der 36-Jährige in seinem vor Kurzem erschienenen Buch Alles auf eine Karte beschreibt: Rene arbeitete damals in einem Berliner Callcenter. Kein Job für Romantiker, aber die Miete musste bezahlt werden. Seine Chefin rief ihn ins Büro, sie kriegte sich gar nicht ein vor Glucksen. Im Internet war sie auf ein Musikvideo gestoßen: Da war er, Rene, der auf einer Straße in New York rappte: "Er musste auf die Bretter, die die Welt bedeuten, wollte rocken wie die andern Rapper vor ganz vielen Leuten." Rene stand neben seiner Chefin. Im Callcenter, der vorläufigen Endstation seiner Ambitionen. Und vor ihm lief ein Video, in dem er von Träumen erzählte, die schon lange hinter ihm lagen.

"Ich habe gemerkt: Du verschwendest hier Talent und Zeit für Sachen, die du nicht fühlst. Das macht einen depressiv. Mich macht es glücklich, wenn ich auf der Bühne stehen kann." Von da an reifte der Entschluss, dorthin zurückzukehren: aber nicht als Rapper, sondern als Comedian.

Das sei naheliegend gewesen, findet er. "Wer mich als Rapper beobachtet hat, hat gesehen: Er nimmt sich selbst nicht so hundertprozentig ernst, wie viele der Kollegen das tun." Es habe ihm aber gefehlt, "dass die Leute auf das, was ich rüberbringe, abgehen". Er macht eine kurze Pause, dann sagt er lauter: "Und ich kann es halt einfach."

In der DB Lounge dreht sich ein Mann um, der Rücken an Rücken mit ihm sitzt. Er fragt, ob es vielleicht ein bisschen leiser ginge. "Das hört man hier oft", sagt Rene im Flüsterton. "Ich hab aber auch eine sehr laute Stimme."

Beachtlicher Flow

Mitte der Neunziger stand Rene mit den Absoluten Beginnern auf der Bühne und tourte mit Fettes Brot. Und: Er hatte mehr Talent als die anderen. 1993 wurden in der ZDF-Dokureihe Lost in Music ein paar junge Rapper vorgestellt, die noch in der Pubertät steckten. In einer Szene sitzen vier in einem Treppenhaus, unter ihnen Eißfeldt, der heute als Jan Delay Stadien füllt. Und MC Rene. Drei von ihnen sind schüchterne Bubis, sie freestylen, rappen ohne vorgeschriebene Texte, aber ihre Reime klingen hölzern, ihr Können ist noch nicht ausgereift. Als Rene an der Reihe ist, hat die Zurückhaltung ein Ende. Er hat einen beachtlichen Flow, ist selbstsicher. Nimmt man diese Szene als Ausgangspunkt, dann muss man sich wundern, dass MC Rene heute keine ganz große Nummer ist.

"Er war der erste Star einer neuen Szene", erinnert sich Dennis Lisk. Auch Lisk saß damals in dem Treppenhaus, als Denyo bildete er mit Eißfeldt die Absoluten Beginner. Er hat Rene oft getroffen, mit ihm gerappt, auf kleinen Jams. Es sei damals unvorstellbar gewesen, welche Dimensionen das alles wenige Jahre später annehmen würde, dass die Jungs mal bei Festivals vor 20.000 Leuten auftreten würden. "Wir haben es ernst genommen, uns auszudrücken", sagt Lisk. "Und Rene war ein Ausnahmetalent im Freestyle, der hat uns alle beeindruckt."

Den Durchbruch aber schafften die anderen. Die seien "wesentlich cleverer gewesen als ich", sagt Rene. Sie hätten zielstrebig über inhaltlicher Ausrichtung, Covergestaltung und Singleauskopplungen gebrütet. "Aber ich hab einfach nur Musik gemacht, so wie ich es gerade wollte." Dieses Rap-Ding war ein großer Spielplatz für ein paar Kids mit Pickeln im Gesicht. Doch während die anderen reiften, blieb Rene, der Junge aus Braunschweig, im Buddelkasten hängen. Er vertraute auf sein Talent, aber das allein reichte nicht. Wie bei einem cleveren Schüler, der Zweien nach Hause bringen könnte, wegen vergessener Hausaufgaben aber stets nur eine Drei minus bekommt.

Den Ernst nicht erkannt

Rene sah keinen Grund für mehr Engagement, es lief ja nicht schlecht. "Ich hab ganz gut Geld verdient durch die vielen Auftritte und hab den Ernst dahinter nicht so richtig erkannt", sagt er. "Ich wusste nicht hundertprozentig, was ich wollte. Und auch nicht, was ich nicht wollte."

Zur Orientierungslosigkeit kam Pech. Zwar war Rene einer der ersten Rapper, der einen Plattenvertrag in der Tasche hatte. Aber von den Gewinnen, die sein Album Renevolution abwarf, kam bei ihm kaum etwas an. Bei seinem damaligen Indielabel "kam irgendwie immer alles auf Null raus". Der erste Deal mit der großen Plattenfirma BMG folgte erst Jahre später, als der Zug für einen wie ihn schon abgefahren war. Zu jener Zeit, Anfang der Nullerjahre, wurde HipHop düsterer, Leute wie Kool Savas und Azad prägten das Bild, sie posierten mit Kampfhunden und bedrohlicher Gestik. In ihren Battle-Raps machten sie fiktive Gegner runter, die in ihren Augen nicht authentisch waren. Bald erkannten sie, wie werbewirksam es war, in Texten nicht länger imaginäre Feindbilder anzugehen, sondern Kollegen. In MC Rene sahen sie ein willkommenes Opfer.

Image als Pausenclown

Der steckte damals bereits in einer Schublade, aus der er nie mehr herauskommen sollte. Als Freestyler konnte er aus dem Stegreif rappen, das Drumherum blitzschnell zu Reimen verarbeiten, oft humorig. Aber seine Ironie erschloss sich nicht jedem. Gepaart mit seinen langen Haaren und dem ulkigen Auftreten galt er bald als Pausenclown. Als sich Rene trotzdem beim Moderatorencasting für eine HipHop-Show bei Viva durchsetzte, rief das Neider auf den Plan. Erst recht, als er den Job dann nicht besonders gut machte. Er habe sich auf die Sendungen nie gut vorbereitet, sagt er heute.

Und er gab seinen Kontrahenten Futter, machte einiges, das er besser hätte sein lassen. Bei Viva wurde Rene zum Sidekick von Oliver Pocher. In einer Folge trafen Rene und Pocher den US-Rapper Busta Rhymes. Das Video kursiert heute noch im Internet: Rhymes guckt auf die mit Wollmützen und geschmacklosen Lederanzügen gekleideten, völlig überzeichneten Besucher und scheint zu denken: Was wollen die bloß von mir? Dann legt Rene einen Freestyle hin, der Rhymes sichtlich beeindruckt. Aber die Aura währt nur kurz, denn Pocher macht im Hintergrund den Hampelmann. "Bei diesem Einspieler wurde klar: Ich kann was und der nicht. Aber Pocher hat die fette Kohle gemacht", sagt Rene.

Es liegt wie ein Fluch auf ihm, dass er nicht verstand, aus seinem Talent mehr für sich herauszuholen. Eigentlich will Rene die Geschichte mit Pocher nicht bereuen, er hat dafür genug Prügel bezogen. "Aber wenn du mich drauf festnageln willst, würde ich sagen: Es hat mir mehr geschadet, als dass es mir genützt hat."

Sein nächstes Album nannte er Scheiß auf Euren HipHop. Er hatte das Ding mit aufgezogen, und nun etablierten andere ein Image, das ihm nicht passte. Er hatte ihnen doch die Tür geöffnet – sollte das der Dank sein? Viele Konzerte der anschließenden Tour waren schlecht besucht. Der Zuspruch blieb aus. "Ich habe einfach rumgehampelt, und das kam nicht so gut an in einer sich sehr ernst nehmenden HipHop-Community", sagt er und zieht ein ernüchtertes Fazit: "Wenn mich keiner sehen will, muss ich das auch akzeptieren."

Dennis Lisk spricht von einem Generationswechsel bei Künstlern und Fans. "Sie werden erwachsen, arbeiten, bekommen Kinder, interessieren sich für andere Sachen. Wenn man dann den Zeitgeist nicht trifft, wird es schwer." Auch Lisk, der mit Jan Delay gerade an einem neuen Beginner-Album arbeitet, sagt: „Ich wusste eine Zeit lang nicht mehr, was ich machen, wie ich mich ausdrücken sollte“. Er veröffentlichte ein Album, auf dem er gesungen hat, keine Raps mehr. Darüber, warum es für MC Rene nicht zum großen Wurf gereicht hat, möchte Lisk nicht spekulieren. Er sagt nur allgemein: „Man muss Bock haben, Musik zu machen. Man muss was sagen wollen.“

Das passt eigentlich zu MC Rene. „Mein Fokus lag nie darauf, wie ich jetzt eine gute Single schreibe“, sagt er. „Das können andere besser.“ Für ihn hätten Augenblicke gezählt. „Momente, die ich auf der Bühne besser erzählen kann als im Studio.“ Ein Freestyler passe sich immer der Situation an, bleibe sich aber stets treu, sagt Rene. Er will sich nicht mit der Vergangenheit aufhalten. „Ich möchte als MC Rene wahrgenommen werden für das, was ich jetzt bin, und nicht für das, was ich war.“ Nur nach vorne schauen, einem Stehaufmännchen gleich. „Ich glaube einfach jedes Mal wieder aufs Neue daran, dass mir diesmal der Hauptgewinn winkt“, schreibt er im Buch.

Er habe Zeit gebraucht, alles zu verarbeiten, sagt Rene. Er lebte von Erspartem, bis das Callcenter zu seinem Hafen wurde, schmucklos zwar, aber er gab ein wenig Sicherheit. Rene schreibt über den Callcenter-Mitarbeiter, dessen Identität er abzulegen beschließt: "Darunter kommt hervor: der außerirdische HipHop-Comedian MC Rene." Er benutzt oft Bilder, wie sie sich auch ein kleiner Junge ausdenken könnte, der in seiner Fantasie in andere Welten entflieht. Bei einem Mann Mitte 30 heißt das im besten Fall, dass es ihm gelungen ist, das Kind in sich zu bewahren. Es kann andersherum aber auch bedeuten, dass einer mehr sein will, als er ist.

Vielleicht passt das Kindsein zum Comedian. Rene legte seine Hoffnungen in die Bahncard, als Anreiz für Veranstalter, die so keine Reisekosten zu fürchten hatten. Er schlief bei Freunden auf der Couch, spielte auf Kleinbühnen in den hintersten Winkeln der Republik und in Fußgängerzonen. Es war eine Ochsentour, er tingelte überallhin, wo man ihn auftreten ließ, auch ohne Gage. Auf der Bühne erzählt Rene dann von seinen Begegnungen in der Bahn. Richtig Feuer fängt er im Gespräch aber erst, wenn HipHop zum Thema wird.

Köln, im vergangenen Jahr: Rene tritt bei Nightwash auf, einer Comedybühne in einem Waschsalon. Früher rissen die Leute vor der Bühne die Hände in die Luft, wenn Rene sie dazu aufforderte. Hier lachen und klatschen sie. Rene wirkt glücklich.

"Ich war wer." Und nun?

Im Buch schreibt er über seine erfolgreichen Tage als Rapper: "Ich war wer." Und nun? Er ist ausgebrochen, hat etwas riskiert. Sein Buch verschafft ihm jetzt ein rasant wachsendes Publikum. Er gibt Lesungen, ist zu Gast in Fernsehsendungen. In der flexiblen Arbeitswelt, in der viele sich von Projekt zu Projekt hangeln, erzählt er eine gute Geschichte von Absturz, Wiederaufstehen und Niemals-Aufgeben.

Vielleicht war diesmal ja alles ein kluger Schachzug, ein Konzept, zielstrebig geplant von Anfang an. Als MC Rene zum Ende des Gesprächs beschreibt, was eine gute Show ausmacht, kann das auch als Metapher für sein Leben stehen: "Eine gute Show muss einen guten Anfang und einen guten Schluss haben. Das in der Mitte muss dann gar nicht so Weltklasse gewesen sein."

MC Rene wird 1976 in Braunschweig als René El-Khazraje geboren. Zu seinem marokkanischen Vater hat er kaum Kontakt. Anfang der neunziger Jahre besucht er die ersten Jams. Er beobachtet Advanced Chemistry aus Heidelberg, eine Gruppe um den Rapper Torch, die seit Mitte der achtziger Jahre unterwegs ist. MC Rene steuert den Titel „Die neue Reimgeneration“ zu einem Sampler bei und geht mit der Gruppe auf Tour. Es folgen die Sampler Klasse von 94 und Klasse von 95, auf denen andere junge Rapper wie Massive Töne, Fettes Brot und die Absoluten Beginner vertreten sind. 1995 erscheint MC Renes Debütalbum Renevolution. Erst vier Jahre später veröffentlicht er in Eigenregie ein Mixtape, kurz darauf wirkt er neben den US-Rappern Flavor Flav und Grandmaster Flash an der internationalen Produktion 1, 2, 3 – Rhymes Galore mit.

Das Video zur Single wird ihm mehr als zehn Jahre später von seiner Chefin bei seinem Job im Callcenter vorgespielt, was ihn dann zu seinem Comeback auf der Bühne ermutigt. Er kündigt Job und Wohnung, um Stand-up-Comedian zu werden. Nachdem er eine Bahncard 100 gekauft hat, sendet er eine E-Mail an Comedy-Bühnen und -Veranstalter. Mit nur knapp sieben Minuten Programm macht er sich auf den Weg. Seit April 2010 ist MC Rene unterwegs, seine Erfahrungen hat er in dem Buch Alles auf eine Karte. Wir sehen uns im Zug (Rowohlt) festgehalten.

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